Besen-Ballett und Couscous-Kunst

Der schönste Erinnerungsraum liegt etwas versteckt, links im Winkel dieser Gruppenausstellung: Hier bewegen sich sechs weiß gekleidete, junge Frauen im Kreis. Jede hält einen Besen in der Hand, mit dem sie die Fußabdrücke ihrer Vorgängerin wie in Trance wegfegt. Scheinbar endlos wird das Ritual fortgesetzt: Spuren werden hinterlassen, die doch im nächsten Moment von der Zeit gelöscht werden. Mircea Cantor, 1977 in Rumänien geboren, jetzt in Paris arbeitend, gilt als neuer Star der zeitgenössischen Kunst. Er hat das schlichte und doch eindrückliche Besen-Ballett als Video-Arbeit realisiert.

Untermalt wird die fast rhythmische Bewegung der Darstellerinnen von esoterischen Klängen. Wenn die Kamera dann zwischendurch nah an die Fußspuren heranzoomt oder den Kreislauf der Frauen aus der Vogelperspektive beobachtet, entsteht ein ästhetischer Mehrwert, der die Klarheit und Einfachheit des Bildgedankens freilich eher behindert. Vom selben Künstler stammt eine nicht minder poetische Installation: "Fishing Flies" besteht aus kleinen Spielzeug-Kampfflugzeugen, die sich wie Angelhaken in einem Fischernetz verfangen haben. Das glitzernde Ensemble erinnert ein wenig an Christbaumschmuck, hakt sich trotz aller Leichtigkeit aber brutal ins Gedächtnis ein.

Cantor ist der Preisträger des "Prix Marcel Duchamp 2011". Die Auszeichnung wird alljährlich von der französischen Sammlervereinigung ADIAF verliehen. Arbeiten von Mircea Cantor und von fünf nominierten Künstlern stellt die Kunsthalle parallel zur Werkschau von Tal R vor. Unter dem Titel "Räume der Erinnerung" soll die Schau einen Einblick in die aktuelle französische Kunstszene vermitteln.

Auch die Installation von Kader Attia (Jahrgang 1970) nimmt einen Raum ein. Aus dem Getreide Couscous hat der Künstler eine Art Mondlandschaft erschaffen. Seltsame schwarze Löcher, rechteckige Leerstellen zerstören die Gestalt der gespenstisch angestrahlten Bodenplastik. Sie könnten auf das Verschwinden von Ansiedlungen oder auch auf das Verlöschen der Erinnerung verweisen.

Wer seinem Gedächtnis misstraut, der hält seine Erinnerungen gern mit der Kamera fest. Diese fotografische Gedächtnisstütze nutzt auch Cyprien Gaillard, der uns seine Sicht einer veränderlichen Welt in Form von Polaroid-Fotos präsentiert. Die Erinnerungsstücke ordnet der 1980 in Paris geborene Franzose in Serien und bewahrt sie wie wertvolle Uhren in Schaukästen auf.

Die Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster ist bekannt für ihre begehbaren Rauminstallationen. In ihren Arbeiten verdichtet sie Erinnerungen zu mysteriösen Gedächtniskammern. Ohne zusätzliche Erklärung hinterlässt der karge "Milwaukee Room" keine bleibende Erinnerung. Das Ensemble aus dunkler Matratze, diffusem Licht und blinkenden Digitalweckern sieht nicht preisverdächtig aus.

In Anri Salas Videoarbeit "Byrek" darf der Zuschauer einem Koch bei der Zubereitung des albanischen Fladenbrots über die Schulter blicken. Sala projiziert den Film auf eine Leinwand, auf der ein handgeschriebener Brief seiner Großmutter zu sehen ist. Der Brief enthält neben persönlichen Botschaften ein Byrek-Rezept, jenes traditionelle Gericht, das der Künstler offenbar mit seiner Kindheit assoziiert. Das identitätsstiftende Ritual wird dabei leider etwas langatmig dokumentiert. Nun ja, auch Backen kann Kunst sein.

Nicht zuletzt sollen die eher traditionell anmutenden Zeichnungen von Tatiana Trouvé Erwähnung finden. Die 1968 geborene Künstlerin versteht den Prozess des Zeichnens als Erinnerungsarbeit. Ihre penibel konstruierten Innenräume kann man als Chiffren für Umzug, Übergang, Neu-Orientierung oder Ratlosigkeit deuten.

Info Kunsthalle Düsseldorf Grabbeplatz, noch bis 9. September

(RP)
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