b.10: Ein Feuerwerk der Ideen

Am Anfang steht das riesige Fernseh-Testbild: Vier Tänzerinnen in bunten, hautengen Trikots gleiten in gebeugter Haltung auf die Bühne. Sie klopfen ihren Körper ab, formieren sich dann in einer lockeren Reihe und fassen sich an den nach oben gestreckten Daumen. Die Männer eilen herein, eine Hand auf den Kopf gelegt und kratzen sich. Bizarr und grotesk, humorvoll und äußerst komisch wird ein getanztes Feuerwerk der Ideen, Bilder und Assoziationen entfacht, das kongenial vor Keso Dekkers bespielter Videoleinwand abläuft.

Was mit dem Testbild beginnt, verwandelt sich bald in ein graues Rauschen und Grisseln, das im Laufe der Inszenierung seine Körnigkeit mehrmals ändert. Parallel dazu wandeln sich auch die Trikots zum Schluss hin in gedeckte blau-graue Farbtöne. "Tanzsuite" nennt Ballettchef Martin Schläpfer seine Choreografie zu der von Band ertönenden "Tanzsuite mit Deutschlandlied" von Helmut Lachenmann. So sperrig die Geräusch-Partitur klingt, so anmutig sind die getanzten Bilder. Das Ensemble steht im Mittelpunkt, ist einfach hinreißend, und die "Tanzsuite" der Höhepunkt des Premierenabends. Zum Auftakt seiner dritten Spielzeit öffnete Martin Schläpfer sein Archiv.

Während der gebürtige Schweizer in der Vergangenheit laufend Uraufführungen produzierte, präsentierte er nun mit "b.10" gleich drei ältere Kreationen. Was vielleicht dazu führte, dass erstmals seit Schläpfers Amtsantritt ein Premieren-Abend nicht ausverkauft war. Eingebettet hat der Ballettdirektor seine "Tanzsuite" in sein "Drittes Klavierkonzert" zur Musik von Alfred Schnittke, die unter Wen-Pin Chiens Leitung mit den Symphonikern und Denis Proshayew am Klavier live aus dem neuen Graben ertönte. Die unvergleichliche Yuko Kato steht in sich gekehrt auf der schwarz glänzenden, in Yves-Klein-Blau getauchten Bühne und tanzt ihre Einsamkeit wie ein Todesvogel. Vierzehn schwarz gekleidete Tänzer umkreisen einander und erzählen Geschichten von Freiheit und Anhängigkeit, von Hingebung und Entzweiung. Auf die weiterentwickelten Werke folgte ein Klassiker von Choreograf Jirí Kylián: Seine "Psalmensymphonie" von 1978 auf Strawinskys Musik, widerum musiziert von Orchester und Opernchor. Wenn sich der Vorhang hebt, fällt der Blick auf einen Bühnenhintergrund, in dem sich zahlreiche Orientteppiche zu einem mystischen Bild fügen. Acht Paare ziehen zur archaisch anmutenden Musik durch diagonale und parallele Formationen geometrische Linien. Es ist eine strenge, reduzierte Choreografie, die ohne Soli und große Emotionen auskommt. Das Publikum reagierte entsprechend verhaltener.

(RP)
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