Studie will Sexualität erforschen „Wissen Sie, was Chlamydien sind?“

Düsseldorf · Beim Thema Sexualität meint jeder halbwegs Aufgeklärte, alles zu wissen. Nun will eine große Hamburger Studie Daten über das Sexualverhalten der Deutschen sammeln. Die Ergebnisse sollen auch der Vorbeugung von Krankheiten dienen.

 Für eine Sexual-Studie soll unter die Bettdecken der Deutschen geschaut werden (Symbolbild).

Für eine Sexual-Studie soll unter die Bettdecken der Deutschen geschaut werden (Symbolbild).

Foto: dpa/Christophe Gateau

Es gibt kein Thema im Intimbereich von Partnerschaft und Medizin, bei dem so viel gelogen wird und gleichzeitig so viel Ahnungslosigkeit oder Präpotenz herrscht. Männer brüsten sich mit unendlichem Stehvermögen und meinen nicht das Fahrradfahren. Frauen behaupten vehement, dass ihnen auch ein Winzling ungeahnte Wonnen bescheren könne. Nie geredet wird über die sexuell abschreckende Dimension von Unterleibs-, aber auch Mundgeruch, andererseits wird Achselschweiß bisweilen als enorm stimulierend gepriesen, wenn der Schwitzende nicht aus einem mitteleuropäischen Herkunftsland stammt.

Aus dem weiten Feld der Sexualität meint jeder halbwegs Aufgeklärte, alles zu wissen, dabei befällt einen schon am nächsten Tag unbezwingliches Staunen, wenn wieder neue bizarre Sexualpraktiken ruchbar werden, etwa aus dem unüberschaubaren Sortiment der anerkannten und eher improvisatorisch eingesetzten Hilfsmittel.

Nun aber geht es ans Eingemachte. 5000 repräsentativ ausgewählte Männer und Frauen in ganz Deutschland sollen in den nächsten Monaten Fragen rund um Sex beantworten. Hamburger Forscher wollen in einer Studie das Sexualverhalten der Bevölkerung ergründen. Ein Schwerpunkt soll das Wissen über sexuell übertragbare Krankheiten sein. Dabei geht es um Fragen wie diese: Wie oft hatten Sie in den letzten vier Wochen Sex? Welche sexuellen Wünsche haben Sie? Wissen Sie, was Chlamydien sind?

„Die Ergebnisse sollen dabei helfen, Präventions-, Vorsorge- und Versorgungsmaßnahmen im Bereich der sexuellen Gesundheit zu entwickeln“, sagt der Direktor des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am Uniklinikum Eppendorf, Peer Briken. Das Risiko, sich mit Chlamydien-Bakterien oder anderen Erregern von Geschlechtskrankheiten zu infizieren, sei in den vergangenen Jahren gestiegen. Das dreijährige Forschungsprojekt zur Gesundheit und Sexualität in Deutschland (GeSiD) wird von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gefördert. „Für eine passgenaue und gelingende Prävention sind wissenschaftliche Daten unerlässlich“, sagt deren Leiterin Heidrun Thaiss.

Im Unterschied zu fast allen anderen westlichen Ländern gebe es in Deutschland bislang keine breite Studie zum Sexualverhalten. „Man muss sich klarmachen, dass wir so viele Jahre nach Kinsey, der Ende der 1940er Jahre seine Untersuchungen in den USA durchführte, für Deutschland nach wie vor keinen repräsentativen Sex-Survey haben“, sagt Briken. Die Studien des US-Zoologen und Sexualforschers Alfred Kinsey über die männliche und weibliche Sexualität hatten weltweit für Aufsehen gesorgt.

In Deutschland seien in den vergangenen Jahrzehnten zwar zahlreiche Studien zur Sexualität gemacht worden, doch dabei sei immer nur ein Teil der Bevölkerung berücksichtigt worden, etwa Studenten. „Es gab in den frühen 70er Jahren auch eine Untersuchung zur sogenannten Arbeiter-Sexualität, was uns als Kategorie heute selbstverständlich merkwürdig anmutet“, sagt Briken. Das Robert-Koch-Institut (RKI) habe in mehreren Studien Daten zu bestimmten Erkrankungen gesammelt. Bei der jetzt beginnenden Befragung gehe es um ein breites Konzept von sexueller Gesundheit, wie es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) formuliert habe.

Laut WHO-Definition setzt sexuelle Gesundheit voraus, dass es eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen gibt sowie die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen – frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt. Die sexuellen Rechte aller Menschen müssten geachtet, geschützt und erfüllt werden, fordert die Organisation. Briken und Kollegen verfolgen einen breiten Ansatz. Zu den Themen des Fragenkatalogs gehören neben sexuellen Funktionsstörungen auch Traumatisierung und Gewalt, sexuelle Orientierung, Diskriminierung und Pornografie. „Aus unserer Sicht ist es ein Meilenstein in der deutschen Forschung“, sagt Briken über das Projekt.

Doch wer erzählt einem Fremden, wie er bei einem One-Night-Stand ein Kondom benutzt oder ob er schon mal Analverkehr hatte? „Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung, der wir uns qualifiziert stellen wollen und können“, sagt der Sexualforscher. Sein Institut hat darum 2017 bereits eine Pilotstudie durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass Menschen in direkten Interviews eher zu Auskünften bereit sind als nach dem Versand von Fragebögen. Die Rückläuferquote betrug in den Interviews 18 Prozent. Nun hoffen die Forscher auf eine Quote von 35 Prozent.

Das Sozialforschungsinstitut Kantar Emnid hat 200 Interviewer ausgewählt und geschult. Sie sollen nach einer schriftlichen Vorankündigung die Studienteilnehmer zu Hause aufsuchen und im Zweiergespräch befragen. Frauen werden von Frauen interviewt, Männer von Männern. Wird einem Teilnehmer eine Frage zu intim, könne er die Antwort ins Laptop des Interviewers tippen, ohne dass der den Text lesen könne, heißt es. Die Forscher versichern, dass streng auf Datenschutz und Vertraulichkeit geachtet werde. Die Ergebnisse sollen nur anonymisiert ausgewertet werden. Befragt werden Menschen zwischen 18 und 75 Jahren – egal, ob sie sexuell aktiv sind oder nicht. Den Forschern ist klar, dass sie nicht die gesamte Bevölkerung erreichen werden. Wer kein Deutsch versteht, chronisch krank ist oder im Gefängnis sitzt, fällt raus. „Das ist ein Wermutstropfen“, sagt Briken. Ende 2019 sollen erste Ergebnisse vorliegen.

(Mit Material von dpa)

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