Sucht Halbtrocken - Das neue Therapieziel für Alkoholiker?

Düssedorf · Kein Tropfen Alkohol mehr, und zwar nie wieder? Der sogenannte "kalte Entzug" war bisher die Einzige Therapie und zugleich für viele Alkoholiker die größte Angst. So groß ist die Panik, dass sie sich deshalb lieber gar nicht erst professionelle Hilfe suchen. Jetzt gibt es einen neuen Ansatz: Besser halbtrocken, als weiter saufen. Wir haben mit einem Experten gesprochen.

Sucht: Halbtrocken - Das neue Therapieziel für Alkoholiker?
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Für Alkoholiker gab es für viele Jahrzehnte nur eine einzige therapeutische Maßnahme: die vollständige Alkoholabstinenz. Das soll sich in Zukunft ändern. Selincro heißt das Medikament, das seit Anfang September auf dem Markt ist, und für viele Trinker einen einfacheren Ausstieg aus dem täglichen Teufelskreis ermöglichen soll. "Der enthaltene Wirkstoff Nalmefen blockiert die Opiat-Rezeptoren im Gehirn, und damit das Belohnungssystem", erklärt Dr. Martin Grosshans, Suchtmediziner am Zentral Institut für Seelische Gesundheit in Mannheim (ZI). "Dadurch wird die Wirkung von Alkohol auf das Belohnungszentrum vermindert, und der Alkoholkonsum verliert nach und nach seine übergeordnete Bedeutung: der verhaltensverstärkende Effekt, den man während dem trinken hat, verringert sich."

So funktioniert die Anti-Alkohol-Pille

Um eine Anti-Sucht-Pille auf Rezept handelt es sich dabei dennoch nicht. Denn gerade die schwersten Suchtpatienten können das Mittel nicht zur Therapie verwenden. "Suchtpatienten, die so süchtig sind, dass sie bei dem Verzicht auf Alkohol typische Entzugssymptome wie Schweißausbrüche oder zittrige Hände bekommen, mit der Gefahr für epileptische Anfälle und Delirien, sind nicht für die Behandlung geeignet", so der Suchtexperte.

Ein Entzug ist für schwere Suchtpatienten deshalb nur unter medizinischer Aufsicht in einem Krankenhaus möglich. Süchtige, die noch keine körperlichen Entzugserscheinungen haben, aber bereits regelmäßig mehr trinken, als sie eigentlich wollen, ihren Alltag nach möglichen Trinkpausen ausrichten oder auch lügen um zu trinken, kommen dagegen für die Behandlung mit Nalmefen in Frage.

"Der Vorteil dieses Reduktionsansatzes ist eindeutig, dass wir mit dem Angebot "Ihr könnt weiter trinken, aber eben weniger", viele Menschen erreichen, die sich sonst gar nicht erst Hilfe holen würden, weil sie Angst davor haben, nie wieder einen Tropfen Alkohol anrühren zu dürfen", sagt Dr. Grosshans. Die neue Devise lautet: Besser halbtrocken, als weiter saufen - und das mit Erfolg. "Große Studien haben gezeigt, dass schon eine 50-prozentige Reduktion des Alkoholkonsums innerhalb von sechs Monaten auch eine deutliche Reduktion von Folgeerkrankung wie Leberzirrhose bedeutet. Damit sinkt natürlich auch die Sterblichkeitsrate signifikant."

Ein verbessertes gesundheitliches Befinden ist jedoch nicht der einzige Vorteil, der sich aus dem Ansatz des reduzierten Trinkens ergeben kann. Wie Studien aus den 90er Jahren zeigen, haben 30 Prozent der Alkoholiker, die in der Therapie einen Reduktionsansatz wählten, im Verlauf sogar von selbst aufgehört zu trinken. "Viele Patienten müssen erst merken, was sich für sie für Vorteile ergeben, um sich dann dafür zu entscheiden, ganz aufzuhören", weiß der Suchtexperte. Dafür aber müsse man sie eben erst erreichen.

Dank der neuen Zulassung kann das Medikament nun auch von Hausärzten verschrieben werden, die oftmals die einzigen sind, an die sich Trinker überhaupt wenden. "Viele Alkoholabhängige und vor allem die Männer unter ihnen, wollen nicht über ihr Problem reden. Oftmals weiß nur der Hausarzt Bescheid, denn der muss gegebenenfalls auch als erster Folgeschäden behandeln", so Grosshans. "Jetzt haben sie etwas in der Hand, das sie verschreiben können. Immerhin kennen sie oft die Krankengeschichte am besten, und können gut einschätzen, ob jemand für die Reduktionstherapie in Frage kommt." Ist dem so, bekommt der Alkoholiker ein Rezept. Die Tablette wird dann zwei bis drei Stunden vor der möglichen Trinksituation eingenommen. Am Ende steht, dass das Glas Wein oder Bier, eben nicht mehr ganz so viel Spaß macht wie bisher. Zunächst wird das Medikament über drei Monate eingenommen, wenn der Arzt es als sinnvoll erachtet, kann es aber auch langfristiger verschrieben werden.

Bedeutet das nun Saufen auf Rezept?

Neu ist der Ansatz der Reduktionstherapie eigentlich nicht. Schon seit Jahren gibt es Seminare und Gruppentherapien in denen eben das versucht wird. "Diesem Ansatz wurde in der Vergangenheit häufig unterstellt, dass die Patienten eben dann quasi mit offizieller Erlaubnis konsumieren dürfen", erklärt der Suchtmediziner Grosshans. Die Idee dahinter, ist jedoch eine andere: "Medizinisch gesehen, ist eines ganz klar: es ist auf jeden Fall besser weniger zu trinken, als weiterhin wie bisher."

(ham)
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