Fortschritte in der Forschung Der kritische Blick ins Gehirn

Düsseldorf (RP). Die Hirnforschung macht rasante Fortschritte. Wissenschaftler untersuchen die Möglichkeit der Verbindung von Denkapparat und Computer. Welche Einflüsse kann es von außen geben? Müssen wir künftig ferngesteuerte Menschen fürchten?

 Das Schizophrenie-Risiko liegt im Gehirn.

Das Schizophrenie-Risiko liegt im Gehirn.

Foto: AFP, AFP

Ein Bewerbungsgespräch im Jahr 2030 könnte wie folgt ablaufen: Der Chef legt dem Job-Bewerber Drähte an den Kopf. Freundlich lächeln genügt nicht mehr. Ein gutes Zeugnis ebenso wenig. Der Bewerber wird mit dem Computer vernetzt; und der Rechner liefert die Daten, die für den potenziellen Arbeitgeber von Interesse sein können: Wie reagiert der Untersuchte auf Stress-Situationen? Was lässt ihn aus der Haut fahren? Dieser Hirnscan liefert schlussendlich verlässliche Antworten auf die Frage, ob der Bewerber eingestellt oder ob er nach Hause geschickt werden soll.

Noch ist dieses Szenario eine Vision. Noch kann der Mensch Gedanken nicht lesen. Doch die Erforschung unseres Gehirns schreitet stetig voran. Am Wochenende trafen sich in Düsseldorf Hirnforscher zu einem Kongress. Das Thema: "Die Gedanken sind frei". Es ging um "Hirnforschung und Persönlichkeitsrechte".

Und auf der Rednerliste standen neben verschiedenen Neurologen auch Mitarbeiter der Landesbehörde für Datenschutz und Informationsfreiheit sowie Philosophen. Die Gästeliste beweist: Längst ist die Hirnforschung keine rein medizinische Angelegenheit mehr. Längst wollen auch andere Disziplinen mitbestimmen, welchen Verlauf die Erforschung des menschlichen Gehirns nimmt. Denn wenn alle Gedanken lesbar werden, so fordern es jene, die der Hirnforschung kritisch begegnen, müssen die Menschen in ihren Persönlichkeitsrechten geschützt werden.

Ungeahnte Möglichkeiten

Innerhalb von zwei Jahrzehnten entwickelte sich die Hirnforschung von einem Randgebiet zu einem der großen Wissenschaftszweige. "Wir befinden uns bei der Wissenschaft der Hirnforschung erst bei etwa zehn Prozent des Möglichen", sagt Georg Northoff. Der Magdeburger Philosoph und Neurologe ist einer der führenden seiner Zunft in Deutschland. Er glaubt: "Die Hirnforschung wird ein neues Selbstbild des Menschen erschaffen." Und er behauptet: "Irgendwann wird der Computer möglicherweise auch unsere Gedanken lenken können."

In den vergangenen Jahren sorgte besonders die Stammzellforschung für Konfliktstoff. Schon bald könnte sich das Problemfeld verlagern. Die Hirnforschung entdeckt nach und nach eines der letzten Geheimnisse des Menschen. Wie und was denken wir? Der Geheimcode in unserem Kopf wird erforscht, das komplizierte Gebilde aus vielen Nervenzellen, die aufeinander einwirken.

Auf der einen Seite steht das Horrorszenario: die Angst vor dem gläsernen Menschen, dessen Gedanken messbar oder gar steuerbar werden. Im stetigen Konflikt befindet sich die Hirnforschung hier mit der Philosophie. Die Streitfrage: Können Menschen, die selbst nur über ein normales Gehirn verfügen, ein menschliches Gehirn erforschen? Sind wir also in der Lage, mit den uns geschenkten Möglichkeiten dem Geheimcode in unserem eigenen Kopf auf die Schliche zu kommen? Diese Frage polarisiert.

Northoff sagt: "Unsere Forschung wird die Philosophie nicht überflüssig machen, aber sie wird sie grundlegend verändern. Wir lernen, dass psychische Krankheiten immer medizinische Ursachen haben." Das Denken über den Menschen könne ein Neues werden - die Erkenntnisse der Philosophie werden ergänzt durch konkrete medizinische Forschungsergebnisse aus der Hirnforschung.

Depressionen heilen

Neben all den Ängsten ist jedoch auch Zuversicht angebracht. Hirnforschung kann heilen helfen: Depressionen, eine der größten und schädlichsten Volkskrankheiten, werden durch neue Entwicklungen vielleicht behoben.

Northoff entwickelte eine Technik, mit der Patienten das eigene Gehirn betrachten können und jene Regionen entdecken, in denen das Gehirn zu wenig arbeitet, die Depression entsteht. Northoff behauptet, dass, indem sich der Mensch sich seiner schwachen Zone bewusst wird, eine Heilung möglich ist. Er selbst hat sich testweise sein Gehirn einmal scannen lassen. Er ist zufrieden mit dem Ergebnis, sagt er.

Die Erforschung der Vorgänge im Gehirn, die Entdeckung der neuronalen Codes, ist ein Wettlauf der Forscher. Noch ist keiner der Ziellinie nahe: "Da tappen wir derzeit noch völlig im Dunkeln" gesteht auch Northoff ein. Auf den Tag, an dem der Code geknackt ist, an dem die Wissenschaft also das menschliche Gehirn versteht, arbeiten sie alle hin. Dabei geht es genau genommen ja nur um zweieinhalb Pfund in Wasser schwimmende Körpermasse. Doch in der befinden sich 100 Milliarden Nervenzellen. Wenn die Entwicklung in den kommenden Jahren so rasant voranschreitet, dann könnte das Geheimnis um unser Gehirn bald geknackt werden. Vielleicht ja schon 2030.

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