Krach schädigt Nervenzellen Kopfhörermusik — so laut wie Presslufthammer

Mönchengladbach/Münster (RPO). Schlecht hören, tun nicht nur die Alten. Schwerhörigkeit nimmt gerade unter jungen Menschen zu: Jeder fünfte 16- bis 20-Jährige kann nach Informationen des Deutschen Berufsverbands für Hals-Nasen-Ohren-Ärzte nicht richtig hören. Wann ist laut zu laut, und wie schützt man sich davor?

 Wie laut ist Flüstern und wie viel Dezibel macht eine Trillerpfeife - der Klick auf die Zommfunktion zeigt es.

Wie laut ist Flüstern und wie viel Dezibel macht eine Trillerpfeife - der Klick auf die Zommfunktion zeigt es.

Foto: Techniker Krankenkasse

Eine häufige Ursache für einen Gehörverlust bei jungen Menschen ist die Überlastung des Ohres. Die winzigen Härchen im Innenohr, die Geräusche in feinen Schwingungen als Signal an das Gehirn übertragen, werden verbogen oder brechen. Der Betroffene merkt das an einer sofortigen Schwerhörigkeit oder einem Klingeln oder Rauschen im Ohr. Mediziner sprechen dann von einem Schall- oder Lärmtrauma.

"Im günstigeren Fall richten sich die Härchen nach einigen Stunden von alleine wieder", erklärt Dr. Thomas Wacker, Hals-Nasen-Ohrenarzt aus Mönchengladbach. Die Hörprobleme können aber auch lebenslang bleiben. Der Grund ist die häufige laute Musik aus den Kopfhörern des mp3-Player, in Diskotheken oder auf Live-Konzerten. 100 Dezibel (dB) und mehr dröhnen da auf die Ohren. Das entspricht etwa einem Presslufthammer in wenigen Metern Entfernung.

Wie ständiger Lärm sich auswirkt

Durch ständigen Lärm steigt auch das Risiko für chronische Ohrgeräusche wie zum Beispiel ein Tinnitus. Wer also den Lautstärkeregler von mp3-Player oder Smartphone aufdreht, um Hintergrundgeräusche zu übertönen, riskiert Hörschäden. Forscher der Universität Münster haben in einer Studie nun Anzeichen dafür gefunden, dass durch die lauten Geräusche sogar Nervenzellen geschädigt werden — im normalen Hörtest zeigt sich das zwar nicht, Messungen der magnetischen Gehirnaktivität deuten aber darauf hin.

In Deutschland haben mittlerweile schätzungsweise 14 Millionen Menschen einen Hörschaden. Der Berufsverband der HNO-Ärzte schlägt deshalb Alarm: Lautstärken über 85 Dezibel verkraften die Ohren nicht unbeschadet, wenn sie diesem Lärmpegel über eine längere Zeit oder dauernd immer wieder ausgesetzt sind. Sie Sinneszellen werden durch den Lärm, der in etwa so laut ist wie dichter Straßenverkehr, geschädigt. Die Fähigkeit, ein bestimmtes Geräusch aus Hintergrundgeräuschen herauszuhören, ist dann stark eingeschränkt.

Das Gehör vergisst nie

"Offenbar leidet das Vermögen des Gehirns, akustische Signale aus Hintergrundrauschen heraus zu filtern. Wir vermuten, dass dieses Defizit mittel- bis langfristig nicht mehr durch verstärkte Aufmerksamkeit kompensiert werden kann — das könnte dann zur Entstehung von Hörbeeinträchtigungen, Geräuschüberempfindlichkeit und Tinnitus beitragen", kommentiert Dr. Henning Teismann, der zusammen mit japanischen Wissenschaftlern am Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse der Medizinischen Fakultät Münster zwei Gruppen junger Erwachsener im Alter von rund 24 Jahren untersuchte.

Langfristige Erfahrungen fehlen allerdings noch, doch in den letzten Jahren haben sich mp3-Spieler und Handys mit Kopfhörerbuchse stark verbreitet — Freizeitlärm im Hosentaschenformat liefern etwa Smartphones gleich mit. Das verführt zu einem Dauerkonsum, der für das Gehör gefährlich werden könnte. Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die Quittung folgt nicht unbedingt auf dem Fuße folgen muss. Das Gehör vergisst nie.

Schutz durch moderne Kopfhörer

Wenn es im Hintergrund laut ist, etwa in Bus und Bahn, drehen viele Menschen die Lautstärke hoch. Dadurch sind Musik und Sprache aus den Kopfhörern zwar besser zu hören, die Geräusch-Belastung steigt aber massiv. "Wir möchten für die Gefahren sensibilisieren", sagt Teismann. Doch Verzicht sei nicht unbedingt nötig, um sich vor Schäden zu schützen: "Das Wichtigste ist, das man die Lautstärke nicht zu sehr aufdreht. Darüber hinaus sind heute moderne Kopf- und Ohrhörer mit Antischall-Technologie auf dem Markt. Störende Hintergrund-Geräusche werden durch gegenpolige Frequenzen, die dem Audio-Signal automatisch beigemischt werden, ausgelöscht." Der Nutzer kann die Musik nun bei niedrigerer Lautstärke genießen, da Störgeräusche nicht übertönt werden müssen. Wer sich für klassische Kopfhörer entscheidet, die auf den Ohrmuscheln aufliegen oder sie vollständig umschließen, sollte zu geschlossenen Bauformen greifen. Störgeräusche werden dann mechanisch wirksam passiv gedämpft — und auch für die Mitmenschen sinkt die Geräuschbelastung.

Diese Gefahren lauern aufs Gehör

Mediziner haben aber nicht nur Jugendlich im Blick: Ebenso bei Senioren, Industriearbeitern, in Kinderzimmern, Hobbykellern und Konzerthallen droht den Ohren Gefahr. Am Arbeitsplatz ist ab einer Belastung von 80 Dezibel ein Ohrschutz vorgeschrieben, doch im privaten Bereich malträtiert der Freizeitlärm das Hörorgan meist ungefiltert. Manche Heimwerkergeräte bringen es auf 100 Dezibel. Der absolute Hörknaller sind Spielzeugpistolen, die einen Pegel von bis zu 180 Dezibel erreichen. Ihr Knall steht dem von Bundeswehr-Gewehren nicht nach, warnt die Fördergemeinschaft Gutes Hören. Das Gehör von Kindern reagiert zudem noch sensibler auf Lärm als das erwachsene Gehör. Babyrasseln, Spielzeughandys oder Knackfrösche sollten darum Kindern nicht direkt ans Ohr gehalten werden.

Wann laut zu laut wird

Die Schwelle, ab der sich ein normal hörender Mensch unwohl fühlt, weil es ihm zu laut wird, liegt bei 80 bis 85 Dezibel. Die Schmerzgrenze des menschlichen Gehörs liegt bei etwa 120 Dezibel. Sowohl kurzzeitige Belastungen durch extreme Schallspitzen als auch eine Dauerbelastung mit Lautstärken von 85 dB können das Gehör schädigen. Bei andauernder Lärmbelastung beginnt der Hörverlust meist schleichend. Die Betroffenen bemerken ihn anfangs oft nicht. Dabei tritt zunächst ein Verlust des Hörvermögens für höhere Frequenzen auf. Die Krankenkasse AOK weist darauf hin, dass ein Hörverlust von nur zehn Dezibel bereits eine erhebliche Einschränkung des Hörens bedeutet.

Lärm schadet nicht nur den Ohren

Schallbelastungen über 80 Dezibel gefährden laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin nicht nur die Ohren. Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass das Risiko für Unfälle, Herz-Kreislauferkrankungen und Bluthochdruck bei dieser Lärmbelastung schon erhöht ist. Auch schon Lärm unter 80 dB-Marke ist Stress für den Körper und kann zur Beeinträchtigung von Gesundheit, Leistung und Befinden führen.

Das Schlimme ist: Was an den Sinneszellen im Ohr einmal zerstört ist, kann nicht mehr repariert werden. Um Schwerhörigkeit vorzubeugen, sollte man sich vor Krach schützen. "Hören Sie zum Beispiel Musik nur in angemessener Lautstärke oder verzichten Sie auf ständige Hintergrundmusik", rät Dr. Johanna Hoffmann, Ärztin im AOK-Bundesverband anlässlich des Internationalen Tags gegen Lärm. Wer in Clubs oder zu Konzerten geht, sollte Abstand von den Boxen halten und Ohrstöpsel tragen. Die gibt es bei jedem Hörakustiker, in Drogeriemärkten oder Apotheken für wenig Geld. Für Musikliebhaber bieten Hörakustiker diesen Hörschutz mit einem speziellen Filter an, der alle Tonfrequenzen gleichmäßig dämpft und dadurch unverzerrten, natürlichen Klang bringt.

Erholung für die Ohren.

"Nach Perioden lauter Musik sollte man den Ohren eine Ruhepause gönnen. Dadurch können sich die beanspruchten Haarzellen im Innenohr regenerieren", erklärt Hoffmann. Wer seine Ohren allerdings zu häufig Lärm aussetzt, der riskiert, dass die Haarzellen nach und nach absterben. Sie bilden sich nicht mehr neu. Hat man das Gefühl, wie mit Watte in den Ohren zu hören, ist das Gehör überstrapaziert worden. Geht das mit dem Gefühl einher, schlechter zu hören als vorher, sollte man zeitnah zur Gehörinspektion zum HNO-Arzt.

Eine Hörminderung sollte man nicht ausblenden. Denn je länger man sie unbehandelt lässt, desto schlimmer wird sie. Ein Anzeichen für Schwerhörigkeit kann es sein, wenn man häufig einfache Aussagen missversteht und nachfragen muss. Mit einem Hörtest kann dann der Arzt untersuchen, ob tatsächlich eine Schwerhörigkeit vorliegt und woher sie stammt. Sollte ein Hörgerät nötig sein, empfehlen die HNO-Ärzte dieses so früh wie möglich anzupassen. Nur so kann man verhindern, dass zentrale Leistungen des Gehirns weiter trainiert werden. Denn die Fähigkeit des Gehirns, Sprache zu erkennen, lässt nach, wenn es nicht ständig mit Reizen versorgt wird. Hier finden Sie Zahlen und Fakten zum Thema Hören und Lärmbelastung.

(wat)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort