Herzrhythmusstörungen Schnellere Hilfe gegen Vorhofflimmern

Düsseldorf · Diese Herzrhythmusstörung ist in Deutschland eine Volkskrankheit. Viele Betroffene profitieren von raffinierten Kathetersystemen.

Herzrhythmusstörungen: Schnellere Hilfe gegen Vorhofflimmern
Foto: Shutterstock/ Pathompong Chai-onnom

Als es erstmals auftrat, glaubte Hildegard Schinz aus Neuss, in ihrem Herzen werde das Gaspedal durchgetreten. Der Motor begann zu rasen und zu stolpern, sie bekam Luftnot und fühlte sich schlapp. Die Krise hielt sechs Stunden an. Als sie Tage später erneut auftrat, ging die 63-jährige Rechtsanwaltsgehilfin direkt zum Arzt, der ein EKG schrieb und die Ursache des Übels sah: Vorhofflimmern. Sie bekam über Monate Medikamente, die Nebenwirkungen hatten und wenig halfen - der Zustand war für Frau Schinz unerträglich. Da sagte ihr Kardiologe: "Jetzt müssen die Rhythmologen ran!" Frau Schinz verstand nichts. Sie wurde in die Düsseldorfer Uniklinik geschickt.

Dort nennt der Kardiologe Christian Meyer Vorhofflimmern (VHF) eine "Volksseuche". In Deutschland sind rund eine Million vorwiegend ältere Menschen von dieser Herzrhythmusstörung betroffen. Die Dunkelziffer der Patienten, die ihr Vorhofflimmern gar nicht bemerken, ist hoch. Mittlerweile landen weit über 240 000 Menschen pro Jahr mit Vorhofflimmern im Krankenhaus, das sind mehr als frische Infarkte.

Bei einem Gesunden hält ein raffiniertes Pumpsystem den Blutkreislauf rhythmisch tadellos in Gang: Per elektrischer Energie können sich die Herzkammern zusammenziehen und wieder ausdehnen - zu, auf, zu, auf, von der Wiege bis zur Bahre. Bei der Kontraktion (zu) pumpt das Herz das Blut weiter, bei der Entspannung (auf) laufen die Kammern wieder voll. Die elektrische Energie wird aus besonderen Herzmuskelzellen im rechten Vorhof, dem Sinusknoten, versandt. Er ist das Metronom des Herzens. Damit die Hauptkammern im Takt folgen können, wird der Rhythmus über eine Art Zellbrücke, den sogenannten AV-Knoten, vom Vorhof zur Hauptkammer geleitet. Er dient als mäßigender Kollege des Sinusknotens. Was im Vorhof an mitunter stürmischer Energie aufflammt, fängt der AV-Knoten wieder ab.

Dieses komplexe System ist anfällig für Störungen. Ist ein Herz bereits vorgeschädigt (etwa durch Verengung der Kranzgefäße, einen Herzklappenfehler oder Bluthochdruck), bekommt das auch der Rhythmus zu spüren; Alkohol, Hormone und das Nervensystem setzen ihm ebenfalls zu. Neue Studien zeigen überdies, dass Vorhofflimmern vererbt werden kann.

So gefährlich wie Kammerflimmern, das unbehandelt zum Herzstillstand führt, ist Vorhofflimmern zwar nicht. Trotzdem muss auch hier, eine Herz-Etage höher, der ärztliche Elektriker kommen, wenn Turbulenzen entstehen. Oft feuern sie aus den Mündungen der vier Lungenvenen und torpedieren den Grundrhythmus. Das ist nicht nur unangenehm, es erhöht auch das Risiko eines Schlaganfalls. Wenn es im Vorhof flimmert, kann sich in seinen Ausbuchtungen ein stiller See aus Blut bilden. In diesem Totwasserraum entstehen Blutgerinnsel, die ins Gehirn ausgespült zu werden drohen. Viele Schlaganfälle gehen auf Vorhofflimmern zurück. Meyer: "Viele Patienten merken leider erst an ihrem Schlaganfall, dass sie an Vorhofflimmern leiden."

Zur Vermeidung dieser Gefahr stehen Medikamente zur Verfügung, die VHF beenden können. Sie sind aber nicht besonders effektiv, wenn es chronisch geworden ist, und haben oft Nebenwirkungen. Nun, sagte ihr Arzt noch, sollte Frau Schinz zu Ärzten in die Uniklinik, die VHF mit Strom, Hitze und Kühlung beseitigen. Frau Schinz verstand noch weniger. Hitze? Strom? Kühlung? Was soll da passieren?

Seit einigen Jahren rücken Ärzte dem Vorhofflimmern mit einem minimal-invasiven Eingriff zu Leibe: der Katheter-Ablation. Mit speziellen Kathetern, die über die Leistenvene in den linken Vorhof geschoben werden, können sie die unkoordinierten Impulsbahnen im linken Vorhof veröden. Dabei ziehen sie mit Hochfrequenz-Strom sogenannte Läsionslinien im Bereich der Mündungen der Lungenvenen. Dieses Verfahren isoliert die Lungenvenen elektrisch vom übrigen Vorhof ab. Vorher haben sie mit ebendiesem Katheter auch ein 3D-Bild vom Vorhof gemacht, der beim Eingriff als virtuelle Landkarte dient; das nennt man Mapping.

Wer dort den Katheter führt, ist nicht nur Kardiologe - er ist Rhythmologe, so wie Meyer und sein Kollege Dong-In Shin, der ein neues Modell bei Frau Schinz verwendet. Beide schwören auf das Nmarq-System, einen Multifunktionskatheter mit mehreren Elektroden, der zugleich kühlt. Kälte bei Hitze ist wichtig, weil hinter dem linken Vorhof die Speiseröhre sitzt. Da kann es zum Schmorschaden kommen, einer gefürchteten Nebenwirkung. Das Nmarq-System verkürzt die Prozedur überdies drastisch.

Wer miterlebt, wie Shin immer wieder prüft, ob nicht irgendwo Restpotenziale lauern, die er entschärfen muss, bekommt einen Einblick in Hochleistungsmedizin. Shin: "Der Erfolg des Eingriffs hängt entscheidend von der Qualität der Untersucher ab." Und vom Kontakt im Team: Shin ist beim Eingriff in ständigem Kontakt zu den Kollegen Meyer, Hisaki Makimoto, Christiane Peiker, Claudia Gansel und Elisabeta Gharib. Gemeinsam wird immerzu geprüft, isoliert. Und am Ende heißt es lapidar: "Kein Flimmern mehr auslösbar!" Als Frau Schinz aus der Kurznarkose aufwacht, geht es ihr blendend. Ihr VHF ist vermutlich für immer gebannt.

Die Uniklinik Düsseldorf ist Ausbildungszentrum für Rhythmologen. Mancher Kardiologe, der die Rhythmologie nebenbei betreibt, wird hier noch einmal geschult; in kleineren Häusern werden Ablationen nicht so oft gemacht, dann fehlt dem Operateur die Lernkurve. Mit mitunter herben Folgen: Die Komplikationsrate liegt bei zwei Prozent. Allein Erfahrung, Geduld und Sorgfalt können Gefahren bannen. Andernfalls verläuft ein Eingriff oberflächlich, "und der elektrische Schmutz wird nicht komplett weggeschrubbt", sagt Gerhard Hindricks, Chef-Rhythmologe am Herzzentrum Leipzig. Und dann kommt es, wenn die Hitzebahnen vernarbt sind, doch wieder zu Löchern in der Verteidigungslinie und zum Wiederauftreten von VHF.

Bei Patienten, die ihr VHF allenfalls gelegentlich spüren, ist die Katheter-Behandlung effektiver als bei denen, die schon lange und dauerhaft darunter leiden. Ungeeignet ist sie für Flimmerer ohne Leidensdruck. Meyer: "Patienten müssen wirklich hochsymptomatisch sein, dann können sie - wenn die Voraussetzungen stimmen - langfristig effektiv abladiert werden." Bei allen anderen Flimmerern steht vor allem die ausreichende Blutverdünnung im Mittelpunkt.

Hauptsache: kein Schlaganfall!

(RP)
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