Schlaganfall und Herzinfarkt vorbeugen Bei wem Aspirin das Herz schützt und bei wem nicht

Düsseldorf · ASS – weltweit als Aspirin bekannt – kommt nicht nur als Schmerzmittel zum Einsatz. In einer Mini-Dosierung von 100 Milligramm kann es auch Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern. Dennoch sollte es nicht jeder wahllos schlucken. Beim wem schützt das Mittel das Herz, und wann ist die Einnahme sogar riskant?

 Nach einem Herzinfarkt soll die Dauereinnahme von ASS einen weiteren Infarkt verhindern. (Symbolbild)

Nach einem Herzinfarkt soll die Dauereinnahme von ASS einen weiteren Infarkt verhindern. (Symbolbild)

Foto: Shutterstock/sfam_photo

Wenn Menschen einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall haben, leben sie danach mit einem höheren Risiko erneut einen solchen zu bekommen. Um dem vorzubeugen, verschreiben Mediziner Acetylsalicylsäure (ASS ).

Schätzungen zufolge nimmt rund ein Drittel der Erwachsenen über 40 Jahre jedoch ASS täglich in geringer Dosis ein, sagt Joachim Weil, Vorstandsmitglied der Deutschen Hochdruckliga. Manche tun das auf Rat des Arztes, um einem weiteren Schlaganfall oder Herzinfarkt vorzubeugen. Rund 30 Prozent dieser Menschen nehmen das Mittel laut Weil allerdings, ohne jemals einen Herzinfarkt oder ein anderes Herzproblem gehabt zu haben (Primärprävention).

Unstrittig ist in der Medizin die sogenannte Sekundärprävention. Bei dieser soll die tägliche Einnahme von 100 Milligramm ASS die Verklumpung von Blutplättchen (Thrombozyten) hemmen. Damit wirkt es der Verstopfung von Gefäßen entgegen. Genau diesen Effekt nutzt man zur Vorbeugung weiterer Herz-Kreislauf-Ereignisse, der häufigsten Todesursache hierzulande.

Studien zeigen, dass die regelmäßige Einnahme von 100 Milligramm ASS pro Tag über ein Jahr bei bis zu zwei von 100 Patienten mit koronarer Herzkrankheit einen Herzinfarkt oder Schlaganfall verhindert. Aus diesem Grund gilt diese Verordnungspraxis, die in der Medizin auch als Sekundärprävention bezeichnete wird, als Standard.

Kritisch wird hingegen der Nutzen in der Primärprävention betrachtet, also bei den 30 Prozent der Menschen, die ohne jemals einen Herzinfarkt oder ein anderes Herzproblem gehabt zu haben zum Aspirin greifen. Nicht immer ist dabei der Arzt mit im Boot. Ein Drittel dieser Patienten nimmt ASS dabei auf eigene Faust, schätzt Weil.

Schwierig ist das aus Sicht der Mediziner aufgrund möglicher Nebenwirkungen, zu denen vor allem schwere Blutungen im Verdauungstrakt oder im Gehirn zählen. Diese haben Patienten, die ohne ärztlichen Rat zu ASS greifen, meist nicht im Blick. Zwar reduziert Acetylsalicylsäure laut einer im Januar 2019 erschienen Studie das Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko bei gesunden Menschen um elf Prozent. Dafür steigt jedoch die Gefahr einer inneren Blutung um 43 Prozent an.

Die Gründe für die Einnahme in Eigenregie sind vielfältig: „Manche greifen, obwohl funktionelle Ursachen ausgeschlossen wurden, immer dann zu ASS, wenn sie ein Druckgefühl in der Brust haben“, berichtet Thomas Meinertz, Kardiologe und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Herzstiftung. Das jedoch ohne ärztliche Abklärung rein situativ und kurzzeitig zu tun, sei inkonsequent und auch unsinnig.

„Wichtiger wäre es manchmal, Sport zu treiben, sich gesund zu ernähren, abzunehmen und Risikofaktoren für kardiologische Vorfälle zu reduzieren. Was viele nicht bedenken: Auch geringe Mengen ASS wirken blutverdünnend oder können Blutungen hervorrufen“, sagt Meinertz. Weit verbreitet sei daneben eine inkonsequente Einnahme. Dabei halte die Wirkung laut Weil noch sieben bis zehn Tage danach noch an.

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„Manche nehmen das Mittel, weil sie unter Diabetes oder einer Fettstoffwechselstörung leiden und gehört haben, dass es nützlich sein kann“, sagt Meinertz. Zwar haben Diabetiker im Vergleich zu gesunden Patienten ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Doch zeigen Studien, dass der Nutzen der Primärprävention nur gering ist. Das Risiko für größere Blutung jedoch stieg um 29 Prozent. „Ähnliches zeigten Studien der letzten fünf Jahre in Hinblick auf Patienten über 70“, sagt Weil.

Dennoch kann das Zusammentreffen mehrerer Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen ein Grund dafür sein, dass Mediziner die Gabe der Mini-Dosis ASS bereits ohne Herz-Vorgeschichte individuell anraten. „Allerdings beginnt die Primärprävention dann immer mit einer Änderung des Lebensstils“, sagt Weil. Erst wenn Patienten beginnen, sich gesünder zu ernähren, abzunehmen und sich mehr zu bewegen und zudem ihre Vorerkrankungen gut medikamentös eingestellt seien, komme laut den Kardiologen diese Möglichkeit in Betracht. In das Gespräch über die Risikoabwägung beziehen die Mediziner dann jedoch immer voraussetzend ein, dass der Patient gewillt ist, das Mittel lebenslang täglich einzunehmen.

Hilfreich bei der Verordnung in der Primärprävention könnten neue Forschungsergebnisse sein, die das Augenmerk auf verschiedene genetische Faktoren werfen, die das Risiko für eine krankhafte Plaqueablagerung in den Blutgefäßen (Atherosklerose), für Herzinfarkte oder Schlaganfälle erhöhen können. Rund 63 Prozent der Menschen in Westeuropa tragen beispielsweise einen Risikoabschnitt in ihrem Erbgut, der die Einnahme von ASS in der Primärprävention sinnvoll erscheinen ließe. Das fand jüngst Thomas Keßler vom Deutschen Herzzentrum München in Kooperation mit Wissenschaftlern der Medical School in Boston heraus.

Trugen Menschen den Genabschnitt „rs7692387“ auf ihrem Erbgut sank bei einer primärpräventiven Behandlung mit ASS ihr Risiko für einen Herzvorfall um 21 Prozent. Nahmen hingegen Menschen ohne diese Risikovariante im Erbgut das Arzneimittel ein, stieg ihr Risiko um 39 Prozent an. Auch solche Erkenntnisse sprechen laut der Experten für die individuell zugeschnittene Prävention.

Grundsätzlich rät Weil von der Primärprävention mit ASS ab, wenn eine Allergie auf ASS bekannt ist oder ein allergisches Asthma Bronchiale vorliegt. Auch Patienten älter als 70 Jahre profitieren nach Ansicht des Experten nicht von einer Primärprävention. Gefährlich werden kann die Einnahme auch Patienten, die aufgrund von Vorhofflimmern oder anderen Vorerkrankungen Blutverdünner wie Marcumar, Xarelto oder Pradaxa einnehmen. Durch die zusätzliche Einnahme von ASS steige das Blutungsrisiko dann laut Meinertz um das bis zu Dreifache.

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