Neue Studien Wenn der Blutdruck nach dem Gurgeln ansteigt

Studien weisen auf das Risiko einer Hypertonie bei häufiger Nutzung antibakterieller Mundspülungen hin. Ein Experte warnt jedoch vor Panik.

Die Zubereitung einer Mundspülung.

Die Zubereitung einer Mundspülung.

Foto: KZV

Mehr als 4,5 Millionen Bundesbürger verwenden täglich Mundwasser – zum Schutz von Zähnen und Zahnfleisch, gegen Mundgeruch und Zahnbeläge. Und nicht, um Bluthochdruck dadurch zu bekommen. Aber genau dieser Verdacht steht nach Studien im Raum.

Mehr als 120 Jahre ist es her, als Karl Lingner in Dresden das erste Mundwasser entwickelte und es unter dem Namen „Odol“ auf den Markt brachte. Die Anregung dazu hatte er durch die wissenschaftliche Erkenntnis bekommen, wonach Karies, Zahnfleischentzündungen und andere Mundprobleme eine bakterielle Ursache hätten. Und deshalb dachte sich der findige Unternehmer, dass es gute Kaufargumente für eine antibakterielle Mundspülung gebe.

Mittlerweile erwirtschaften Mundspülungen Umsätze im Milliardenbereich, nicht zuletzt auch wegen ihrer nachgewiesenen antibakteriellen Wirkung. Doch jetzt steht ausgerechnet sie unter dem Verdacht, die Blutdruckwerte nach oben zu treiben.

Ein erstes ernsthaftes Verdachtsargument gab es im Jahre 2015, als australische Forscher 15 Bluthochdruck-Patienten drei Tage lang drei Mal täglich mit einem antibakteriellem Chlorhexidin-Mundwasser spülen ließen. Danach war ihr Blutdruck um durchschnittlich 2,3 mmHg höher als der Druck von Kontrollpatienten, die nur mit Wasser gespült hatten. Weitere Messungen im Mundraum ergaben außerdem, dass dort die Nitrat reduzierenden Bakterien zurückgegangen waren. Und das sei, wie Studienleiterin Catherine Bondonno von der University of Western Australia erklärt, vermutlich der Auslöser für die Blutdruckerhöhung.

„Denn die Bakterien in den Klüften des Zungenrückens überführen Nitrat in Nitrit, das – geschluckt und in den Blutstrom aufgenommen – zur Quelle von gefäßerweiterndem Nitritoxid (NO) wird“, so die Ernährungswissenschaftlerin. Ähnliche Befunde hätte man zuvor auch bei gesunden Probanden gehabt. Und bei Hypertonikern komme erschwerend hinzu, dass sie ohnehin schon eine eingeschränkte Produktion und Bioverfügbarkeit von NO hätten.

Eine jüngere US-Studie scheint den Verdacht auch in der Langzeitanwendung der Mundspülungen zu bestätigen. Das Forscherteam um den Harvard-Forscher Kaumudi Joshipura hatte nach einem dreijährigen Beobachtungszeitraum bei 540 Männern und Frauen festgestellt, dass diejenigen, die täglich zwei Mal oder öfter zur Mundspülung griffen, ein doppelt so hohes Risiko für Bluthochdruck hatten wie jemand, der auf die Anwendung verzichtete. Die Autoren betonen, dass bei der Studie nicht nach den Mundspül-Produkten unterschieden wurde; neben Chlorhexidin kamen also wohl auch andere antibakterielle Substanzen zum Einsatz, wie etwa ätherische Öle. Als Bluthochdruck wurden Werte über 140/90 mmHg definiert, so wie es auch hierzulande üblich ist.

Heribert Schunkert von der Deutschen Herzstiftung rät jedoch, „den Ball flach zu halten“, was den Hypertonie-Verdacht bei Mundspülungen angeht. „Ich würde keinem Patienten ernsthaft dazu raten, auf sein Mundwasser zu verzichten“, betont der Kardiologe. Denn der Mechanismus – Mundwasser reduziert Bakterien, die gefäßentspannendes NO reduzieren – sei bislang nicht aus dem Stadium der bloßen Spekulation herausgekommen.

Was dagegen belegt ist: dass eine mangelhafte Mundhygiene das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Denn Entzündungen im Zahnfleisch können im Körper andernorts Entzündungen verstärken, beispielsweise in verkalkten Arterien. In der Folge kommt es zu einer Arteriosklerose, die wiederum in Folgeerkrankungen wie Durchblutungsstörungen oder sogar Herzinfarkten ausmünden kann. „Aber gerade da könnte eine gute Mundhygiene ein Teil der Prophylaxe sein“, betont Schunkert.

Interessant findet er außerdem, dass die US-Forscher in ihrer Studie selbst eingestehen, dass gerade die besonders eifrigen Mundwasser-Konsumenten durch Merkmale auffielen, die man schlichtweg als gesundheitsschädigend einstufen muss. So fand man unter ihnen besonders viele Raucher, Diabetiker und Übergewichtige, während sie in puncto Bildung und Bewegung oft weit zurücklagen. „Die Autoren sagen zwar, dass man das alles herausgerechnet hätte“, erläutert Schunkert. „Doch das ist alles gar nicht so einfach“. Aus eigenen Studien wisse er, dass gerade der Bildungsstand eigentlich immer mitspielt, wenn es um das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen geht.

Letztendlich wäre es also möglich, dass nicht die Mundspülungen selbst zum Bluthochdruck beitragen, sondern diese Mittel in erster Linie von Menschen genutzt werden, die bereits von sich aus ein hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. So dürfte beispielsweise ein Raucher öfter darauf zurückgreifen, weil sein Zahnfleisch besonders anfällig für Entzündungen ist. Und ein bewegungsunwilliger Sofahocker könnte auch weniger Lust auf das tägliche Zähneputzen haben und zum Ausgleich auf das bequeme Mundspülen zurückgreifen. Nicht in der Mundspülung selbst, sondern in dem Motiv für ihre Nutzung könnte der Schlüssel zum erhöhten Blutdruck liegen.

Was für den Alltag bedeutet: Aus Angst vor Hypertonie sollte man nicht vorschnell sein Mundwasser im Klo hinunterspülen. Denn als Teil einer insgesamt funktionierenden Oralhygiene kann es sogar vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen. Was man aber machen kann: die Dosis verringern. Denn bei drei Mal täglich erhöht sich natürlich das Risiko, dass dabei auch nützliche Bakterienstämme in den Tiefen des Zungenrückens eliminiert werden.

Eine Alternative dazu wäre, dass man für die Mundhygiene chemische und gezielte mechanische Reinigungsmaßnahmen sinnvoll miteinander kombiniert. Dies erzielt laut einer aktuellen US-Studie offenbar auch besonders nachhaltige Effekte beim Entfernen der Zahnbeläge und beim Schutz vor Zahnfleischbluten und Parodontose. Die 200 Probanden putzten sich dazu zwei Mal täglich für eine Minute die Zähne, unterstützt von zwei halbminütigen Mundspülungen mit ätherischen Ölen und einer morgendlichen Fädelaktion mit Zahnseide. Macht in der Tagessumme einen Zeitaufwand von vier bis fünf Minuten, je nach Geschicklichkeit an der Zahnseide. Wer diese Zeit nicht aufbringen kann, sollte sich nicht wundern, wenn er Bluthochdruck hat. Denn Stress gehört zu dessen Standardursachen.

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