Ärzte IN „Früher war Deutschland mal die Apotheke Europas, jetzt hängen wir hinten dran.“

Düsseldorf · Beim Treff „Ärzte IN“ geht es am Mittwochabend auch um den aktuellen Medikamentenmangel. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann kann bei diesem Thema zumindest teilweise Entwarnung geben.

 Das Podium beim Ärzte IN (v.l.): Antje Höning, Leiterin der RP-Wirtschaftsrdaktion, Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, und NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU).

Das Podium beim Ärzte IN (v.l.): Antje Höning, Leiterin der RP-Wirtschaftsrdaktion, Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, und NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU).

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Arzneimittelknappheit, Cannabis-Legalisierung und eine Gebühr für Notdienste – beim Treff „Ärzte IN“, einer Veranstaltung der Rheinischen Post, ging es kontrovers, aber auch launig zur Sache. Dafür sorgten Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, und NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU).

Digitalisierung Gleich das erste Thema brachte den Kassenärzte-Chef auf Betriebstemperatur. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens sei „im Wesentlichen dysfunktional“, sagte er und kritisierte, dass vorhandene Prozesse einfach nur digitalisiert worden seien, anstatt sie gleich in Gänze zu hinterfragen. „Wir würden uns bei der Digitalisierung einen Neustart wünschen.“ Auch Laumann sagte, man könne mit dem Tempo bei der Digitalisierung nicht zufrieden sein. „Wenn unsere Banken so arbeiten würden wie unser Gesundheitssystem, hätten wir noch Verrechnungsschecks.“ Dabei könne die Digitalisierung bei einer sektorübergreifenden Vernetzung eine Chance sein, die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen zu verbessern – wie etwa beim virtuellen Krankenhaus. Auf die Frage, ob Ärzte Sorgen haben müssten, dass sie künftig dank smarter Apps ersetzbar seien, winkte Gassen ab: Der digitale Fortschritt werde die Arbeit der Mediziner verändern, sie aber nicht überflüssig machen. „Am Ende des Tages werden die meisten Menschen Wert darauf legen, mit einem Arzt oder Psychotherapeuten zu sprechen und nicht mit einem Chatbot.“

Arzneiengpässe Der Minister konnte zumindest Teilentwarnung geben. Er habe vom Großhandel die Rückmeldung, dieser sei in der Lage, die knappen Medikamente auf den Weltmärkten zu besorgen. „Ich glaube, dass wir die Engpässe damit ein bisschen in den Griff bekommen“, sagte er, warnte jedoch davor, dass der Antibiotikamangel weltweit vorherrsche. Man müsse wieder mehr Pharmaproduktion nach Europa holen, forderte er. Gassen pflichtete ihm bei: „Früher war Deutschland mal die Apotheke Europas, jetzt hängen wir hinten dran.“ Er kritisierte, dass drei Werke in Indien für die weltweite Produktion von Diabetesmedikamenten zuständig seien. „Globalisierung, so schön sich das auch anhört, bedeutet auch: Wenn es klemmt, klemmt es überall.“ Dass derzeit Antibiotikasäfte für Kinder nicht zu bekommen seien, bezeichnete Gassen als einen Offenbarungseid und forderte eine Rückverlagerung nach Europa. Laumann warnte jedoch vor überzogenen Erwartungen. „Ehe wir in nennenswertem Umfang wieder hier produzieren könne, sind wir alle fünf Jahre älter“, sagte der Minister.

Staatliches Medikamentendepot Bei der Frage, ob der Staat eine Notreserve anlegen solle, zeigten sich beide zurückhaltend. „Wenn man über Bevorratung nachdenkt, muss man schauen, wo man das macht“, sagte der Minister. Er riet dazu, dies nicht dem Staat zu überlassen. „Wir sind keine Logistiker.“ Stattdessen könne man das im Regelsystem, also beim Handel, ansiedeln und über eine staatliche Vorfinanzierung nachdenken.

Telefonische Krankschreibung Einigkeit herrschte, dass es sich dabei um eine Ausnahme gehandelt habe. „Bei Corona war das zu verantworten, aber generell finde ich schon: Wenn man ein Attest haben will, das auch eine materielle Seite hat, ist es richtig, in eine Hausarztpraxis zu gehen“, so der Minister.

Notfall-Gebühren Gassen hatte kürzlich gefordert, wer weiterhin direkt in die Notaufnahme gehe, ohne vorher die Leitstelle anzurufen, müsse gegebenenfalls eine Notfallgebühr entrichten. Laumann zeigte sich skeptisch. Schon die Praxisgebühr sei von den Ärzten selbst abgelehnt worden, weil sie keine Lenkungsfunktion entfaltet habe. Auch ihn ärgere es, wenn Menschen am Wochenende „für leichte Geschichten“ den Rettungswagen anriefen. Ob sie diesen Einsatz dann zahlen sollten? Laumann winkte ab. „Jeder zahlt 20 Prozent des Einkommens für die Krankenkassen.“

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So war „Ärzte IN“ im Oktober 2023 in Düsseldorf

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Foto: Bretz, Andreas (abr)

Cannabisfreigabe Launig wurde es beim Thema Legalisierung. Auf die Frage, ob er selbst mal gekifft habe, witzelte Gassen, er empfände fast ein bisschen Fremdscham: „Ich komme aus einer Zeit, wo das nicht ungewöhnlich war, aber ich ziehe Rotwein vor.“ Laumann bekannte: „Ich komm so mehr aus der Richtung Hochamt und Frühschoppen. Wir haben nach dem Hochamt nicht gekifft, sondern gesagt: Der Frühschoppen ist der schönere Teil vom Hochamt.“ Beide gaben sich klar als Gegner der Legalisierung zu erkennen. Laumann richtete den Fokus mehr auf harte Drogen: „Wir haben in NRW auch Drogentote. Das hängt auch mit dreckigem Stoff zusammen.“ Er sprach sich für die Einrichtung von Drogenkosumräumen aus. Dort hätten die Menschen die Möglichkeit, den Stoff auch überprüfen zu lassen.

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