Literatur Krötentöne

Düsseldorf · Kröten haben keinen guten Ruf. Sie gelten als Symbol für Ekel und Gier, dabei sind sie noch nicht einmal schleimig. Versuch einer Ehrenrettung.

  Foto: Kevin Prönnecke

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Jemand muss Kröten schlucken. In der Bibel gibt es die Krötenplage. Ein Geizhals zählt seine Kröten. Die kleinen Amphibien werden nur all zu oft mit etwas Schlechtem in Verbindung gebracht. Ein Blick auf Kunst und Religion der vergangenen Jahrhunderte zeigt den Grund dafür. Stets werden sie mit Wollust und Gier gleichgesetzt, sie sind Symbole der Sünde in den Werken von Hieronymus Bosch. Die meisten Menschen können Sie allerdings nicht von Fröschen unterscheiden, haben noch nie eine Kröte gesehen. Beatrix Langner hat sich der Kröten nun angenommen, sie will ihr Bild in der menschlichen Wahrnehmung verbessern. Langner begibt sich damit in das Genre des Nature Writing. Sie schreibt wissenschaftlich korrekt, aber literarisch – unterhaltsam und ernst zugleich.

„Es ist schon ein paar Jahre her, da drang an stillen Frühlingsabenden aus den Ritzen des Dielenbodens ein feines Fiepen, wie eine heisere Flöte“, schreibt Langner. Urheber sei eine Kröte gewesen, kaum länger als ihr halber Daumen. Ihre Recherche führte sie durch die vergangenen 2000 Jahre. Und durch unzählige Vorurteile und religiösen Irrglauben. Die Zeiten, in denen Kröten eine Plage waren, könnten lange hinter uns liegen – sind die Tiere doch in den meisten Gegenden der Welt vom Aussterben bedroht. Wäre da nicht der Mensch, der nur zu gerne eingreift. Und so beispielsweise die Aga-Kröte in die Karibik importierte. Dort sollte sie bestimmte Käfer auf den Zuckerrohrplantagen fressen. Die Kröte jedoch, ohne ihre natürlichen Feinde, breitete sich schnell aus und begann, so ziemlich alles – auch andere Krötenarten – zu fressen. Wenn schon keine natürliche Plage, dann eben eine menschengemachte.

Das Quaken der Frösche kennen die meisten, den Ruf einer Kröte jedoch kaum. Kröten pfeifen, sie geben einen hellen, leisen Ton von sich. Kein plumpes Gequake. Ihre behäbige Fortbewegung erweckt den Anschein großen Gewichts, auch wenn die meisten von ihnen nur wenige Gramm wiegen. Ihre warzige Haut, ihr schlammiger Lebensraum – Kröten leben bevorzugt dort, wo es feucht und kühl ist. Der Frosch hingegen hat den Aufstieg geschafft, ob als Handpuppe im Fernsehen oder als Symbol auf biologisch verträglichen Haushaltsreinigern. „Doch was hat es dem Frosch eingebracht?“, fragt Langner. Tonnenweise wird er aus Asien importiert und landet in französischen und badischen Kochtöpfen.

Beatrix Langner (68) promovierte im Fach Germanistik. Für eine Biografie über Jean Paul erhielt sie 2013 den Gleim-Literaturpreis. Vor „Kröten“ veröffentlichte sie „Die 7 größten Irrtümer über Frauen, die denken“. Ihre Begegnung mit einer Kröte im eigenen Heim brachte sie dazu, sich näher mit ihrem Mitbewohner auseinanderzusetzen. Literatur und Biologie sind für sie keine völlig getrennten Disziplinen. „Unser Schulsystem ist so, aber wenn wir uns über das eine unterhalten, blenden wir das andere ja nicht aus“, sagt sie.

Der Verlag Matthes & Seitz begann seine Buchreihe „Naturkunden“, in der nun auch „Kröten“ erschien, vor fünf Jahren. Während das Nature Writing, das literarische Schreiben über die Natur, im englischsprachigen Raum schon seit Jahren ein etabliertes Genre in den Buchläden ist, gibt es in Deutschland dafür noch immer keine eingängige Übersetzung. Und das, obwohl die Bücher der Reihe äußerst beliebt sind und von der renommierten Autorin Judith Schalansky herausgegeben werden. Schalansky wurde allein in diesem Jahr mit dem Irmtraud-Morgner-Literaturpreis und dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnet.

Der Verlag verleiht auch selbst seit zwei Jahren den Deutschen Preis für Nature Writing, zusammen mit dem Bundesamt für Naturschutz. Die Autoren, die in diesem Genre schreiben, wollen das Bewusstsein fördern, die Natur und alleine seine Bewohner zu wahrzunehmen und zu respektieren. Ausgezeichnet wurden in diesem Jahr Sabine Scho und Christian Lehnerts.

Langner listet keine Fakten auf, sondern sie erzählt eine Geschichte. Die Geschichte der Kröten – aus deren Sicht. „Unten am Fluss raschelt und knistert das Eis wie Seidenpapier. Glasiger Schorf bedeckt die Uferzonen um die gedrungenen Weiden. Aber tief unter Schnee und Eis atmet es, sacht und leise, durch tausend winzige Kehlen.“ Langners Buch beginnt, kurz bevor im Frühling Natur und Kröten erwachen. Sie begleitet die Tiere auf ihrem jährlichen Weg zurück ins Leben. Der Leser wird in kahle Gebirge und heiße Sandsteppen geführt. Überall dort, wo Kröten heimisch sind.

Doch nicht immer geht es so idyllisch zu. Forscher experimentierten über Jahrhunderte an Kröten, schnitten sie auf, jagten Strom durch ihre Körper. Niederen Tieren wurde lange Zeit die Fähigkeit abgesprochen, Schmerz empfinden zu können. Selbst in Schulklassen der Neuzeit war das Zerlegen von Fröschen noch Usus, wenn auch nicht bei lebendigem Leibe.

Der Apothekerfrosch – eigentlich Krallenfrosch – verdankt seinen landläufigen Namen seiner Verwendung. Apotheker injizierten dem Tier noch bis in die 1960er Jahre Urin von Frauen, die wissen wollten, ob sie schwanger sind. Begann das Tier, durch die im Urin enthaltenen Hormone zwölf bis 24 Stunden nach der Injektion zu laichen oder Sperma zu produzieren, war der Test positiv.

Auch Jochen Reiter, Direktor des Aquazoo Löbbecke Museum, hat das Buch mit Begeisterung gelesen: „Ich habe es zweimal gelesen und keine Fehler gefunden.“ Ein großes Lob für die Autorin, die sich das nötige biologische Fachwissen selbst aneignete. Das Lob sei umso bedeutender, sehe man sich die Komplexität der Lurche, Frösche und Kröten an. „Es vergeht kein Monat, in dem nicht irgendwo auf der Welt eine neue Art entdeckt wird. Die Systematik wird ständig revidiert“, erklärt Reiter.

Reiter und Langner mahnen, dass inzwischen selbst Naturforscher Mühe hätten, eine Kröte in freier Wildbahn zu beobachten. Zu weit habe sich der Mensch ausgebreitet, zu schlecht sei das Bild der Tiere. Mit ihrem Portrait der Kröten will Langner die Wahrnehmung verändern und fordert mehr Respekt für all jene, die sich für die Tiere einsetzen, sie über Autobahnen tragen und ihnen Tunnel bauen.

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