Song des Spieltags Ab in die Interpretationsfalle

Düsseldorf · Unser Autor stellt an jedem Montag den Song des Spieltages und seine Geschichte vor. Denn an jedem Wochenende lehren die TV-Kommentatoren : "Solche Geschichten schreibt nur der Fußball" – und jede hat einen Soundtrack verdient. Diesmal: "Bohemian Like You" von den Dandy Warhols.

 Schwer zu finden: Eine der wenigen Fotos vom Spiel Bayern München gegen Hoffenheim, auf denen gerade kein Tor fällt.

Schwer zu finden: Eine der wenigen Fotos vom Spiel Bayern München gegen Hoffenheim, auf denen gerade kein Tor fällt.

Foto: afp, GUENTER SCHIFFMANN

Unser Autor stellt an jedem Montag den Song des Spieltages und seine Geschichte vor. Denn an jedem Wochenende lehren die TV-Kommentatoren : "Solche Geschichten schreibt nur der Fußball" — und jede hat einen Soundtrack verdient. Diesmal: "Bohemian Like You" von den Dandy Warhols.

Die Intention des Autors mag literaturwissenschaftlich betrachtet Blödsinn sein. Im Deutsch-LK spielt sie mitunter eine große Rolle, und man sollte froh sein, dass Jupp Heynckes Fußballtrainer geworden ist. Als Schriftsteller hätte er Generationen von Abiturjahrgängen und Oberstudienräten in die Interpretationsfalle gelockt. Jüngstes Beispiel: der schöne Satz "Babbel hat in Hoffenheim Solidität reingebracht, die Mannschaft spielt gut Fußball". Beim Gastspiel in München wirkten die Hoffenheimer allerdings wie Teenager, die sich das falsche Vorbild gesucht haben. Es schien, als hätten sie im Kraichgau die Barca-Show unter der Woche gegen Leverkusen gesehen, und aus völlig schleierhaften Gründen beschlossen, es fortan wie Leverkusen zu machen. Der Song des Spieltages ist "Bohemian Like You" von den Dandy Warhols.

Ein wahrer Bohemien gibt ja auch nicht viel auf das, was über ihn geredet wird. "Gut Fußball", sagte Heynckes vor den 90 Minuten, aber Hoffenheim spielte wie ein Kegelclub beim Freitzeitkick nach dem Frühschoppen. Was Kegler beim Kicken dürfen, ist in der Bundesliga jedoch so daneben, wie ein Popstar, der für die Fullplaybackshow die Musik vom Band vergisst. Hoffenheim agierte saftlos. Kraftlos. Wenn Brasilianer für ihre Ballkunst gelobt werden, spielte die TSG wie eine Truppe Trümmer-Brasilianer.

Das Zweikampfverhalten schien sich die Mannschaft von den Bayer-Spielern gegen Messis Barcelona abgeguckt zu haben: Sie standen staunend daneben, immer einen Schritt zu spät. Die Dandy Warhols singen "'cause I like you yea I like you and I'm feeling so bohemian like you”. Natürlich darf man auch als Fußballprofi bewundernd auf Kollegen wie Messi, Ribéry oder Robben schauen. Aber in der Welt der Bohemien geht es bisweilen für Außenstehende merkwürdig zu. Möglicherweise werden Zweikämpfe dort manieriert ausgetragen, in der Bundesliga geht das nicht. Eine Grätsche ist und bleibt eine Grätsche. Darauf zu verzichten endet in der Regel mit einer Klatsche.

Dabei hat ein Verteidiger natürlich das Recht, zum Beispiel die Frisur von Mario Gomez zu bewundern. Er darf auch darüber rätseln, dass sie selbst beim schweißtreibenden Hochleistungssport so erstaunlich gut sitzt. Aber er sollte nicht den Anschein erwecken, als würde er auf dem Platz darüber rätseln. "I really love your hairdo yea I'm glad you like mine too”, heißt es bei den Dandy Warhols. Vielleicht wünscht sich manch 1899er den ein oder anderen Stylingtipp vom Starfriseur in München für den heimischen Coiffeur in Hoffenheim wie die Bayer-Kicker vor kurzem das Trikot von Messi. Zuviel Ehrfurcht aber sollte das nicht wecken. Auf dem Platz geht es immer noch um Fußball.

Wenn die Hoffenheimer so weitermachen wie in München, spielen sie dort in der nächsten Saison nur noch bei 1860. Die einzigen Gewinner waren die Ersatzspieler und Jupp Heynckes. Die Ersatzspieler konnten immer noch hoffen, nicht eingewechselt zu werden und am Debakel mitwirken zu müssen. Und Jupp Heynckes hat einen Satz mit erstaunlich viel Interpretationsspielraum kreiert. Die Frage ist, welcher literarischen Epoche man ihn zuordnen darf. Bei Markus Babbel ist dies einfacher, er ist ein Vertreter des neuen Realismus. Nach dem Spiel in München sagte er: "Ich bekomme hier regelmäßig auf die Mütze".

(seeg)
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