Brüssel Erdogan: Türkei warnte vor Attentäter

Brüssel · Ignorierten belgische Behörden Hinweise auf einen der Mörder von Brüssel? Diesen Vorwurf erhebt Ankara. Belgische Ermittler sehen Verbindungen zu den Anschlägen von Paris. Unter den Toten vom Dienstag könnte eine Aachenerin sein.

Einer der Attentäter von Brüssel war offenbar schon länger als Terrorist bekannt. Die Türkei warnte die belgischen Behörden nach Angaben des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vor einem der Täter. Der Verdächtige sei im Juni 2015 im südtürkischen Gaziantep an der syrischen Grenze gefasst und anschließend ausgewiesen worden, sagte Erdogan. Die belgischen Behörden seien von der Türkei im Juli darauf hingewiesen worden, dass es sich um einen "ausländischen terroristischen Kämpfer" handele. Trotzdem hätten die Belgier den Verdächtigen freigelassen.

Der belgische Justizminister Koen Geens wies den Vorwurf zurück. El Bakraoui habe in Belgien keine terroristischen Straftaten begangen, sagte er gestern Abend dem Sender VRT. Als El Bakraoui von der Türkei ausgewiesen wurde, sei er lediglich als normaler Straftäter auf Bewährung bekannt gewesen. El Bakraoui sei auch nicht nach Belgien, sondern in die Niederlande abgeschoben worden, sagte Geens.

Die israelische Zeitung "Haaretz" schrieb, die belgischen Behörden hätten "mit großer Sicherheit" gewusst, dass Anschläge am Flughafen und offenbar auch in der Metro geplant seien. Auch andere westliche Geheimdienste seien im Bilde gewesen. Das Blatt nannte allerdings keine genauen Quellen. Nach bisherigen Erkenntnissen seien die Anschläge in der syrischen Stadt Rakka geplant worden, schrieb "Haaretz".

Insgesamt kamen in Brüssel nach neuen Angaben mindestens 31 Menschen ums Leben. Unter den mehr als 300 Verletzten sind mehrere Deutsche. Möglicherweise starb eine Frau aus Aachen. Ihr Ehemann sei schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert worden, teilte die Aachener Polizei mit; der Verbleib seiner Frau sei ungeklärt. Weil Deutsche verletzt wurden, ermittelt nun auch die Bundesanwaltschaft.

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Unterdessen verdichten sich die Hinweise, dass die Anschläge von Paris im November 2015 auf dieselbe Terrorzelle zurückgehen. Die belgische Staatsanwaltschaft identifizierte die Brüder Ibrahim und Khalid El Bakraoui als zwei der drei Selbstmordattentäter vom Dienstag. Beide waren belgische Staatsbürger.

Staatsanwalt Frédéric Van Leeuw sagte, die erste Bombe am Flughafen sei um 7.58 Uhr explodiert. Die zweite Detonation dort habe sich neun Sekunden später ereignet. Einer der Selbstmordattentäter sei Ibrahim El Bakraoui gewesen; bei dem zweiten handelt es sich nach belgischen Medienberichten um den 24-jährigen Najim Laachraoui, einen mutmaßlichen Drahtzieher der Attentate von Paris. Ein dritter Täter habe im Flughafen eine weitere Bombe deponiert, das Gebäude aber noch vor der Explosion verlassen, sagte Van Leeuw. Nach dem dritten Mann vom Flughafen werde gefahndet. Der zweite Bruder, Khalid El Bakraoui, sprengte sich laut Staatsanwaltschaft in der U-Bahnstation Maelbeek in die Luft. Über ihn gibt es dem Sender RTBF zufolge eine Verbindung zu Salah Abdeslam, dem verhafteten mutmaßlichen Paris-Attentäter. Denn El Bakraoui habe unter falschem Namen nicht nur eine Wohnung gemietet, in der die Attentate vorbereitet wurden. Er sei auch der Mieter einer Brüsseler Wohnung, die die Ermittler auf Abdeslams Spur gebracht habe. Es sei eine "plausible Hypothese", dass Abdeslam auch Teil der Zelle war, die nun in Brüssel zuschlug.

Eine weitere Verbindung nach Paris ist der Sprengstoff TATP (Azetonperoxid), den Ermittler in einer Brüsseler Wohnung fanden. Bei den 15 Kilogramm handele es sich um dieselbe Art, die in Paris verwendet worden sei, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Bei der Razzia im Stadtteil Schaerbeek wurden auch ein Koffer mit Nägeln und Schrauben sowie weiteres Material zum Bombenbau sichergestellt. Die Bomben vom Dienstag waren mit Nägeln gefüllt gewesen. Die Ermittler entdeckten zudem einen Laptop, auf dem das Testament von Ibrahim El Bakraoui gespeichert war, wie Staatsanwalt Van Leeuw sagte. Der Attentäter habe geschrieben, dass er sich nicht mehr sicher fühle und fürchte, ins Gefängnis zu kommen.

In ganz Belgien wurde in einer Schweigeminute der Opfer gedacht. Aus Sorge vor Anschlägen galt weiter die höchste Terror-Warnstufe. Der Brüsseler Flughafen soll auch heute geschlossen bleiben. Ein für Dienstag geplantes, zunächst abgesagtes Heimspiel der belgischen Fußball-Nationalmannschaft gegen Portugal wurde nach Leiria in Zentralportugal verlegt. Die Bundesregierung geht indes davon aus, dass das Länderspiel Deutschlands gegen England am Samstag in Berlin stattfindet.

Die Anschläge haben auch zu einer neuen Debatte über die europäische Sicherheitspolitik geführt. EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos mahnte mehr Austausch von Geheimdienstinformationen an, um religiösem Extremismus zu begegnen. Ähnlich äußerte sich die Bundesregierung. Polen widerrief mit Verweis auf die Anschläge seine Zusage, 400 Flüchtlinge aufzunehmen.

(RP)
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