Politik debattiert über Transplantationsmedizin Jeder ein potenzieller Organspender?

Bonn (RPO). Dieser Vorschlag kommt so sicher wie das Amen in der Kirche: Immer wenn in Deutschland über die zu geringe Zahl von Organspenden debattiert wird, wird der Ruf nach der Brachialmethode laut. Weil Schwerstkranke über Jahre auf ein Organ warten oder sogar aus Mangel an Spendern sterben, soll jeder Bürger zum potenziellen Organspender erklärt werden - ohne Einwilligung. Nur, wer schriftlich widerspricht, wird von der Liste der Spender ausgenommen.

 Deutschland debattiert über Organspenden.

Deutschland debattiert über Organspenden.

Foto: AP

Der Streit um "Widerspruchslösung" oder "Zustimmungslösung" ist so alt wie die Debatte um das Organtransplantationsgesetz, das der Bundestag 1997 nach mehr als 20 Jahren intensiver öffentlicher Diskussion verabschiedete. Nach der dort festgelegten "erweiterten Zustimmungslösung" ist nur derjenige ein potenzieller Organspender, der einer möglichen Spende ausdrücklich zugestimmt hat - vorab schriftlich über einen Spendenausweis, oder nach seinem mutmaßlichen Willen, nach dem die Angehörigen gefragt werden.

Lösung in Spanien

Andere europäische Länder bevorzugen da die rigorosere Lösung: In Spanien etwa gilt die "Widerspruchslösung". Und weil das Land weit mehr Organspenden als Deutschland vorweisen kann, gilt die Widerspruchslösung auch für manche Politiker und Mediziner in Deutschland als ein Ausweg aus der Organmangel-Falle.

Im Bundestag geht der Streit quer durch alle Parteien. Besonders die FDP hat sich zuletzt für die Widerspruchslösung stark gemacht. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist eher dafür, doch der liberale Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler hat deutliche Vorbehalte.

Denn die Sache hat mehrere Haken. Von "starken ethischen Bedenken" sprach am Montag der Mainzer katholische Moraltheologe Johannes Reiter: Organspende müsse "aus absoluter Freiheit heraus geschehen", sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur in Mainz. Bislang sei der menschliche Körper noch nicht sozialpflichtig. Die Widerspruchslösung würde die Persönlichkeits-, Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte des betroffenen Menschen verletzen, aber auch das Pietätsempfinden und das Totensorgerecht der Hinterbliebenen.

Verunsicherung der Bürger

Kein Wunder, dass die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) und die Bundesärztekammer vor einer Verunsicherung der Bürger und damit vor einem Rückschlag für die Transplantationsmedizin warnen. Die Menschen wollten sich diese höchst private Entscheidung nicht wegnehmen lassen, so der DSO-Stiftungsvorstand Günter Kirste.

Auch ganz praktische Gründe sprechen gegen die Widerspruchslösung. Experten verweisen nämlich darauf, dass sie in Spanien de facto nicht angewendet wird. Vor einer möglichen Transplantation werde immer die Zustimmung der Angehörigen eingeholt. Ursache für die positiven Zahlen auf der iberischen Halbinsel ist nach Ansicht der DSO etwas anderes: In Spanien genießt die Organspende ein hohes Ansehen. Das veranlasste die Politik, viele Ärzte speziell für Transplantationen zu schulen und ein dichtes Netz von Koordinatoren in den Hospitälern aufzubauen.

Genau an dieser Stelle will auch die DSO in Deutschland ansetzen. Und flächendeckend für Transplantationsbeauftragte in deutschen Kliniken sorgen. Zwar sind Krankenhäuser schon heute gesetzlich verpflichtet, potenzielle Spender zu melden. In vielen Kliniken fehlt es jedoch an Personal, zeitlichen Kapazitäten und der Bezahlung dieser Tätigkeit.

(KNA)
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