Interview mit FDP-Fraktionsvorsitzender Homburger: Mit dem Streit muss Schluss sein

Berlin (RP). Im Sommerinterview mit unserer Redaktion kündigt FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger an, die Atomwirtschaft finanziell stärker in die Pflicht zu nehmen. Im Streit um den Verbleib Westerwelles an der Parteispitze fordert sie eine breitere personelle Darstellung der Partei.

 Die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger muss um Ihren Posten bangen.

Die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger muss um Ihren Posten bangen.

Foto: APD, AP

Können Sie noch abschalten?

Homburger: Klar, Spazierengehen, am Bodensee am Ufer sitzen, Sport treiben, da kann man schon abschalten.

Treibt Sie denn die Sorge um Koalition und FDP nicht Tag und Nacht um? Homburger: Sicher mache ich mir viele Gedanken. Aber ich denke nicht immer nur darüber nach, was sein könnte, sondern ich mache meine Arbeit, damit es besser wird.

Aber wie konnte es zum Sturz von fast 15 auf unter fünf Prozent kommen?

Homburger: Das ist kein Thema allein der FDP. Das betrifft die ganze Koalition. Die Bürger haben uns in den ersten Monaten vor allem im Streit erlebt und keine klare Linie erkennen können. Sie bekamen den Eindruck, es werde nicht gehandelt. Dabei haben wir viel erreicht!

Was wollen Sie ändern?

Homburger: Mit dem Streit muss Schluss sein. Die Koalition muss Handlungsfähigkeit beweisen und jetzt die nötigen Entscheidungen treffen. Eine nach der anderen. Von der Haushaltskonsolidierung über die Energiepolitik und die Hartz-IV-Reformen bis zur Gesundheitspolitik. Das müssen wir dann auch geschlossen vertreten. Ich bin davon überzeugt, dass dann die Stimmung am Ende des Jahres eine ganz andere sein wird.

Also noch mal: Wann können Sie abschalten - und zwar die Atomkraft?

Homburger: Wir werden die Berechnungen der Experten in der Fraktion besprechen und dann im Lichte aller Argumente entscheiden.

Wenigstens haben Sie jetzt schon mal ein Gutachten. Was ist Ihnen darin am sympathischsten: Laufzeitverlängerung um vier, zwölf, 20 oder 28 Jahre?

Homburger: Wir wollen das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen. Dafür muss eine Brücke gebaut werden, die trägt. Ein Baustein dafür ist eine bessere Verfügbarkeit der erneuerbaren Energien durch Netzintegration und bessere Speichertechnologien, ein anderer Baustein ist die Laufzeit der Kernkraftwerke. Dabei scheint mir eine mittlere Laufzeitverlängerung am sinnvollsten zu sein. Jedenfalls werden wir am Ende ein Gesamtkonzept haben, bei der auch die Endlagerung eine Rolle spielen wird.

Man hat den Eindruck als wolle die Bundesregierung 2,3 Milliarden von der Atomindustrie für die Haushaltskonsolidierung und dann noch ein paar Brosamen für die erneuerbaren Energien.

Homburger: So wird es mit Sicherheit nicht kommen. Die FDP-Bundestagsfraktion wird alles dafür tun, dass es einen substanziellen Beitrag zur Förderung erneuerbarer Energien gibt. Im Übrigen sind die 2,3 Milliarden vom Finanzminister geschätzt. Wie viel es letztlich wird, hängt unter anderem von der Dauer der Laufzeitverlängerung und den weiteren Sicherheitsauflagen ab. Meine Vorstellung geht dahin, dass mindestens 50 Prozent der zusätzlichen wirtschaftlichen Erträge abgeschöpft werden sollen. Wir wollen mit der Kernkraft als Brücke das regenerative Zeitalter erreichen. Da gibt es noch viel zu tun, auch weiteren Forschungsbedarf, etwa über die Frage, wie wir Speichertechnologien und dezentrale Lösungen verbessern und ein modernes Netz auch als Energiespeicher nutzen, um die erneuerbaren Energien grundlastfähig zu machen. Das ist die eigentlich entscheidende Frage.

Wie hat Ihnen die Energie-Anzeigenkampagne der Wirtschaft gefallen?

Homburger: Besonders klug war das jedenfalls nicht.

Wie viel Laufzeit geben Sie Guido Westerwelle noch im Amt des FDP-Chefs?

Homburger: Guido Westerwelle ist unser Parteivorsitzender, auch wenn er im Augenblick in der Kritik steht. Die Partei hat ihm viel zu verdanken. Eine Personaldiskussion ist so überflüssig wie ein Kropf.

Der saarländische FDP-Generalsekretär sagte, ein Rücktritt sei notwendig.

Homburger: So hat die Welt erfahren, dass die saarländische FDP einen Generalsekretär hat. Leider habe ich mir den Namen immer noch nicht merken können.

Aus Hessen kommt der Vorschlag einer Arbeitsteilung: Westerwelle für die Außenpolitik, Christian Lindner für die Innenpolitik.

Homburger: Guido Westerwelle wird als Außenminister über die Außenpolitik sprechen und als Parteivorsitzender natürlich immer auch über die Innenpolitik. Wir haben uns im Bundesvorstand auf eine Arbeitsteilung verständigt, mit dem Ziel die Verengung auf ein Thema in der öffentlichen Wahrnehmung zu beenden. Wir werden mehr Themen forciert präsentieren. Es muss auch personell zu einer breiteren Darstellung kommen.

Gehört dazu auch die sozial-mitfühlende FDP?

Homburger: Natürlich.

Indem der FDP-Generalsekretär die Hartz-IV-Sätze künftig nicht an Renten oder Löhne sondern an die Preisentwicklung koppeln will?

Homburger: Das ist ein überlegenswerter Vorschlag. Für einen Hartz-IV-Empfänger ist doch entscheidend, wie sich die Preise entwickeln.

Arbeiter und Rentner würden sich auch wünschen, automatisch mehr zu bekommen, wenn die Preise steigen.

Homburger: Das Verfassungsgericht hat uns nicht aufgetragen, die Bedarfssätze zu erhöhen. Es hat uns aufgetragen, transparent zu machen, was in den Grundbedarf eingerechnet wird. Das werden wir tun. Diese Aufgabe erfordert noch große Anstrengungen, da auch das Lohnabstandsgebot gewahrt werden muss. Aber es gibt auch Steuerungsmöglichkeiten, um das Lohnabstandsgebot einzuhalten.

Was haben Sie da im Blick?

Homburger: Ich werfe die Frage auf, ob alles, was derzeit zum Grundbedarf gehört, tatsächlich Grundbedarf ist.

Wie stehen Sie zur Aussetzung der Wehrpflicht?

Homburger: Ich habe in der FDP zu denen gehört, die diese Position erkämpft haben. Ich freue mich, dass der Verteidigungsminister jetzt das vorlegt, was die FDP seit Langem gefordert hat. Mit der Verkürzung des Wehrdienstes haben wir den Denkprozess im Bundesverteidigungsministerium beschleunigt. Der Bereich wurde ja von mir verhandelt, und ich hatte erwartet, dass die Verkürzung die ganze Wehrpflicht auf die Rutschbahn bringt. Dass es dann so schnell passiert, hatte ich nicht erwartet. Um so besser!

Die Union tut sich sehr schwer damit.

Homburger: Das verstehe ich, so war es bei uns doch auch - bis hin zum Mitgliederentscheid. Aber es bleibt nötig.

Die Union denkt daran, alternativ einen allgemeinen Pflichtdienst einzuführen.

Homburger: Das sind Einzelmeinungen. Wir wollen das definitiv nicht. In vielen Bundesländern wurde die Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre verkürzt, damit junge Menschen - wie in vielen anderen Ländern - früher ins Studium, in die Ausbildung und in den Beruf kommen. Dazu passt kein neuer Pflichtdienst. Der war nur vertretbar, so lange er für die äußere Sicherheit des Landes unabdingbar war. Das ist er nicht mehr. Jetzt brauchen wir eine Freiwilligenarmee und die Stärkung der freiwilligen Dienste. Wir hatten in den letzten Jahren stets mehr Bewerber als Plätze für ein freiwilliges soziales Jahr.

Sie sind jahrelang bei der Bundeswehr ein und aus gegangen - tut ihnen die Perspektive einer Schrumpftruppe weh?

Homburger: Eine kleinere Bundeswehr kann - gut organisiert - die aktuellen Herausforderungen sogar besser erfüllen. Wie die Struktur, dafür aussehen muss, wird in den nächsten Wochen in der Koalition besprochen. Ich habe die Erwartung, dass für weniger Soldaten eine bessere Ausrüstung und Ausbildung möglich sein werden.

Die Neuverschuldung sinkt schneller als geplant. Nach den Mechanismen der Schuldenbremse bedeutet das aber, dass Sie weitere Milliarden 2011 sparen müssen.

Homburger: Das ist ein Zwischenstand und nicht zwingend das Endergebnis. Richtig ist jedenfalls, dass das Parlament den Entwurf des Haushaltes 2011 noch verändern wird.

Wo zum Beispiel?

Homburger: Zum Beispiel ist das Fiskusprivileg beim Insolvenzrecht sehr problematisch. Mir missfällt, dass sich zuerst der Staat bedient und dann erst die übrigen Gläubiger dran sind. Das wollen wir ändern, weil es sonst zulasten des Mittelstandes geht. Freilich müssen wir dann einen Finanzierungsvorschlag machen. Da sind wir dran.

Ist noch Luft für eine Steuererleichterung?

Homburger: Vorrang hat die Haushaltskonsolidierung. Dabei bleiben wir. Ich sehe aber durchaus noch Möglichkeiten, dass wir uns im Verlauf der Legislaturperiode die nötigen Spielräume erarbeiten. Das wird bei guter wirtschaftlicher Entwicklung einfacher. Das kann uns bis 2013 gelingen. Die Abflachung des so genannten Mittelstandsbauches ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.

Und die Steuervereinfachung?

Homburger: Unsere Vorschläge liegen beim Finanzminister. Ich rechne damit, dass wir diese in diesem Herbst noch beschließen können.

Wann fällt die Hotelsteuer?

Homburger: Wir haben schon im Koalitionsvertrag verabredet, das völlig undurchschaubare und unverständliche Mehrwertsteuersystem insgesamt auf den Prüfstand zu stellen. Wir wollen das schaffen, woran sich noch keine Regierung vorher herangetraut hat: ein einfacheres, nachvollziehbares Mehrwertsteuersystem zu etablieren. Es ist klar, dass wir da schwierige Diskussionen bekommen. Aber wir trauen uns...

...auch wieder auf die Vergünstigungen für die Hotelerie zu verzichten?

Homburger: Es geht um ein nachvollziehbares Gesamtsystem, nicht um einzelne Punkte. Wir werden eben nicht vorher festlegen, was hinterher dabei rauskommen soll. Wir werden im Koalitionsausschuss im September besprechen, wie wir im Laufe des nächsten Jahres zu Ergebnissen kommen können.

Die Republik ist erstaunt über die Macht des Widerstandes gegen das Projekt Stuttgart 21. Haben Sie den Protest falsch eingeschätzt?

Homburger: Nein. Das ist ein umstrittenes Projekt, insofern habe ich das erwartet. Es bleibt trotzdem notwendig und von zentraler Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit Baden-Württembergs. Es geht um eine bessre Anbindung durch eine europäische Magistrale von Paris nach Budapest und nicht nur um einen Bahnhofsneubau. Das schafft neue wirtschaftliche Perspektiven, während der Bauphase 7000 und auf Dauer 10.000 neue Arbeitsplätze.

Selbst wenn es Schwarz-Gelb in Baden-Württemberg die Wiederwahl kostet?

Homburger: Man muss da sehr viel offensiver argumentieren und kommunizieren. Bei den Gegnern ist auch viel persönliche Betroffenheit im Spiel, wir müssen aber an die Interessen des gesamten Landes denken.

Gregor Mayntz sprach mit der FDP-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag und baden-württembergischen FDP-Landeschefin Birgit Homburger

(RP)
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