Streit um Stuttgart 21 Bahnchef wirft Grünen Wählertäuschung vor

Stuttgart (RPO). Volksverdummung und unlautere Wählerfängerei – Bahn-Chef Rüdiger Grube übt an den Grünen im Zusammenhang mit dem umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21 schwere Kritik. Die Partei habe vor den Landtagswahlen gewusst, dass sie aus den vereinbarten Verträgen für das Bahnhofsprojekt nicht herauskommen werde.

Das ist Rüdiger Grube
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Stuttgart (RPO). Volksverdummung und unlautere Wählerfängerei — Bahn-Chef Rüdiger Grube übt an den Grünen im Zusammenhang mit dem umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21 schwere Kritik. Die Partei habe vor den Landtagswahlen gewusst, dass sie aus den vereinbarten Verträgen für das Bahnhofsprojekt nicht herauskommen werde.

Grube holte am Dienstagabend auf einer Veranstaltung im Hamburg zur umfassenden Grünen-Schelte aus. Der Partei, die in Baden-Württemberg den ersten grünen Regierungschef stellt, habe nicht ehrlich mit den Wählern gesprochen, sagte Grube. Vor der Landtagswahl sei ihr bekannt gewesen, dass sie nicht aus den vereinbarten Verträgen für den unterirdischen Bahnhof herauskomme. "Alles andere, was sie gemacht haben, ist Volksverdummung und ist Wählerfängerei, kritisierte Grube.

Die Bahn hatte nach zweimonatigem Baustopp am Dienstag mit Unterstützung der Polizei die Arbeiten an der Baustelle wieder aufgenommen. Das Unternehmen will am Nachmittag über die weiteren Schritte informieren.

Es geht um Milliarden

Zuvor hatte die neue Grünen/SPD-Landesregierung von Baden-Württemberg unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann im politischen Poker um Stuttgart 21 nachgegeben und der gegebenenfalls schadenersatzberechtigten Bahn zugesagt, man werde keine Fortsetzung des Baustopps beantragen und sich vertragstreu verhalten.

Die Bahn, das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart und die Bundesrepublik Deutschland sind die Bauherren von Stuttgart 21. Nach Berechnungen der Bahn betragen die Gesamtkosten des riesigen Infrastruktur-Projekts rund 4,1 beziehungsweise maximal 4,5 Milliarden Euro.

Die Bahnhofsgegner, wozu die Grünen und ihr Ministerpräsident Kretschmann zählen, nicht aber dessen Koalitionspartnerin SPD, beziffern die Kosten für die Tieferlegung des Hauptbahnhofs nebst angrenzender City-Bebauung sowie einer Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm wesentlich höher.

Kretschmann droht ein heißer Sommer

Bis zuletzt hatte die grüne Landesregierung die Bahn gedrängt, die Bauarbeiten bis Mitte Juli ruhen zu lassen. Dann soll das Ergebnis des mit Hilfe des Schlichters Heiner Geißler vereinbarten Belastungstests für den Bahnhof vorgelegt werden. Damit soll simuliert werden, ob der neue Bahnhof in der Spitzenstunde 30 Prozent mehr Züge abfertigen kann als der bisherige Kopfbahnhof. Zu einer Einigung mit dem Bauherrn kam es nicht. Für einen Aufschub der Arbeiten hatte die Bahn 56 Millionen Euro pro Monat verlangt, die die Landesregierung nicht zahlen will.

Nun blickt die Landesregierung von Winfried Kretschmann mit Unbehagen auf die kommenden Wochen, wenn größere Bauarbeiten mit großem Gerät in Angriff genommen werden. Am Dienstag hatte die Bahn — getreu ihrer Zusage vor Pfingsten — "nicht gleich die Bagger" auffahren lassen. In den kommenden fünf Wochen wird sich das ändern. Dann wird am Bahnhofs-Nordflügel das geplante große Technikgebäude vorbereitet. Am Südflügel schließlich, der im Zuge der bis mindestens 2019 angesetzten Arbeiten gänzlich weichen muss, sind demnächst Entrümpelungs- und sogenannte Entkernungsarbeiten vorgesehen.

Protestbündnis kündigt härtere Gangart an

Die Entscheidung in dem Dauerkonflikt soll eine Volksabstimmung im Oktober bringen. Bis zum 15. Juli muss die Bahn nach eigenen Angaben aus Fristgründen bereits ausgeschriebene Aufträge für Tunnelstrecken in Höhe von 750 Millionen Euro vergeben.

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 will derweil in den nächsten Wochen die Proteste gegen das umstrittene Bahnprojekt verstärken. Mit den am Dienstag wiederaufgenommenen Bauarbeiten rings um den Bahnhof riskiere die Bahn, alles Vertrauen und den sozialen Frieden in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu verspielen. Für den 09. Juli sei eine weitere Großdemonstration geplant.

In der Realität angekommen

Sollten die Bagger in diesem Sommer an den Südflügel des Hauptbahnhofs und die großen Bäume im Schlossgarten gehen, sei mit ähnlichen Demonstrationen wie im Herbst des vergangenen Jahres zu rechnen, sagte einer der Sprecher des Bündnisses, Hannes Rockenbauch, am Mittwoch in Stuttgart. Damit würde Kretschmanns Horrorvision Realität werden: Ein Polizeieinsatz gegen massive Widerstandsaktionen unter grün-roter Verantwortung.

Im ersten Regierungsmonat waren Kretschmann und die Grünen in der politisch komfortablen Situation, dass sich der Zorn der Stuttgart 21-Gegner gegen die Koalitions-Juniorpartnerin SPD richtete, nachdem die Union abgewählt worden war. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel, ein Stuttgart 21-Befürworter, wird stellvertretend für andere Sozialdemokraten von Baugegnern seit Wochen als "Beton-Schmiedel" attackiert und verspottet.

Kretschmann, so war am Dienstag zu hören, dämmere von Tag zu Tag mehr, dass der politische Grünen-Bonus im Südwesten bald schon schmelzen könnte, weil die Stuttgart 21-Gegner immer deutlicher erkennen würden, dass die Grünen als neue Regierungspartei im Südwesten anders handeln müssen, als sie in ihren Oppositionsjahren zum Großprojekt geredet haben.

(RTR/RP)
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