Chef des Bundeswehrverbands "Afghanistaneinsatz ist Krieg"

Berlin (RPO). Die Diskussion über die Bezeichnung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr entflammt erneut. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, Oberst Ulrich Kirsch, hat die Kampfhandlungen als Krieg bezeichnet. Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, hält ein Strafverfahren wegen des von einem Bundeswehroffizier angeordneten Angriffs auf zwei entführte Tanklastwagen bei Kundus mit zahlreichen Toten für fatal.

 Oberst Kirsch: "Unterschied zwischen Checkpoint in Kundus und einer Verkehrkontrolle am Stadtrand von Bielefeld".

Oberst Kirsch: "Unterschied zwischen Checkpoint in Kundus und einer Verkehrkontrolle am Stadtrand von Bielefeld".

Foto: AP, AP

Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen, die Unterlagen zum Bombenangriff auf zwei Tanklaster im Norden Afghanistans mit zahlreichen getöteten Zivilisten der Bundesanwaltschaft zu übergeben, sei ein Beleg dafür, dass am Hindukusch Krieg herrsche, sagte Kirsch der "Bild"-Zeitung. Diese zitierte ihn mit den Worten: "Die Justiz zeigt, worum es hier geht: Um einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, also um Krieg".

Ein mögliches Strafverfahren wegen des von Bundeswehroberst Georg Klein Anfang September angeordneten Luftangriffs in der Nähe von Kundus hätte für die Bundeswehr katastrophale Folgen, warnte Kujat in der "Frankfurter Rundschau" (Samstagsausgabe). Denn dann werde sich jeder Offizier überlegen, ob er unter diesen Bedingungen noch Führungsverantwortung übernehme.

Kujat kritisierte, die ganze Sache sei von Anfang an und von allen Beteiligten "hundsmiserabel" gehandhabt worden. Die Vorgeschichte sei ein "einziger Skandal". Der Name des Betroffenen sei "durch die Presse gezogen", seine Familie und er einem "erhöhten Sicherheitsrisiko" ausgesetzt worden. Zwar müsse das Geschehen rechtlich gewürdigt werden. Doch wenn Fehler gemacht worden seien, dann habe sie nicht nur einer gemacht. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte den Bombenangriff zuvor als "militärisch angemessen" bezeichnet.

Die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft hatte die Akten zu dem Fall der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe übergeben, weil sie Anzeichen dafür sah, es könne sich in Afghanistan um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetzbuches handeln. In diesem Fall wäre die Bundesanwaltschaft nach dem Gerichtsverfassungsgesetz für die weiteren Ermittlungen zuständig. Sie müsste dann untersuchen, ob der Angriff mit den Bestimmungen des humanitären Völkerrechts in Einklang stand. Die sächsische Justizbehörde beruft sich bei ihrer Einschätzung vor allem auf einen Bericht der Untersuchungskommission der NATO-ISAF-Truppe.

Sollte letztlich auch die Bundesanwaltschaft dazu neigen, dass es sich in Afghanistan um einen bewaffneten Konflikt handelt, muss nach Auffassung der Dresdner Behörde untersucht werden, ob Oberst Klein sich an die Bestimmungen des Kriegsrechts gehalten hat. In diesem Fall gäbe es Experten zufolge aber mehr Möglichkeiten zur Rechtfertigung von Kleins Vorgehen als in einem Ermittlungsverfahren nach zivilem Recht.

Die Bundesanwaltschaft hatte am Freitag erklärt, die juristische Aufarbeitung dürfte noch geraume Zeit dauern. "Nach vorläufiger Bewertung der Erkenntnisse aus allgemein zugänglichen Quellen ergeben sich bisher keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat deutscher Soldaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch", hieß es bei der Karlsruher Anklagebehörde. Die aus Dresden übermittelten Unterlagen bedürften nun der Prüfung, "ob sich aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen eine abweichende Bewertung" ergebe. Nach dem Luftangriff waren bei der Bundesanwaltschaft mehrere Anzeigen wegen Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch eingegangen, ohne dass die obersten Ankläger daraufhin Ermittlungsverfahren einleiteten.

Dem NATO-Bericht zufolge gab es bei dem Angriff am 4. September zwischen 17 und 142 Tote und Verletzte. Klein hatte nach der Entführung von zwei Tanklastwagen den Luftangriff durch US-Flugzeuge angefordert. Er hatte dies damit begründet, dass ein Anschlag der Taliban auf den Bundeswehrstützpunkt nahe Kundus mithilfe der Tanklastwagen zu befürchten gewesen sei.

(AFP/awei)
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