Die Leiche des Vaters lag drei Tage auf dem Bürgersteig

Meine Mutter hat meinen Vater zum letzten Mal im September 1944 gesehen. Damals sagte meine Tante noch, er solle desertieren und in die Schweiz gehen. Er lehnte ab. "Wenn alle so denken, was wird aus den Frauen und Kindern?", fragte er. Ich war damals noch kein Jahr alt. Als der Krieg zu Ende ging, hörte meine Mutter von meinem Vater nichts. Er galt als vermisst. Jeden Soldaten, den sie auf der Straße traf, hat sie nach ihm gefragt. Aber sie hat nie eine Antwort bekommen. Erst 1947 teilte ihr das Deutsche Rote Kreuz mit, dass er wenige Tage vor dem Kriegsende in Düsseldorf gefallen sei. Meine Mutter erlitt einen Schock und verlor ihre Sprache, erst nach drei Wochen konnte sie sich wieder äußern.

Wie ich später durch eine Zeugenaussage erfuhr, wurde mein Vater in der Nacht zum 2. März 1945 mit einem Kameraden in einem Düsseldorfer Luftschutzkeller von Amerikanern gefangen genommen. Kurz darauf wurde mein Vater erschossen auf dem Bürgersteig an der Arnulfstraße gefunden. Seine Leiche lag dort mindestens drei Tage. Mein Vater, an den ich mich nicht erinnern kann und den ich mein Leben lang vermisst habe, liegt auf dem Ehrenfriedhof in Mönchengladbach-Hardt begraben. Mittlerweile weiß ich, wo sein Grab ist. Ich gehe dort selten hin, denn sein Tod belastet mich heute noch. Meine erste Wohnung in Düsseldorf suchte ich mir übrigens in der Barmer Straße. Was ich nicht wusste: Sie liegt unweit der Arnulfstraße, wo mein Vater starb. So haben sich unsere Wege doch noch einmal gekreuzt.

Karin Kaeten aus Düsseldorf

(RP)
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