Rügen: Suche ohne Hoffnung

Der Erdrutsch am Kap Arkona hat die zehnjährige Katharina unter sich begraben. Seit zwei Wochen suchen die Insulaner nach dem Kind. Sturm und Seegang erzwingen immer wieder den Abbruch der Sucharbeiten.

Kap Arkona Ein kleiner Zettel hängt an der Eingangstür des "Arkona-Imbiss" auf der Insel Rügen. Darauf steht geschrieben: "Nur für die Einsatzkräfte!" Besitzerin Iris Möbius unterstützt die Feuerwehrleute, die seit bald zwei Wochen nach der verschütteten Katharina (10) suchen, mit warmen Getränken und Speisen. Gelegentlich strahlt das Licht des Leuchtturms durch die Fenster und erhellt für einen kurzen Augenblick die dunklen Schatten in den Gesichtern der erschöpften Sucher. Für die Männer und Frauen von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk ist das Lokal ein Ort der Ruhe. "In ihren Augen sehe ich, wie sie mit sich zu kämpfen haben. Es ist das mindeste, ihnen meine Hilfe anzubieten", sagt Möbius.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag wurden wenige Meter vom Imbiss entfernt Katharina aus dem brandenburgischen Plattenburg, ihre Mutter Annett (41) und Schwester Hanna (15) bei einem Spaziergang von plötzlich herabstürzenden Erd- und Kreidemassen überrascht. Während Mutter und Schwester überlebten, bleibt die kleine Katharina bis heute verschollen. Nach menschlichem Ermessen ist sie tot.

Einsatzleiter Daniel Hartlieb will dennoch nicht aufgeben. Seit zwei Wochen gräbt er sich mit seinen Kollegen – zeitweise waren mehr als 160 Männer im Einsatz – bis zur völligen Erschöpfung durch den Kreideschlamm. Aber ob Schaufeln, Bagger, Suchhunde oder Wärmebildkameras – nichts will sie zu Katharina führen. Nach einer witterungsbedingten Pause soll morgen die Suche nach dem Mädchen mit einem Spezialbagger fortgesetzt werden. Das schwere Gerät mit einem 18 Meter langen Greifarm wird heute auf einem acht Kilometer langen und nur wenige Meter breiten Küstenstreifen unterhalb der Steilhänge zur Unglücksstelle gefahren. "Die Suche ist erst vorbei, wenn wir das Mädchen geborgen haben. Das sind wir der Familie schuldig", sagt der 33-jährige Hartlieb.

Während der Einsatzleiter und seine Leute unermüdlich nach Katharina suchen, liegen Annett N. und Tochter Hanna gemeinsam in einem Zimmer der Greifswalder Uniklinik. "Angesichts der großen seelischen Verletzungen, die beide erlitten haben, ist die körperliche Nähe jetzt sehr wichtig", sagt Peter Hinz, Leitender Oberarzt der Unfallchirurgie. Hanna kam mit leichten Verletzungen davon, ihre Mutter dagegen musste wegen vieler komplizierter Knochenbrüche und Gefäßverletzungen notoperiert werden. Sie wird noch viele Wochen in der Klinik bleiben müssen. Nach Auskunft der Seelsorger erzählen sie viel von dem grausigen Unfall, etwa dass Hanna noch ein paar Schritte weglaufen konnte und deshalb nicht so schwer verletzt worden sei. Annett N. dagegen sei direkt neben Katharina gewesen und wollte sie beschützen.

Die Bilder des Schreckens, denen sie ausgesetzt waren, werden sie wohl niemals mehr vergessen. Genauso wenig wie die Feuerwehrmänner, die als erste an der Unglücksstelle waren. Für Kreiswehrführer Hartlieb waren es die dramatischsten Tage seines Lebens. Zu dritt eilten die ersten Kameraden die 238 Stufen der Königstreppe zum Strand herab. Unten trafen sie auf Katharinas Mutter, weinend und schwer verletzt saß sie auf einem Stein. "Sie rief immer wieder: Meine Tochter ist tot, sie ist tot", erzählt einer der Feuerwehrleute.

Nur sechs Stunden Schlaf fand Einsatzleiter Hartlieb in der ersten Woche seines Einsatzes. Bei einem Hangrutsch gerieten er und seine Helfer selbst in Lebensgefahr. Erst jetzt, zu Hause bei seiner Frau, kann Hartlieb das Schicksal der vermutlich toten Katharina an sich heranlassen. "Meine Frau weiß, wie sie in solchen Momenten mit mir umgehen muss und spendet mir Trost", sagt er. Im Sommer wird Hartlieb selbst zum ersten Mal Vater.

Jährlich kommen 1,3 Millionen Touristen nach Rügen, die meisten von ihnen aus NRW. Hunderttausende besuchen das Kap Arkona. Abbrüche an Rügens bizarrer Kreideküste sind keine Seltenheit: Erst im August stürzten 30 000 Kubikmeter Kreide von der Steilküste in die Ostsee. Um weitere Tragödien am Kap Arkona zu verhindern, wurden die Treppen zum Strand nun gesperrt. "Achtung Lebensgefahr"-Schilder sollen Leichtsinnige vor einem Abstieg warnen. Auch wird über Messsonden nachgedacht, um Hangabstürze zu erkennen.

Doch das macht die Tochter von Bernd N. nicht wieder lebendig. "Der Schmerz ist ungeheuerlich. Aber es ist tröstend zu sehen, dass die Menschen in der Not so hilfsbereit sind ", sagt Katharinas Vater.

Internet Fotos vom Ort des Unglücks unter www.rp-online.de/panorama

(RP)
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