Was Kostüme verraten Wo sind all die Indianer hin?

Reservat (RP). Karnevalskostüme verraten oft viel über die Welt und die Menschen, die in ihr leben. Unser Autor macht sich Gedanken über Cowboys und Indianer, Starke und Schwache, Gute und Böse und beschreibt den erschreckenden Augenblick, wenn die Rothaut nebenan plötzlich eine Armbanduhr trägt.

"In Kölle jebützt" - der Karnevalszug 2010
13 Bilder

"In Kölle jebützt" - der Karnevalszug 2010

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Als die ganze Welt noch überschaubar war und in diesem Fall exakt von der Mozart- bis zur Franz-Schubert-Straße reichte, zu dieser Zeit gab es nur die beiden: Cowboys und Indianer. Wobei nicht ausgemacht war, wer die Guten und wer die Bösen waren.

Also gab es zur Karnevalszeit auch keinen moralischen Riss, der die Straße durchzog, keine ethnisch heikle Spaltung, was umso bemerkenswerter war, da sich dieses bescheidene Epos aus dem Erleben der Babyboomer-Generation speist und folglich ein ordentliches Gewusel das Straßenbild prägte.

Die Sache war bloß die: Es gab schon damals viel mehr Cowboys als Indianer, und dieses Mengenverhältnis regelte fatalerweise die Machtverhältnisse. Die vielen waren halt die Starken, die wenigen die Schwachen.

Die Rolle des Indianers war darum auch nicht sonderlich beliebt. Sie wurde in vielen Fällen auch nur deshalb bekleidet, weil das Kostüm der älteren Schwester (die plötzlich auf reizvolle Zigeunerin machte) aufgetragen werden sollte. Außerdem war Indianer-Sein eine Mordssauerei ­— Stichwort: Rothaut. Entweder war damals die Gesichtsfarbe noch nicht so hautschonend wie heute, oder es gab keine und man bediente sich folglich anderer und robuster Farbmittel, jedenfalls war das Abschminken kein Zuckerschlecken. Dem Cowboy dagegen wurde allenfalls ein hauchdünner Strich als eleganter Schnauz aufgetragen.

Diese Konstellation machte die Karnevalszeit vor allem zur Westernspielzeit. Wenn sich die Cowboys nicht gerade gegenseitig aus dem Weg räumten, suchten sie gerne nach einem gemeinsamen Feind. Das waren dann die paar Indianer in ihrer harmlosen Ausrüstung.

Denn während die Cowboys mit imposanten Plastik-Gewehren ausgestattet waren, lief der letzte Häuptling der Straße mit Bogen und Pfeilen herum, die am Ende einen dicken Gummipuffer hatten. Jede Attacke, so sie denn überhaupt erfolgreich war, endete also nicht mit dem gellenden Schmerzensschrei des Getroffenen, sondern bloß mit einem dumpfen "Plopp”.

Auch sonst war fast alles wie im richtigen Leben. Die Rothäute wurden nach Belieben durch die Gegend getrieben, und wenn einer ergriffen wurde, fesselte man ihn an den nächsten Baum und ließ ihn dort geraume Zeit auch stehen. Dass ausgerechnet diese Marter zum Repertoire der Cowboys gehörte, war völkerkundlich nicht ganz sauber. Aber es wäre völlig sinnlos gewesen, das johlende Volk der blöden Sheriffs und Hilfssheriffs darauf in angemessener Weise aufmerksam zu machen.

In gewisser Hinsicht war die Straße ein Abbild grausiger Wirklichkeit. Dass die Verfolgung der nordamerikanischen Indianer durch den weißen Mann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei uns der Haustüre fröhliche Urständ feiern konnte, war natürlich auch eine Folge unserer Medien-Sozialisation. Denn der Höhepunkt am Samstagabend war nicht etwa die kurz zuvor gegründete Fußball-Bundesliga, sondern der auf einem von insgesamt zwei Fernsehprogrammen ausgestrahlte Western.

Lex Barker, John Wayne, Robert Mitchum und Burt Lancester waren die Vertreter unserer geheimen Väter-Generation. Was sie machten, musste gut sein. Und so war auch die gespiegelte Welt im Fernsehen überschaubar: Noch gab es keinen Yankee, der mit dem Wolf tanzte, oder gar Cowboys, die andere Cowboys am allermeisten mögen.

Die Zeiten haben sich geändert, nicht nur im Fernsehen. Die Dame im Kostümverleih bringt das brutal auf den Punkt. Indianer, sagt sie, sind seit Jahren extrem rückläufig. Und Cowboys überleben allenfalls noch als Notlösung. Wenn einem nämlich partout nichts eingefallen ist und auf dem letzten Drücker noch irgendwas gefunden werden muss, was die Bereitschaft zur Kostümierung wenigstens signalisiert, fällt einem der Cowboy ein.

Weil der so einfach ist. Hut auf und Sheriff-Stern angeheftet —­ fettich!, sagt die Kostümverleiherin. Und was ist mit dem Patronengurt, den Stiefeln mit Sporen, den Zigaretten aus Schokolade? Das traut man sich aber nicht mehr zu fragen und versinkt stattdessen in kulturpessimistisch finsteren Gedanken.

Es gibt keine Indianer mehr und nur noch wenige Cowboys. Sie sind vermutlich mit dem Strukturwandel verschwunden. Unweit der elterlichen Wohnung gab es vor der Kulisse eines immensen Hüttenwerks (das damals noch keine Kulisse für grell illuminierte Kulturspektakel war, sondern wirklich Arbeit bot) eine echte Cowboystadt; mit ein paar Holzhäusern, einem Saloon, Knast und einer Holzkirche; und nebenan stand im Sommer das Indianerzeltdorf.

Sinnigerweise hieß dieses Ensemble des örtlichen Wild-West-Vereins "Sioux-Montana-Ranch”, auf der es von Zeit zu Zeit kleine Westernspiele gab. Als Zuschauer und Nachwuchs-Indianer gesellte man sich gern zu den Ureinwohnern. Wie groß aber war der Schock, dass der Häuptling, der neben einem stand, eine Armbanduhr trug!

Das gab für den kurzen Heimweg viel zu denken. Wäre dies eine Indianer-Novelle, so müsste die Entdeckung der Uhr die unerhörte Begebenheit sein. Auf jeden Fall war es eine Desillusionierung ungeheuren Ausmaßes und höchstwahrscheinlich damals schon der Anfang vom Ende aller Rothäute.

Die Sioux-Montana-Ranch ist weitergezogen, das Hüttenwerk stillgelegt und vor Zeiten größtenteils nach China abtransportiert.

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