Russlandfeldzug begann vor 70 Jahren Der deutsche Marsch ins Verderben

Düsseldorf (RP). Am 22. Juni 1941 greift Adolf Hitler die Sowjetunion an: Mittwoch vor 70 Jahren begann das "Unternehmen Barbarossa". Mitten im Kampf steht die 4. Panzerdivision, ein Eliteverband. Fünfeinhalb Monate später, nach schwersten Verlusten, bleiben ihre Reste im Eis vor Moskau stecken. Die Wehrmacht reicht ihre Hand auch zu den NS-Verbrechen im Osten.

 Der Russland-Feldzug der Wehrmacht begannt vor 70 Jahren.

Der Russland-Feldzug der Wehrmacht begannt vor 70 Jahren.

Foto: ddp

Genau 1040 Kilometer sind es bis Moskau, als im Morgengrauen des 22. Juni 1941, eines Sonntags, die 4. Panzerdivision der Wehrmacht bei Brest-Litowsk den Fluss Bug überschreitet. Die gut 13.000 Männer der Division sind das, was man als Elite-Einheit bezeichnen könnte: Im Einsatz in Polen und Frankreich profiliert, ist die "Vierer" beim "Unternehmen Barbarossa" Teil der Heeresgruppe Mitte, die Stalins Hauptstadt Moskau erobern soll.

"Schwerpunktdivision" heißt das im Deutsch der Wehrmacht. Das klingt harmlos. Aber es bedeutet dauernden Kampfeinsatz an den Brennpunkten des Feldzugs, kaum Ruhepausen — und horrende Verluste an Menschen und Material. Die Geschichte der 4. Panzerdivision ist nur ein winziger Ausschnitt des großen Infernos namens "Barbarossa". Sie ist zugleich sprechendes Beispiel für den verbrecherischen Irrsinn der deutschen Führung.

Die Wehrmacht steht kurz vor Moskau

Zwar scheint zu Beginn alles nach Plan zu laufen — in einer Woche stößt die 4. Panzerdivision 300 Kilometer vor; am 15. Juli trennen nur noch 350 Kilometer ihre Panzerspitzen von Moskau. Der Preis aber ist hoch: Beim Panzerregiment 35, dem Herzstück der Division, sind Ende Juli von ursprünglich 175 Panzern noch 49 einsatzbereit. Im August stellt die Division fest, dass ihre Schützenkompanien bis zu 70 Prozent Verluste erlitten haben.

Und die Reserven der Roten Armee scheinen trotz immer neuer Niederlagen unendlich. "Der Russe ist uns um ein Vielfaches überlegen", schreibt Leutnant Fritz Farnbacher Ende Juli in sein Tagebuch. "Er bräuchte nur von beiden Seiten zuzupacken, dann hätte er uns. Stattdessen greifen wir ihn immerzu an. Das ist unsere Rettung." Diese "Rettung" führt die Division unter ständigen schweren Kämpfen, mit zwischenzeitlichem Schwenk nach Süden, durch Kesselschlachten, durch grundlosen Schlamm und über knüppelhart gefrorenen Boden, Richtung Moskau.

Ende Oktober warnt der Divisionskommandeur, Generalleutnant Willibald Freiherr von Langermann und Erlencamp, vor weiteren Angriffen: Wenn sie überhaupt gelingen könnten, dann nur "unter schwersten blutigen Verlusten". Seine Einschätzung bestätigt sich. Am 19. November meldet der Kommandeur, die Schützen der Division hätten in einem einzigen Gefecht 79 Verwundete gehabt. Bei minus 15 Grad habe man keine Deckung graben können: "Es ist nachgewiesen, dass verschiedene Verwundete vier bis sieben Stunden lang dem Frost ausgesetzt waren."

Der Gegenangriff der Roten Armee

Zwei Wochen später ist der Vormarsch zu Ende. Die 4. Panzerdivision kämpft sich noch bis auf die Straße von Tula nach Moskau durch. Dort aber bleibt sie stecken, am 4. Dezember 1941, etwa 150 Kilometer südlich der Hauptstadt. Das Panzerregiment 35 hat noch ganze 30 Panzer. Das Thermometer zeigt minus 40 Grad. Nachts um 2 Uhr beginnt der sowjetische Gegenangriff. "Unternehmen Barbarossa" ist gescheitert.

Selbst Divisionskommandeur Erlencamp verliert jetzt die Nerven und schimpft vor versammelter Mannschaft auf Hitler: "Der Mann hat uns verraten, keiner von uns wird mehr lebendig aus dem Sauland herauskommen!" Die Winterkrise habe die Division "ruiniert", urteilt der Historiker Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte in München, der den Marsch der "Vierer" ins Verderben minutiös rekonstruiert hat. Mit Mühe verhindert die Wehrmacht in den folgenden Wochen den völligen Zusammenbruch im Osten.

Viel fehlte Hitlers Armeen nicht, um Moskau zu nehmen. Aber auch dann wäre der Krieg noch lange nicht gewonnen gewesen. Hartmann: "Mit ,Barbarossa' wurden die deutschen Soldaten in einen Krieg geschickt, in dem sie militärisch nur wenig Chancen besaßen." Das war auch 1941 kein Geheimnis; neun Jahre zuvor hatte der Chef der deutschen Heeresleitung, Kurt von Hammerstein-Equord, festgestellt, die Sowjets könnten sich bis zum Ural zurückfallen lassen. Und hinzugefügt: "Wenn sie so weit zurückgedrängt werden, können sie sich in diesen Regionen unbegrenzt lange halten. Sie brauchen sich nur zurückzuziehen; dann kann kein Gegner sie besiegen."

Vernichtungskrieg ist Hitlers Ostfeldzug vom ersten Tag an. Mit der Winterkatastrophe aber radikalisiert sich auch der Ton im unmittelbaren Kampfgebiet. "Wo noch Juden leben, gibt es hinter der Front keine Sicherheit", heißt es in der Tagesparole des Divisionskommandos vom 21. November 1941. "An den höchsten Baum mit Partisanen und Juden!" dann am 15. Januar 1942. Zu den NS-Verbrechen reicht auch die Wehrmacht ihre Hand.

Als Pioniere Ende Dezember Gefangene hinter die Linien bringen sollen, werden sie gefragt, was die Sowjets ausgesagt hätten. Leutnant Farnbacher notiert die Antwort: "Man habe die alle umgelegt — es mögen so 30 Mann gewesen sein. Es ist ein fast tierisches Lachen, das ich höre, wie man das uns mitteilt. Das hätte man vor fünf Monaten einmal sagen oder wagen sollen!"

Die 4. Panzerdivision kämpft in den Folgejahren durchgehend an der Ostfront; erst am 9. Mai 1945 kapitulieren ihre Reste auf der Frischen Nehrung vor den Sowjets.

(RP)
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