Duisburg 164 Tage Ausnahmezustand

Duisburg · Ende November 1987 brach für Rheinhausen eine Welt zusammen. Das Krupp-Stahlwerk, Jahrzehnte lang das Herz der Stadt, sollte aufhören zu schlagen. Es war der Start zu einem noch nie dagewesenen Kampf um Arbeit, Leben, die bloße Existenz. Akteure von damals erinnern sich.

Dort, wo sich damals alles abgespielt hat, hat jetzt Duisburgs modernstes Logistikzentrum eine neue Heimat gefunden. Keine Spur mehr von rauchenden Schloten, brennenden Hochöfen oder gar jenem bedeutsamen Arbeitskampf, der auf dem Gesicht Rheinhausens und in den Köpfen der Rheinhauser Spuren hinterlassen hat.

Die Erinnerung an diese fünf Monate Arbeitskampf sind jetzt, nach 20 Jahren, immer noch so lebendig und wach, wie es damals die Rheinhauser waren, als es um die Schließung ihres Krupp-Werkes ging.

„Es war ein Gefühl der Solidarität, das uns alle erfasst hat“, erinnert sich der damalige Bezirksvorsteher und Vorsitzende des Bürgerkomitees, Hans Kleer. Der heute 85-Jährige habe damals immer an die Familien und Kinder gedacht, auch an die Väter, die nicht mehr wussten, ob sie jemals wieder Stahl in Rheinhausen kochen dürfen. Ein „sozialer Gedanke“, wie er es nennt, sie es gewesen, der ihn und seine Frau Sigrid bewogen hat, den Arbeitskampf voll und ganz zu unterstützen. Heute sei er „dem lieben Gott dankbar, dass er so vielen Menschen helfen konnte“.

Schlag auf Schlag

Rückblick: Am 26. November 1987 erfahren der Betriebsrat und auch die Belegschaft, dass das Hüttenwerk Rheinhausen mit seinen 6300 Beschäftigten bis Ende 1988 geschlossen und die Produktion auf Werke von Thyssen und Mannesmann verlagert werden soll. Manfred Bruckschen, damals Betriebsratsvorsitzender, wurde über das Telefon informiert. „Es ging alles Schlag auf Schlag“, war sein Empfinden. Ein Blick auf die Chronik des Kampfes gibt ihm Recht. Nur einen Tag später, am 27. November, sieht sich der damalige Krupp-Vorstandsvorsitzende Gerhard Cromme 3000 wütenden Stahlwerkern gegenüber. Sie fordern lautstark eine Erklärung, eine Erklärung von dem, was zwischen den Stahlkonzernen ausgehandelt wurde. Der Arbeitskampf beginnt.

Gerd Pfisterer arbeitet zu diesem Zeitpunkt als Schmelzer am Hochofen. Gleichzeitig ist er Mitglied beim Betriebsrat. Bis heute ist er überzeugt, dass sich die Stahlarbeiter hätten durchsetzen können. 1977 ist er nach Rheinhausen gekommen – und erlebte mit seiner Familie einen noch nie dagewesenen Kampf um Arbeit, Leben, die bloße Existenz. „Rheinhausen ist damals bis ins Mark erschüttert worden“, meint der heute 59-Jährige, als die schlechte Nachricht die Runde machte. Eine ganze Welt sei zusammengebrochen.

Stolz und Selbstbewusstsein

Pfisterer fand, wie rund 300 seiner Kollegen aus Rheinhausen, eine neue Arbeit bei Hoesch in Dortmund. Ein Teil des Sozialplanes. „Es war schon ein Neuanfang, aber nicht im Sinne eines Bruches, eher wie eine Herausforderung“, so Pfisterer. Seine Familie stand hinter ihm – und irgendwie auch hinter der gesamten Belegschaft. Rückblickend resümiert er: „Die Erfahrungen aus Rheinhausen sind eingegangen in die gesamte Gewerkschaftsbewegung.“ Wehmut, Stolz, Selbstbewusstsein: Mit diesen Worten verbindet Pfisterer den Arbeitskampf und die „Helden“ von einst. „Das kann ihnen keiner mehr nehmen“.

„Wirklich sagenhaft“, sind Christa Beutelmanns Worte, wenn man die Pfarrerin der Erlöserkirchengemeinde auf das anspricht, was vor fast genau 20 Jahren seinen Lauf nahm und knapp fünf Monate andauerte. Wie wirkten die Menschen auf sie? „Sie waren stinkewütend, verzweifelt und ließen sich doch motivieren durch diese unglaubliche Solidarität“. Die 52-Jährige war damals ebenfalls Mitglied der Frauen-Initiative, eine weitere wichtige und unverzichtbare Stütze für die kämpfenden Männer. So etwas gibt es kein zweites Mal, denkt Beutelmann.

Bewegende Momente

Da ist sie nicht die einzige. Auch der ehemalige Pfarrer von St. Peter, Fritz Bösken, ruft sich immer wieder diesen einen Gottesdienst im Walzwerk mit tausenden Besuchern ins Gedächtnis. „Es gab in dieser Zeit sehr viele bewegende Momente, doch der Gottesdienst war wirklich einmalig“. Nicht zuletzt durch die „lebendige Ökumene“ ist vieles Unmögliche möglich gemacht worden. Wer das mitgemacht habe, der könne das nie vergessen. Doch eine Wiederholung ein Wieder-Aufleben der Stimmung sei eben nicht mehr möglich.

Vergessen kann auch Helmut Benedens nicht, was damals war. Der Vater von sechs Kindern musste mit Mitte 50 in den Ruhestand. „Mit 55 Jahren, das ist ja noch kein Alter“. Es sei eine schlimme und frustrierende Zeit gewesen – für alle. Als Vorsitzende der Krupp-Pensionärsvereinigung weiß er: „Das Thema hat uns noch lange beschäftigt“.

(RP)
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