Um Sprachbarrieren zu überwinden Essener Kinder sprechen in Kita mit den Händen

Essen · In einer Essener Kita benutzen die Erzieher einfache Gebärden, um sich schon mit den Kleinsten zu verständigen. Das Ziel: Vor allem Kinder aus Migrantenfamilien sollen schneller und besser Deutsch lernen.

 Ein Mädchen macht anderen Kindern Gebärden vor. In einer Essener Kita benutzen die Erzieher einfache Gebärden, um sich schon mit den Kleinsten zu verständigen.

Ein Mädchen macht anderen Kindern Gebärden vor. In einer Essener Kita benutzen die Erzieher einfache Gebärden, um sich schon mit den Kleinsten zu verständigen.

Foto: dpa/Marcel Kusch

Wenn die Kinder der Städtischen Kindertagesstätte Flözstraße in Essen morgens im Stuhlkreis sitzen, können sie ihre Hände nicht stillhalten. Die kleine Mila stellt sich in die Mitte und singt mit den Anderen: „Wie macht der Hund?“. Dabei klopft sie sich mit der flachen Hand an die Seite des Oberschenkels – sie macht das Zeichen für „Hund“ in Gebärdensprache. Die insgesamt 60 Kinder und ihre Erzieher nutzen ihre Hände, um zu unterstreichen, was sie sagen. Und das nicht nur beim Singen. „Wir schaffen mit Gebärden eine Brücke zur Sprache. Das bringt Selbstbewusstsein und hilft beim Deutsch Lernen“, sagt Kita-Leiterin Isabella Schlehuber.

Denn die Kinder haben 14 verschiedene Nationalitäten und sprechen fast genauso viele Sprachen. Da kann es schon mal zu Schwierigkeiten kommen. „Kinder, bei denen Zuhause kein Deutsch gesprochen wird, haben es besonders schwer“, erklärt die Erzieherin Rebecca Prüfer, „Sie schämen sich oder haben Angst, etwas falsch auszusprechen.“

Seit Ende 2017 benutzt die Kita deswegen „Lautsprachunterstützende Gebärden“. Dabei wird die gesprochene Sprache von Handzeichen begleitet. „Pro Satz benutzen wir maximal eine Gebärde. So können sich die Kinder einzelne Wörter besser merken“, sagt Prüfer.

Dahinter steckt ein Hamburger Unternehmen, das seit 2005 Kurse anbietet, in denen Eltern und Kinder die Gebärden spielerisch lernen können. Einige Jahre später kamen auch Seminare für Kitas hinzu. Bisher sei das Konzept hauptsächlich in Norddeutschland verbreitet, so die Logopädin Karina Jung, die für das Unternehmen Seminare und Kurse in Nordrhein-Westfalen leitet.

Auch in NRW wachse die Nachfrage seit einiger Zeit stetig. „Lange bevor Kinder anfangen zu sprechen, können sie einfache Handzeichen machen. Das fängt schon beim Winken an“, erklärt Jung. Demnach könne von den Gebärden grundsätzlich jedes Kind profitieren, egal, ob Deutsch als Mutter- oder Fremdsprache gelernt wird. „Die Kinder sind entspannter und weniger frustriert, wenn sie ihre Bedürfnisse früh mitteilen können“, so die Logopädin.

Auch das Team der Kita Flözstraße hat in einem Seminar zunächst grundlegende Gebärden wie „Wasser“ oder „Aufräumen“ gelernt. Später kamen Farben, Wochentage und Jahreszeiten hinzu. „Mittlerweile benutzen wir um die 60 Grundbegriffe der Deutschen Gebärdensprache, wenn wir mit den Kindern reden“, erklärt Stefan Jähne, der als Fachkraft die städtische Sprach-Kita betreut. Bei dem vom Bund unterstützten Programm wird besonders viel Wert auf die sprachliche Förderung gelegt, die spielerisch in den Alltag eingebaut wird.

Besonders gut lässt sich das im morgendlichen Sitzkreis beobachten. Bevor gesungen wird, gehen die Kinder zusammen den Tagesablauf durch. Frühstücken, Zähne putzen, Spielen – für all das gibt es eine eigene Gebärde. „Im Alltag nutzen vor allem die jüngeren Kinder die Zeichen, wenn sie Durst haben oder auf Toilette müssen“, erklärt Jähne.

Die Lieblingsgebärde der Kinder sei aber „Noch mal“, so Prüfer. Dafür wird die Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger gedreht. „Das war auch die erste Gebärde, die wirklich alle konnten“, erinnert sich die Erzieherin. Mit der Zeit nehme die Benutzung der Gebärden dann von ganz allein wieder ab: „Sobald sich die Kinder beim Sprechen sicher fühlen, brauchen sie die Handzeichen nicht mehr.“

Von den Eltern wurde das Konzept sehr positiv aufgenommen, so die Elternratsvorsitzende Rinki Arora. Das sei wichtig, denn die Kinder nutzen die Handzeichen auch Zuhause. „Mein Sohn hat früher kaum gesprochen, das hat sich durch die Gebärden geändert“, sagt die 31-Jährige.

Tatsächlich sei bewiesen, dass die zusätzlichen Gesten beim Merken von Wörtern helfen, erklärt Barbara Hänel-Faulhaber von der Universität Hamburg. Besonders stark sei dies bei Kindern zu sehen, die anfangs Schwierigkeiten beim Spracherwerb haben. „Das heißt aber nicht, dass Kinder ohne Gebärden per se schlechter in die Sprache finden“, so die Pädagogin. Denn: Ob die Gebärden auch auf lange Sicht einen Vorteil bringen, sei bisher nicht erforscht.

(see/dpa)
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