Poker um die Macht in NRW Tag eins nach Rot-Rot-Grün

Nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen mit der Linkspartei gehen SPD und Grüne wieder getrennte Wege. Der Schmerz über die verpasste Machtoption hält sich in Grenzen. Woran liegt das? Eine Ursachenforschung.

Rot-rot-grüne Sondierungsgespräche gescheitert
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Sylvia Löhrmann, die Spitzenkandidatin der Grünen, sitzt gestern um 12.30 Uhr in einem Restaurant in der Nähe des Landtags und studiert die Speisekarte. Seit Wochen habe sie nicht mehr so viel Ruhe zum Mittagessen gehabt, sagt die Solingerin und lächelt. Nein, sie sei nicht niedergeschlagen. Nur etwas müde. Die Auswertung der gescheiterten Sondierungsgespräche mit der Linkspartei hatte an der Hotelbar geendet. Löhrmann hatte sich einen "Glenlivet"-Whisky genehmigt. "Whisky heißt: Wasser des Lebens", übersetzt die frühere Englisch-Lehrerin.

Die Träume sind geplatzt

Am Tag, nachdem Rot-Rot-Grün gescheitert ist, gehen Grüne und SPD wieder getrennte Wege. Am Donnerstag hatten sich SPD-Chefin Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann zum Abschied noch einmal herzlich umarmt. Am 9. Mai, um kurz nach 18 Uhr, da glaubten sie, gemeinsam einen großartigen Erfolg errungen zu haben. Jetzt sind ihre Träume geplatzt. Kraft wird wohl nicht Ministerpräsidentin. Und Löhrmann nicht Ministerin.

Oder doch? Löhrmanns Ziel, Schulministerin zu werden, ließe sich nur durch Neuwahlen verwirklichen. Aber von der Idee will die Grüne (zumindest derzeit) nichts wissen. Sie liest eine Lebensweisheit vor, die sie -- wie bestellt -- auf der Speisekarte erblickt. "Manche Leute glauben, Durchhalten mache uns stark. Doch manchmal stärkt uns das Loslassen", steht da.

Loslassen: Für Löhrmann scheint das nicht so schwer zu sein wie für andere. Der Auftritt der Linkspartei in den Verhandlungen war so ernüchternd, dass kein Schmerz über die verpasste Machtoption aufkommt. Bei der SPD heißt es, man habe eine "Lehrstunde des politischen Diskurses" erlebt. Eine Lektion, wie Dilettanten Verhandlungen zum Scheitern bringen. Noch immer sind die Mitglieder der SPD-Delegation geschockt über den Verlauf des Gesprächs im Hotel "Holiday Inn".

Vor allem die Grünen hatten mit Rücksicht auf Bündnis 90, den Vorläufer der Grünen in der DDR, eine Klarstellung der Linkspartei zur DDR-Vergangenheit gefordert. Mehr, als dass sie generell "gegen Diktaturen" sei, war der Linken aber nicht abzuringen, hieß es gestern. Die klare Formulierung, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei, wollten sie keinesfalls akzeptieren.

Linke wollten über das KPD-Verbot sprechen

Scheinbaren sprachlichen Zugeständnissen sei stets ein einschränkendes "Aber" gefolgt. Wenn man über die DDR reden wolle, dann müsse man aber auch über das KPD-Verbot in Westdeutschland sprechen, beharrten die Linken und bestanden auf ihrer Forderung, den Verfassungsschutz in NRW abzuschaffen, wenn auch nicht sofort. Bei Rot-Grün wuchs zunehmend der Unmut über deren Wortklaubereien. Vor allem Parteichef Wolfgang Zimmermann, der sich nach außen verbindlich gebe, habe sich als Hardliner erwiesen.

Als Britta Altenkamp, Vize-Fraktionschefin der SPD, von den Linken einen geschlossenen Auftritt von Partei und Fraktion einforderte, konterten die, auch die SPD habe nicht immer alle Mitglieder im Griff. Als Beispiel führten die Linken die umstrittenen Äußerungen des früheren Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin an. Statt auf SPD und Grüne zuzugehen, suchte die Linke die Flucht im Angriff. Vor allem der Linken-Abgeordnete Rüdiger Sagel habe "immer wieder billige Versuche unternommen, den Spieß umzudrehen". Auch bei der SPD solle es ja zehn Abweichler gegen Rot-Rot-Grün geben, argumentierte er. "Nach diesen Gesprächen werden es wohl eher mehr", murmelte ein Sozialdemokrat.

"Mit dieser Truppe von Sektierern..."

Die Linken hätten nur Überschriften, aber keine Inhalte zu verkaufen gehabt, heißt es bei den Grünen. Es sei erschreckend gewesen, wie "naiv und geschichtsvergessen" die Delegation aufgetreten sei. "Mit dieser Truppe von Sektierern kann man keine verantwortliche Politik machen", sagt ein Fraktionsmitglied der Grünen. Ulrich Maurer, der "West-Beauftragte" der Linkspartei aus Berlin, sei mit seiner Mission, die Landespartei auf Regierungskurs zu bringen, überfordert gewesen, hieß es in Düsseldorf. Angeblich hatte Maurer Fraktionschef Gregor Gysi am Tag vor den Verhandlungen noch durchtelefoniert, er habe "die Truppe im Griff".

Ihm gelang es zwar, die Gespräche über fünf Stunden "künstlich zu beatmen". Am Ende konnte er das Scheitern von Rot-Rot-Grün nicht abwenden. "Jetzt ist es, wie es ist", sagt Sylvia Löhrmann. Das bedeutet, dass sie die Rolle der Oppositionsführerin übernehmen wird. Sie sei gewöhnt, in schwieriger Lage Verantwortung zu übernehmen und die Ruhe zu bewahren. Löhrmann erzählt eine Geschichte aus der Zeit, als sie eine junge Lehrerin war. Auf dem Rückweg zu einer Jugendherberge wurde sie mit Sechstklässlern im Wald von der Dunkelheit überrascht. Auch Löhrmann wurde mulmig. Doch sie vertraute ihrem Orientierungssinn. Die Gruppe kam an.

(RP)
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