Lünen Lippenleserin rekonstruiert NRW-Heimatfilm

Lünen · Wie rekonstruiert man einen Heimatfilm aus dem Münsterland, der nie gezeigt wurde und dessen Tonspur verloren gegangen ist? Dieser Aufgabe stellten sich Studenten der ifs (Internationale Filmschule Köln). Sie engagierten eine Lippenleserin, die Teile der Dialoge von "Das Dorf in der Heide" rekonstruierte.

 Eine Szene aus dem Schwarzweiß-Film "Das Dorf in der Heide".

Eine Szene aus dem Schwarzweiß-Film "Das Dorf in der Heide".

Foto: ifs

Dass der Film überhaupt über die Leinwand flimmert, verdankt er einem Rentner aus Reken im Münsterland, wo das Werk 1956 unter großer Anteilnahme der Bewohner gedreht wurde. Doch ins Kino kam der Debütfilm von Hans Müller-Westernhagen nie. Die Produktionsfirma von "Das Dorf in der Heide" ging pleite, das Werk verschwand in der Versenkung. Mehr als 50 Jahre später machte sich Rentner Anton Heilken auf die Suche nach dem Film und fand das Rohmaterial im Bundesfilmarchiv — allerdings ohne Ton. Auch ein Drehbuch gab es nicht. Mike Wiedemann, Leiter des Filmfestivals in Lünen, erfuhr von dem Fund und wandte sich an die Filmschule in Köln. Die Filmstiftung NRW, die Sparkassenstiftung für den Kreis Borken und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe beteiligen sich an den Kosten. "Für die Filmschule allein wäre das Projekt zu groß gewesen", sagt ifs-Studienleiterin Sue Nicholls-Gärtner.

Die Studenten des Studiengangs Editing Bild & Ton machten sich unter der Leitung von Professor André Bendocchi-Alves und Regisseur Hans Erich Viet daran, die Bilder zu deuten und sie in eine Reihenfolge zu bringen, so dass die Geschichte Sinn macht. Die Lippenleserin konnte nur 20 Prozent der Dialoge rekonstruieren, in den anderen Fällen waren die Köpfe der Protagonisten von der Kamera abgewandt. Für diese Szenen schrieben Viet und ifs-Dozentin Claudia Enzmann neue Dialoge, die zu den Bildern passen mussten. Herausgekommen ist ein typischer Heimatfilm der 50er Jahre: Ein Großstädter findet sein Glück in der Provinz. Für den musikalischen Schmelz sorgten Studenten der Musikhochschule Freiburg.

Bevor es an die Dialoge ging — der aufwendigste Part der Wiederherstellung — fuhren die Studenten nach Reken und nahmen die Geräusche auf: das authentische Knarzen des Fußbodens in der alten Mühle oder das Schlagen der Türen in der Kirche. Ein Oldtimerclub vor Ort lieferte die Motorengeräusche. "Wir wollten dem Werk treu bleiben, das Gefühl eines Heimatfilms erzeugen und nicht versuchen, ihn zu modernisieren", erklärt die Studienleiterin. Spannend wird es, wenn der Film am Samstag seine Welturaufführung erlebt: Eine der Schauspielerinnen wird kommen und beurteilen, ob "Das Dorf in der Heide" der Film ist, den sie damals gedreht hat.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort