Verkauftricks der Pharmaindustrie Erfundenes Männerleid: vorzeitiger Samenerguss

Düsseldorf · Die Pharmaindustrie möchte Medikamente verkaufen. Am besten so viele wie möglich. Damit das klappt, betreiben die Medikamentenhersteller Marketing und erfinden nicht selten neue Krankheiten. Ihre neueste Entdeckung: Der vorzeitige Samenerguss.

Verkauftricks der Pharmaindustrie: Erfundenes Männerleid: vorzeitiger Samenerguss
Foto: dpa, Julian Stratenschulte

Mit viel Fantasie versucht die Pharmaindustrie, das öffentliche Bewusstsein um behandlungsbedürftige Krankheiten zu erweitern: Normale Lebensprozesse (Haarsaufall) werden da plötzlich zu medizinischen Problemen. Und aus Risikofaktoren (Knochendichte, Cholesterinwert) werden behandlungspflichtige Krankheiten. Hauptsache, die Absatzzahlen gehen durch die Decke. Der neuste Coup kommt von der Berlin-Chemie AG. Das Unternehmen versucht gerade mit seiner Online-Kampagne "späterkommen.de", die dieses Jahr an den Start ging, dem Mann bei Erektionsproblemen beiseite zu stehen. Um genau zu sein, beim "Ejaculation praecox".

Grundsätzlich handelt es sich dabei um eine sexuelle Störung beim Mann. Zur Diagnose kommt es, wenn für den Betroffenen Orgasmus und Ejakulation nicht zu kontrollieren sind. Es handelt sich also um ein tatsächliches medizinisches Problem.

Damit auch jeder "seinen Mann stehen" kann

Mit seinem Internetangebot bietet Berlin-Chemie Betroffenen einen einfühlsam gestalteten Ratgeber. Immer wieder tauchen wohlige Bilder eines vermeintlichen Arztes auf, der Ratschläge verteilt. Mit einem angebotenen Selbsttest kann jeder feststellen, ob er Penisprobleme hat. Sollte dies der Fall sein, steht die Seite mit Rat und Tat bereit. Das Ziel: Am Ende soll jeder wieder "seinen Mann stehen" können.

Seltsamerweise scheitert der Leitfaden schon früh an den eigenen Ansprüchen. Bereits bei der konkreten Problembeschreibung gerät er ins Stolpern: Wann ist zu früh wirklich zu früh? Konkrete Antworten bleibt die Aufklärungsplattform dann doch schuldig, und schreibt etwas von "verschiedenen wissenschaftlichen Definitionen des vorzeitigen Samenergusses". Statt konkrete Antworten zu geben, schießt sie sich "der Ratgeber" auf die Komplexe von Männern ein: Wird der Samenerguss als zu früh empfunden? Verursacht er emotionalen Stress? Kriselt es deshalb gar in der Beziehung? Auf einmal wird jeder zum potenziell Betroffenen. In einer Leistungsgesellschaft — so das Kalkül — muss auch im Bett jeder ein Marathonmann sein.

Die Betonung der Serviceidee seitens Berlin-Chemie kommt nicht von ungefähr. In Deutschland ist es gesetzlich verboten, Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente wie etwa Priligy von Berlin-Chemie zu machen. Um nicht straffällig zu werden, muss das Unternehmen den Dienst am Kunden hervorheben.

Eine sehr teure Minute

Am Ende gipfelt auf "späterkommen.de" alles im Rat zum Urologenbesuch. Denn hier wird die Sache für die Berlin-Chemie AG zielführend, Ärzte können den "Betroffenen" dann Präparat Priligy des Unternehmens verschreiben. Dieses beinhaltet den Wirkstoff Dapoxetin, der, eigentlich als Antidepressivum entwickelt, die neuronale Serotonin-Wiederaufnahme verhindern soll. "Dadurch soll die zweite Phase der Ejakulation, der Expulsionsreflex, gehemmt werden", schreibt die medizinische Fachzeitschrift "arznei-telegramm". Schon seit 2009 bietet die Berlin-Chemie den Wirkstoff als Hilfe bei Ejakulationsproblemen an.

Verwunderlich ist das allemal, war doch schon 2009 im "arznei-telegramm" von einer Studie zu lesen, die belegt, dass der Wirkstoff Dapoxetin den Orgasmus beim Mann bestenfalls um rund eine Minute hinauszögert. Darauf, diese Tatsache zu erwähnen, verzichtet das "späterkommen.de" vollständig. Ebenso darauf, zu erklären, dass das Medikament ein Lifestyle-Produkt ist und damit nicht von den Kassen übernommen wird. Die Kosten für die einzelne Tablette liegen zwischen acht und zwölf Euro. Ein bis zwei sollten pro Tag eingenommen werden, damit sich eine Wirkung einstellt.

(ham)
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