King of Pop vor einem Jahr gestorben Michael Jackson — das Vermächtnis

Düsseldorf (RPO). Vor einem Jahr, am 25. Juni 2009, starb der "King Of Pop". Seither haben sich seine Platten besser verkauft als in den zehn Jahren zuvor. Der bei seinem Tod 50 Jahre alte Künstler ist präsenter denn je. Der Privatmann wird nach einer Phase der Reinwaschung als skurrile Comicfigur dargestellt. Fertig sind wir mit dem letzten Megastar des Pop noch lange nicht.

Michael Jacksons Rekorde
16 Bilder

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1. Die Stimme und der Körper Das ist es. Die Stimme. Danach erst Bass und Gitarre und die Elektronik in seinen Liedern, die Arrangements. It's the singer, not the song. Michael Jacksons Stimme konnte schmeicheln, schäkern, fordern, Druck aufbauen. Sie schlug den Rhythmus: das "Hihi", mit dem sie "The Way You Make Me Feel" anstieß. Das "Aah", das "Bad" aufs Gleis setzte. Das "Oh no", das in "Dirty Diana" Dampf machte. Das "Ouw", auf dem "Smooth Criminal" dahinglitt.

Eine seltene Stimme, seelenvoll, skurril und doch allgemein. Höchst artifiziell, traumwandlerisch im Erreichen des Superlativs. Man höre sich nur mal "They Don't Really Care About Us" an. Der Song besteht ausschließlich aus Stimme. Minimalismus mit maximaler Wirkung. Dabei versuchte Jackson stets, menschlich zu wirken. Er ließ das Geräusch des Einatmens nicht wegradieren, sondern baute es als Stilmerkmal in seine Stücke ein. "Human Nature" ist so gesehen sein intensivstes Lied: Jackson saugt den Hörer an, liebkost ihn mit seinem Atem, lockt ihn in seine Musik.

Körpermusik ist das. Die Art, wie er sich dazu bewegte. Sicher war er der beste Tänzer im Pop. Der beste Performer. Die Art, aufs Publikum zu schauen. Das Selbstverständliche der physischen Überwindung. Die Elektrizität in den Gliedmaßen. Wunder einer weltlichen Religion. Der Körper als Zündfunke; er macht, dass du brennst. Die Komplettheit. Jackson war der Überbrücker von Abgründen; denen zwischen Mann und Frau, Schwarz und Weiß, Soul und Rock, Bordstein und Skyline. Die Auflösung aller Sorgen im Groove, das Egalwerden der Unterschiede im Rausch.

2. Das Leben 25. Juni 2009, Herzversagen, UCLA Hospital Center, Los Angeles. Ein Jahr ist er nun tot. So tot, wie ein Künstler tot sein kann, der in den vergangenen zwölf Monaten 31 Millionen Platten verkauft hat, 260 Millionen Dollar mit einem Dokumentarfilm über seinen Comeback- Versuch einspielte, zwischen 500 und 900 Millionen Dollar verdiente.

Vom Leben Michael Jacksons ist ein Gefühl geblieben. Es ist am ehesten mit Mitleid zu vergleichen, danach aber direkt auch schon mit Ekel-Faszination. Auf seinen Tod folgte zunächst die Himmelfahrt, die Reinwaschung von allen Dämonen. Auf dem Privatfriedhof von Glendale liegen die sterblichen Überreste eines Weißgewaschenen. Buchstäblich.

An den Vorwurf des Kindesmissbrauchs wird nur mehr nebenbei erinnert. Die Menschen haben den bei seinem Tod 50 Jahre alten Mann als Peter Pan in Erinnerung, als ewiges Kind, Opfer einer völlig bescheuerten Familie, seines Ruhms und der Bösartigkeit der Welt.

Aber bei aller Zuneigung der Menschen — und damit sind nicht nur diejenigen gemeint, die in Rio und Paris und Berlin und bei Youtube mit weißem Glitzerhandschuh den Moonwalk proben — verlor der Mensch Michael Jackson doch an Würde. Comicfigur, Skurrilitäten- Magnet. Das hat es zuvor in kleinerem Ausmaß höchstens bei Elvis gegeben, die getrennte Wahrnehmung eines Menschen als Privatperson und als Künstler. Vor dem Künstler verbeugen sie sich, dem kaufen sie Platten ab mit Songs, die sie längst kennen.

Aber über den Privatmann erzählen sie sich solche Dinge: Seine Leber wog 250 Gramm. Seine Augenbrauen waren tätowiert. Seine Kinderfrau musste ihm wieder und wieder den Magen auspumpen. Sein Hirn wurde entnommen und wird seitdem untersucht. Seine Wirbelsäule wurde gebrochen. Sein Haar war schütter unter der Perücke. Wenn er das Anästhetikum Propofol haben wollte, bat er um Milch. Der Künstler glitzert von Sternenstaub, der Mann ist schmutzig vom Erdenstaub.

3. Die Musik Seine künstlerische Blüte dauerte nur wenige Jahre; drei Alben, die bleiben. Aber darauf ist alles enthalten: der Bass-Sägezahn, der in "Beat it" an deinen Beinen reißt und "Tanz!" brüllt. Der losgebundene Gitarrengaul, der nicht weiß, ob das hier Springreiten ist oder Rodeo. "Thriller" ist eine super-irregute Platte, "Bad" ist stellenweise genial, und "Off The Wall" ist eine schön anzusehende Postkarte, geschrieben auf halbem Weg zur Perfektion. Wenn diese Musik beginnt, kommt etwas in Gang, das man auf den Platten anderer Künstler nicht findet.

Die alten Lieder sind heute erfolgreicher als in der Dekade zuvor. Jeder große Plattenladen hat eine Ecke für Produkte mit dem Michael-Jackson-Schriftzug eingerichtet. Die Jüngeren, denen erst bei seinem Tod aufging, dass der Freak wirklich was kann, erschlossen sich einen Künstler, der vor 30 Jahren bereits die Stile vermengte und noch immer nicht antiquierter klingt als Beyoncé Knowles oder andere.

"Billie Jean" und andere Titel haben nichts von einem Oldie. Weihwasser des Populären, kein Schimmel trotz noch so vieler Jahre. Die meisten deutschen Fußballnationalspieler, von denen außer dem 36-jährigen Torhüter Hans- Jörg Butt keiner Michael Jackson in seiner größten Zeit erlebt haben dürfte, zählten ihn in einer Umfrage neulich zu ihren Helden. Jackson passt gut als Soundtrack zu einer Zeit, in der die Kulturen sich mischen.

Das Komische: Elvis steht für die 50er, die Beatles für die 60er, Pink Floyd für die 70er, Madonna für die 80er, Robbie Williams für die 90er Jahre und Jackson für heute. Dabei veröffentlichte er in den acht Jahren vor seinem Tod kein neues Material und seit über 20 Jahren nichts Gutes mehr. Trotzdem ist er so maßgeblich wie 1982, als "Thriller" erschien. Die am häufigsten gestellten Fragen im Internet lauteten 2009: "Ist Michael Jackson tot?" und "Ist Lady Gaga ein Mann?".

Seine Musik hat eine menschenfreundliche Wirkung. Sie spricht dir gut zu. Spirituelle Materialität. In dem Duett "The Girl Is Mine" gibt es einen kleinen Dialog zwischen Michael Jackson und Paul McCartney. "Geh ran, tu was", rät der Ex-Beatle, aber Jackson will die Frau nicht auf die Macho-Art erobern: "Ich bin ein Liebhaber, kein Kämpfer", sagt er. Das ist es. Michael Jackson, der Liebhaber. Das ist die Musik eines Liebhabers, ja.

4. Die Zukunft Das also ist das Vermächtnis von Michael Jackson. Wir werden die skurrilen Geschichten nicht los. Wir werden noch mehr hören aus dem Lande Neverland, Kursivitäten, Schrägheiten, Abartigkeiten. Wir werden irgendwann ins Kino gehen, um uns seine Lebensgeschichte als Spielfilm anzusehen.

Es wird ihm ergehen wie Elvis in den Jahren nach seinem Tod. Es gibt den dicken Elvis mit den Burgern und den geschmeidigen mit dem Hüftschwung. Jackson wird auf ewig zwischen Propofol und Popthron hin- und herreisen. Wir werden seine Musik hören. Einige der 100 hinterlassenen, unveröffentlichen Songs kommen im November auf den Markt.

Gerade haben seine Nachlassverwalter, der Anwalt John Branca und der Musikmanager John McClain, mit der Plattenfirma Sony einen Vertrag über 250 Millionen Dollar abgeschlossen. Zum Vergleich: die höchstdotierten lebenden Musiker sind 150 Millionen (Jay Z) und 120 Millionen Dollar (Madonna) wert. Nicht alles wird es verdienen, auf CD, DVD, iTunes, für Playstation, iPod und Discothek veröffentlicht zu werden. Im Oktober 2009 erschien der erste Songs aus dem Nachlass, "This is it" war Magerquark.

Viel Altes kommt noch einmal zurück: Das Album "Off The Wall" von 1979 wird neu herausgegeben, die Veröffentlichung plante Jackson kurz vor seinem Tod noch selbst. Er hing an dieser Platte, auf der tolle Songs wie "Don't Stop 'Til You Get Enough" zu finden sind; sie war nicht so verflixt perfekt wie die danach. Sie war mehr Michael, weniger Jackson.

Wir werden ihn nicht los. Wir werden ihn weiterhin überall zu hören bekommen. Wir werden sein Geheimnis dennoch nicht lüften. Wir werden ihn nicht zu fassen kriegen. Wir werden ihm nicht gerecht.

That's it.

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