Türkischer Botschafter erzürnt Österreichs Regierung

Wien Für einen Spitzendiplomaten hat Kadri Ecved Tezcan (61) eine sehr lockere Zunge – und deshalb hat der türkische Botschafter in Wien für einen heftigen Eklat gesorgt: Tezcan bescheinigte der österreichischen Regierung Versagen bei der Integrationspolitik. "Warum habt ihr 110 000 Türken eingebürgert?", fragte er provokant in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Presse" und fügte hinzu: "Wenn Ihr keine Ausländer wollt, dann jagt sie doch fort!" Wien, so spöttelte Tezcan weiter, halte sich für ein kulturelles Zentrum Europas, dabei würden dort fast 30 Prozent die FPÖ und damit eine rechtsradikale Partei wählen. Müsste er nicht sein Land vertreten, "würde ich nicht hier bleiben". Besonders hart ging er mit der Wiener Stadtregierung ins Gericht, der er eine Ghetto-Politik gegenüber den Türken vorwarf. Zudem schloss er die Behauptung an, außer im Urlaub würden sich die Österreicher ohnehin nicht für andere Kulturen interessieren.

Das ganze Land rätselt, was den als erfahren geltenden Diplomaten zu diesem Ausbruch veranlasst haben könnte. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Werner Faymann nannte die Äußerungen "unprofessionell und inakzeptabel", sein konservativer Vizekanzler Josef Pröll verwahrte sich dagegen, dass ein ausländischer Diplomat "ein Regierungsmitglied derart abqualifiziert". Tezcan hatte die für Integration zuständige Innenministerin Maria Fekter von der konservativen Volkspartei (ÖVP) als Fehlbesetzung bezeichnet. Die FPÖ fordert sogar die Aussetzung der Beziehungen zur Türkei.

Die allgemeine Empörung ist auch deshalb so groß, weil der türkische Botschafter mit seinen Äußerungen im Kern den Stand der österreichischen Integrationspolitik treffend beschrieben hat. Doch sei Österreich, so Außenminister Michael Spindelegger, an keiner Beziehungskrise zur Türkei interessiert. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu habe ihm gegenüber telefonisch versichert, Tezcan habe nicht die offizielle Haltung der Türkei wiedergegeben, sondern lediglich seine private Meinung geäußert.

Eine mögliche Erklärung für die Entgleisung des türkischen Diplomaten wäre eine Retourkutsche für die jahrzehntelange türkenfeindliche Politik Österreichs, die namentlich die FPÖ in ihren Wahlkämpfen zeigt und die auch immer stärker auf die Regierungsparteien abfärbt. Österreich zählt zu den entschiedensten Gegnern eines EU-Beitritts der Türkei.

Dass der Botschafter in demselben Interview seine Landsleute aufforderte, Deutsch zu lernen und die Gesetze des Gastlandes zu befolgen, ging völlig unter.

(Rheinische Post)
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