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Politische Belastungsprobe Die Flüchtlingskrise nagt am Zusammenhalt der Europäer

Düsseldorf · Die Flüchtlingskrise verstärkt einen politischen Trend zur Rückbesinnung aufs Nationale. An dessen Überwindung hatten gerade in Deutschland viele geglaubt. Eine Analyse.

Ursachen der großen Flucht
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Ursachen der großen Flucht

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Foto: ALESSANDRO BIANCHI

Hunderttausende Flüchtlinge strömen nach Europa, die meisten von ihnen nach Deutschland. Die Regierenden haben das Ausmaß dieser menschlichen Flut lange unterschätzt, und es spricht viel dafür, dass sie auch deren mögliche Folgen noch nicht ansatzweise überblicken. Es geht dabei längst nicht nur um das administrative Krisenmanagement, also die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge sowie ihre spätere Integration, was für sich genommen schon eine gigantische Aufgabe ist.

Die Aufnahme so vieler fremder Menschen in so kurzer Zeit stellt auch eine politische Belastungsprobe dar, die in der Beziehung zwischen Nationalstaaten und Europäischer Union die Uhren kräftig zurückdrehen könnte. Kein Zweifel, der Nationalstaat ist so populär wie nie, denn er stellt eine politische Idee dar, die vertraut ist, die Halt gibt, gerade in Zeiten der Unsicherheit. Augenfällig ist das in diesen Tagen bei der Frage der Landesgrenzen.

"Grenze", das war doch etwas, was man eigentlich überwunden glaubte innerhalb der freizügigen Schengen-EU. Ein staubiges Relikt aus einer engstirnigen Zeit. Und nun sehnen sich viele Europäer plötzlich wieder nach einer Rückkehr der Schlagbäume. Man kann es ihnen nicht ganz verdenken, angesichts des traurigen Bilds, das die EU derzeit abgibt. Wenn selbst der kleinste Kompromiss um die Verteilung der Zuwanderer spätestens bei der praktischen Umsetzung scheitert, wenn die EU-Außengrenzen nicht viel mehr sind als gestrichelte Linien auf einer Landkarte, ist es da ein Wunder, wenn sich die Menschen in das Idyll des Nationalstaats zurückwünschen?

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Foto: dpa, kc jak

Es ist ein irrationaler Wunsch, gewiss, denn kein einzelner EU-Staat kann dieses Problem europäischen Ausmaßes alleine meistern. Aber das ändert nichts an der politischen Wucht der Bewegung, die schon während der Euro- und Schuldenkrise einsetzte und nun mit der aus dem Ruder laufenden Flüchtlingstragödie zusätzliche Dynamik gewinnt: Weniger Macht für die EU, das ist längst keine Forderung mehr, die ausschließlich an den rechten und linken Rändern des politischen Spektrums erhoben wird.

In Brüssel hat man den Trend zur Renationalisierung der EU zwar erkannt, reagiert aber hilflos. Dabei hätte man gewarnt sein können, seit 2005 die Einführung einer europäischen Verfassung bei mehreren Volksabstimmungen krachend gescheitert war und damit der naive Versuch, das post-nationale Europa auf dem Papier einfach vorwegzunehmen. Die Gefühle, die Sorgen und die Identitätsbedürfnisse der Menschen hatten die EU-Architekten dabei freilich fein säuberlich ausgeklammert.

Nirgends wohl war die Bestürzung über das Scheitern der EU-Verfassung größer als unter Deutschlands Eliten, die sich nach den dunklen NS-Jahren in das kalte Konstrukt des "Verfassungspatriotismus" geflüchtet hatten, um die politische Identität eben nicht mehr national, sondern nur noch rein rational zu begründen. Und nirgends ist heute das Entsetzen größer über den nationalen Egoismus der anderen Europäer in der Flüchtlingskrise. Aber so verständlich die deutsche Enttäuschung über die mangelnde Solidarität ist, sie verrät auch eine Verkennung der Wirklichkeit.

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Foto: Endermann, Andreas

Denn die Flucht hinter die eigenen Staatsgrenzen gehorcht einer eigenen Logik. Für viele Europäer handelt es sich um einen tief verwurzelten Reflex: In der Krise schart man sich um die Nation, ihre Tradition und ihre Symbole, die bei unseren Nachbarn eben alles andere als diskreditiert sind. Das gilt ganz besonders auch für die osteuropäischen Staaten, die sich auch aus diesem Grund hartnäckig dagegen sträuben, in größerem Umfang Flüchtlinge aufzunehmen. Für viele Polen etwa, deren Land in seiner Geschichte mehrfach zerstückelt wurde und die die traumatische Erinnerung an Jahrzehnte der kommunistisch-sowjetischen Fremdbestimmung mit sich herumtragen, sind Grenzen und Staatsbürgerschaft nichts Überholtes, sondern ein hohes Gut und im Zweifel wichtiger als europäische Ideale, die vermeintlich den Zusammenhalt der Nation bedrohen.

Historiker und Philosophen debattieren bis heute, was eigentlich die Identität einer Nation ausmacht. Vieles gehört dazu, vor allem die gemeinsam erlittene Geschichte, eine gewachsene Kultur und Sprache, das Staatsgebiet. Aber das Nationale definiert sich immer auch negativ, durch Abgrenzung. Die Angehörigen der Nation, identifizierbar durch ihre Staatsangehörigkeit, stehen auf der einen Seite. Auf der anderen "die Fremden", die nicht dazugehören. Die Nation ist ein selektiver Club, in dem nicht jeder einfach so Mitglied werden darf. Es ist klar, dass die Idee von der Nation schnell in Konflikt geraten kann mit humanitären und moralischen Imperativen. Der Ausgang solcher Konflikte ist oft eindeutig: Abschottung gegenüber Migranten ist auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit die Regel statt die Ausnahme.

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Foto: Leslie Brook

Dass sich die Flüchtlingsdebatte hierzulande stark darum dreht, wie viel die Migranten uns kosten oder wie viel sie nutzen, hat eben nicht nur mit der deutschen Neigung zu tun, alles auf die Frage zu reduzieren: Wer zahlt? Es ist auch der Versuch, die Politik der offenen Grenzen jenseits des Humanitären ganz rational zu begründen und politisch zu verkaufen. Doch volkswirtschaftliche Interessen können nicht den Kitt einer Nation bilden. "Ein Zollverein ist kein Vaterland", wie es der französische Denker Ernest Renan formuliert hat. Vom "Europa der Vaterländer" sprach einst auch Charles de Gaulle. Es schien ihm die einzig vernünftige Konstruktion. Die Rückkehr zu seinem Konzept ist in einer globalisierten Welt zwar keine Lösung. Aber es ist wahr: In diesen Tagen erinnert die EU sogar mehr an einen Zollverein als an eine politische Union.

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(bee)
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