Erinnerungen an einen Urlaub im Osten Wie ich als Westkind die DDR erlebte

Als kleines Mädchen besuchte ich mit meiner Mutter mehrmals Verwandte und Freunde "drüben". In Güstrow waren die Häuser braun und die Autos beige. Von der Sehnsucht nach Nesquik, von kalten Duschen und einer Ost-West-Freundschaft.

"Neues Forum": Der Lebensweg der Akteure von damals
6 Bilder

"Neues Forum": Der Lebensweg der Akteure von damals

6 Bilder

Ich war immer froh, wenn die ruckelige Straße anfing. Erst vorbei an vielen Feldern, dann gesäumt von hohen Bäumen. Manchmal war es nebelig. Aber oft schien die Sonne. Wir hörten Kassetten.

Wir waren drüben.

Ich habe damit nichts verbunden, mit dem Wort: "drüben". Aber die ruckelige Straße bedeutete, dass wir die Männer mit den Spiegeln passiert hatten. Die konnten uns jetzt nichts mehr. Ich glaube nicht, dass ich damals, mit fünf, sechs Jahren, begriffen habe, was die Grenzbeamten taten, aber dieses bedrohliche Gefühl war da. Ich hatte wirklich Angst. Einmal war es sehr heiß, als wir an der Grenze warteten. "Mama, ich hab' Durst", sagte ich. "Warte, ich hole dir ein Trinkpäckchen aus dem Kofferraum", sagte meine Mutter. "Nein, Mama, steig nicht aus, die nehmen dich mit", rief ich.

Verhandlungen über eine Salami

In den späten 80er und frühen 90er Jahren besuchte ich mit meiner Mutter mehrmals meine Großtante, die Cousine meines Großvaters, in Güstrow, Mecklenburg. Mein Großvater und meine Mutter unterhielten engen Kontakt zu meiner Großtante, vor allem durch Briefe. Da sie Rentnerin war, durfte sie in den Westen reisen und besuchte uns auch einige Male in Aachen.

Ein andermal fuhr die Nachbarin meiner Großeltern mit. Sie wollte Freunde besuchen, die sie sehr lange nicht mehr gesehen hatte, und trug eine Salami im Gepäck. Es dauerte gefühlte Stunden, ehe sie aus dem Häuschen wiederkam, in das sie die Grenzbeamten mitgenommen hatten. Aber sie hatte hart verhandelt - die Salami durfte mit.

Später transportierten wir mal einen großen Berberteppich im Kofferraum. Den hatte sich meine Großtante gewünscht: "Wo man mit den Füßen einsinken kann." Der Teppich wurde nicht beanstandet, warum auch immer. Am Abend saßen wir alle auf dem Teppich und feierten seine Ankunft.

Beim Frühstück war Schluss

Ich erinnere mich gut, wie wir in Güstrow in die Straße einbogen, mit ihrem Kopfsteinpflaster. Gustav-Adolf-Straße. Meine Großtante wohnte nach dem Tod ihres Mannes mit einer guten Freundin, Inge, zusammen. Sie hörten uns schon vorher kommen. Ich lief immer ums Haus herum in den Garten. Da erwarteten mich meine Großtante - damals schon über 80 - und Inge mit Indianerrufen. Wir schlugen immer wieder die Hand auf den offenen Mund. Abends gab es Schnittchen. Mit Zunge. Anstandslos habe ich das gegessen.

Nur beim Frühstückskakao war Schluss. Ich fiel aus allen Wolken, weil es kein Nesquik gab. Ich quengelte, heulte ein bisschen vor Wut.

Verwöhntes Westkind.

Auch beim Baden gab es eine unschöne Überraschung. Die Badewanne war im Keller, neben dem Raum mit den Boskop-Äpfeln aus dem Garten. Und ich war erstaunt, als das Wasser nach ein paar Minuten kalt wurde. Der Raum war auch im Winter unbeheizt. Das war die kälteste Dusche meines Lebens.

Meine Großtante und die Freundin wohnten in einer Doppelhaushälfte aus den 20er Jahren. Das Haus hatte der Vater meiner Großtante bauen lassen. In der unteren Wohnung der anderen Haushälfte wohnte Krischan. Er war so alt wie ich. Krischan und ich kletterten auf die Apfelbäume, wir rannten durch die Gärten, wir ließen uns im Sommer mit Wasser nassspritzen und schrien vor Spaß. Ich mit der Mowgli-Frisur. Mit dem Micky-Maus-Pullover. Ich weiß nicht, ob Krischan mich beneidet hat.

"Warum sind alle Häuser braun?"

In den Straßen von Güstrow roch es etwas beißend, verbrannt. Öl vielleicht? Bis heute denke ich an Güstrow, wenn ich das irgendwo rieche. Ich denke daran, dass das Haus meiner Großtante gelb gestrichen war. "Warum sind die Häuser alle braun?", fragte ich einmal. "Weißt du, als die Häuser gestrichen werden mussten, da gab's nur diese Farbe", sagte Inge. Trotzdem war das Haus in der Gustav-Adolf-Straße gelb.

Im Sommer fuhren wir manchmal zu einem Badesee. Auf dem Weg dahin sangen wir "Ich hab' ein knallrotes Gummiboot" in allen Farben. Ich mochte grün-kariert am liebsten. Unser Auto war das einzige hellblaue. Alle anderen waren beige.

In meinem Kinderausweis hatte ich irgendwann viele Stempel gesammelt. Die aus der DDR waren grün und lila. Ich fand sie hübsch. Ich hatte auch rote. Die waren aus den USA. Was es bedeutete, ganz einfach zwischen diesen Welten hin- und herreisen zu können, war mir gar nicht bewusst.

Meine Mutter und Inge diskutierten manchmal darüber, wann und wie es denn diese Wiedervereinigung geben könnte. Ich wusste nicht wirklich, was das war. Ein Mann mit Glatze und Fleck auf dem Kopf war allerdings immer öfter in der "Tagesschau" zu sehen. Er musste wichtig sein. Meine Großtante lächelte bei diesen Gesprächen. "Ach", sagte sie, "das kommt irgendwann wie über Nacht."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort