Energiedebatte in Deutschland Kraft warnt vor überstürztem Atom-Ausstieg

Hamburg/Berlin (RPO). Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat vor einem überstürzten Ausstieg aus der Atomenergie gewarnt. "Entscheidend ist doch nicht, ob wir den Atomausstieg ein oder zwei Jahre früher oder später hinbekommen. Entscheidend ist, dass wir ihn gut gestalten und dabei die Versorgungssicherheit und die Preise berücksichtigen", sagte Kraft in einem Interview.

Eiltempo: Merkels Fahrplan zur Energiewende
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Foto: dapd

Sie fürchte bei den anstehenden Gesetzesänderungen zum Atomausstieg, dass der Grundsatz "Sorgfalt vor Schnelligkeit" missachtet werde. Die Gefahr sei groß, dass durch die Eile Fehler gemacht würden.

Kraft appellierte an die Regierung, den Bundesrat an den Entscheidungen über die Gesetze zum Atomausstieg umfassend zu beteiligen. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wirklich vorhabe, die Länder zu umgehen, dann sei dies "ein neuer Vertrauensbruch", sagte die Ministerpräsidentin dem "Spiegel".

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) forderte am Sonntag eine sichere Stromversorgung "zu jeder Sekunde rund um die Uhr". Die Gefahr von Versorgungsausfällen, die "wie ein Damoklesschwert" über den Unternehmen schwebe, "wäre eine untragbare Situation", erklärte der Vorsitzende des BDI-Ausschusses Energie- und Klimapolitik, Christopher Grünwald.

Bereits Netzschwankungen im Millisekundenbereich würden zu stundenlangen Produktionsausfällen führen. Die Netze in Deutschland seien schon jetzt bis an ihre Grenzen ausgelastet, erklärte Grünwald. Zwar trage die Industrie die Energiewende grundsätzlich mit. Die Politik müsse aber die Netz- und Systemstabilität garantieren.

Vor dem Spitzentreffen von Union und Liberalen im Kanzleramt zur Energiewende hat FDP-Chef Philipp Rösler vor einem übereilten Ausstieg aus der Atomenergie gewarnt. "Wir wollen alle gemeinsam den Ausstieg aus der Kernenergie", sagte Rösler am Sonntag in Berlin. Es müsse aber ein "realistischer Weg" beschrieben werden: "Wir müssen die Frage der Versorgungssicherheit und Preisgünstigkeit immer im Blick behalten."

Rösler sagte, seine Partei werde sich nicht an einem "Bieterwettbewerb" über ein mögliches Ausstiegsdatum beteiligen. Nötig sei es vielmehr, Ersatzkapazitäten im Bereich der alternativen Energieerzeugung zu schaffen, einen "vernünftigen Netzausbau" zu betreiben und Netzstabilität und damit Versorgungssicherheit zu garantieren. Zudem müsse Energie bezahlbar bleiben, sagte Rösler. "Wir wollen nicht, dass der Bürger die Zeche zahlt."

Koalition berät über Ausstieg

Die Spitzen der schwarz-gelben Regierungskoalition wollen am Sonntagabend die Weichen für die Energiewende stellen. Im Mittelpunkt steht der Ausstieg aus der Atomenergie, den Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschleunigen will. Erwartet wird, dass sich die Runde im Kanzleramt auf ein Datum zum Abschalten des letzten AKW einigt. Allerdings gibt es in der FDP Vorbehalte gegen einen Stichtag. Dort wird mit einem Korridor für den Ausstieg geliebäugelt.

Im Vorfeld der Beratungen gab es noch eine Reihe weiterer strittiger Punkte. So sperrt sich die FDP dagegen, sofort die sieben ältesten AKW dauerhaft stillzulegen. Merkel hat sie für zunächst drei Monate vom Netz nehmen lassen. Die FDP fürchtet Versorgungsengpässe und will zumindest einige AKW betriebsbereit halten. Als Ersatz für den ausfallenden Atomstrom wollen die Koalitionspolitiker auch den Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien sowie der Stromfernleitungen stärker fördern.

(AFP/RTR)
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