Deutscher General im Interview Tornados auch gegen Taliban einsetzen

Mazar-i-Scharif (RP). Bislang dürfen sie nur Aufklärungsflüge über Afghanistan übernehmen, doch weil sich die Lage dramatisch geändert hat, sollten die deutschen Tornados künftig auch gegen Taliban eingesetzt werden können. Das fordert der Chef des multinationalen Isaf-Regionalkommandos in Nordafghanistan, der deutsche Brigadegeneral Frank Leidenberger, im Gespräch mit unserer Redaktion.

 Brigadegeneral Frank Leidenberger stand unserer Redaktion Rede und Atwort.

Brigadegeneral Frank Leidenberger stand unserer Redaktion Rede und Atwort.

Foto: ddp

Wie nehmen die Soldaten in Afghanistan die Debatte in Deutschland über ihren Einsatz wahr?

Leidenberger Sie verfolgen das alles sehr aufmerksam und beobachten natürlich sehr genau, dass in Deutschland ein großer Unterschied gemacht wird zwischen der Zustimmung zur Bundeswehr allgemein und dem Verständnis für das, was wir hier tun sollen.

Wie wirkt sich das auf die Stimmung aus, wenn man etwas tut, wohinter die übergroße Mehrheit der Deutschen nicht steht?

Leidenberger Die Umfragen zeigen zwar, dass eine Mehrheit den Einsatz ablehnt. Wir Soldaten erklären uns das jedoch damit, dass die deutsche Bevölkerung gar nicht weiß, worum es hier geht. Das scheint eher ein Vermittlungsproblem zu sein.

Worum geht es also?

Leidenberger Wir sind aus drei Gründen hier: Wir haben uns schon im Petersberger Abkommen von 2001 im Auftrag der Weltgemeinschaft langfristig verpflichtet, als Deutsche für die afghanische Bevölkerung einzutreten. Das ist der humanitäre Gesichtspunkt. Des Weiteren liegt im ISAF-Einsatz eine strategische Dimension: Wie stabil ist Afghanistan? Wie stabil ist damit Zentralasien? Und kann von hier aus wieder Terrorismus unterstützt werden oder nicht? Wenn wir verhindern wollen, dass Terroristen auch Deutschland bedrohen, dann müssen wir auch hier für Sicherheit sorgen. Der dritte Grund dreht sich um unsere Rolle in der Nato und in der Welt. Als Mittelmacht und truppenstellende Nation in Afghanistan ist es wichtig, dass Deutschland ein verlässlicher und starker Partner ist und bleibt.

Deutschland ist seit 2002 dabei, aber die Sicherheitslage ist immer kritischer geworden. Haben wir die Talsohle erreicht oder wird es noch schlimmer?

Leidenberger Wer die Lage mit mehr Kräften in mehr Bereichen verbessern will, trifft zwangsläufig zunächst auf mehr Widerstand. Wir operieren inzwischen nachhaltiger und in mehr Räumen als bisher. Die Prognose von General McChrystal ist deshalb objektiv nachvollziehbar, dass es erst schlechter wird, bevor eine Besserung eintritt.

Also stärker rein, um schneller rauszukommen - ist das wirklich erfolgversprechend?

Leidenberger Ich denke wirklich, dass wir hier Erfolg haben können, wenn wir ausreichend Kräfte und Mittel nachhaltig und über einen gewissen Zeitraum hinweg einsetzen. Gerade im Norden ist der Aufstand ja räumlich relativ begrenzt. Wenn die afghanischen Sicherheitskräfte aufgewachsen sind, dann kann man den Aufstand auch zurückdrängen und schließlich beseitigen.

Es gibt eine Debatte über den Zeitpunkt des Rückzuges. Beginnt er in einem, in zwei, in fünf Jahren?

Leidenberger Wir tun alles, damit die Lage besser wird und bewerten diese dabei kontinuierlich. Eine Entscheidung über einen Abzugsbeginn muss vor dem Hintergrund der tatsächlichen Lageentwicklung erfolgen. Die von US-Präsident Obama genannten 18 Monate sind meiner Ansicht nach falsch verstanden worden. Es geht nicht um 18 Monate bis zur finalen Lösung des Problems, sondern um 18 Monate, in denen die Trendwende eingetreten sein muss. Anschließend müssen wir sehen, was noch zu tun ist, um diesen Trend zu verfestigen.

Es heißt, die Bundeswehr könne sich schon nächstes Jahr aus Feyzabad zurückziehen.

Leidenberger Wir können überall weggehen, wenn wir das wollen. Entscheidend ist, welche Auswirkungen das hat. Schon jetzt ist der militärische Anteil am Wiederaufbauteam in Feyzabad relativ gering. Wenn im nächsten Jahr die afghanischen Sicherheitskräfte aufgewachsen sind, können wir in der Tat prüfen, ob unsere militärische Präsenz dort abgebaut werden kann. Aber wir dürfen dort in keinem Fall die zivilen Unterstützungsleistungen vernachlässigen.

Wiederholt wurden Zweifel laut, ob unsere Soldaten in Afghanistan optimal ausgebildet und ausgerüstet sind.

Leidenberger Wir sind hier vor Ort gut ausgerüstet. Niemand ist optimal ausgerüstet, denn in jeder Situation ist immer wieder neu zu überlegen, was gut ist, was sich bewährt hat und was noch besser wäre. Die Ausbildung spielt eine besondere Rolle. Die Bundeswehr unternimmt alles, um die Soldaten bestmöglich auszubilden. Aber es gibt immer wieder Bereiche, in denen wir an Grenzen stoßen. Wir haben eben keine ausreichende Zahl an geschützten Fahrzeugen, um daran auch in Deutschland ausbilden zu können. Das holen wir dann so gut es geht hier nach. Es stellt sich zudem die Frage, ob unsere Waffen durchschlagsfähig und wirksam genug sind. Das ist nicht immer der Fall. Deshalb bemühen wir uns darum, diese nachzurüsten. Aber wir kennen auch die Lieferzeiten der Industrie und die Lage des Bundeshaushaltes. Wir tun das Menschenmögliche — es wird jedoch ein kontinuierlicher Prozess bleiben.

Die deutschen Soldaten erleben, wie die Amerikaner, etwa beim Minenräumen, viel besser ausgestattet sind — und haben den Wunsch nach ähnlich professionellem Gerät. Ist das angesichts der Milliarden-Sparzwänge noch realistisch?

Leidenberger Ich bin sicher, dass das Wort des Minister gilt: Für den Einsatz wird alles bereit gestellt, was nötig ist. Und das ist auch gut so. Sonst könnte man den Einsatz nicht verantworten. Aber die Sparvorgaben zu erfüllen, wird sicher eine sehr schwierige Aufgabe. Nach meiner persönlichen Einschätzung wird das massive Einschnitte in Strukturen, Abläufe und Standorte zur Folge haben. Das wird umso schwieriger, als wir in früheren Jahren bereits eine Unterfinanzierung des Verteidigungsetats hatten. Das erfüllt natürlich alle mit Sorge, die für die Planung und Ausrüstung verantwortlich sind. Aber ich denke, dass wir alle so flexibel sein werden, dass wir das, was wir für den Einsatz brauchen, noch bereitstellen können.

Was machen Sie hier eigentlich? Eine Unterstützungsleistung? Einen nicht internationalen bewaffneten Konflikt? Oder führen Sie Krieg?

Leidenberger Rein rechtlich handelt es sich hier um einen nicht internationalen bewaffneten Konflikt. In der militärischen Ausprägung betreiben wir "counterinsurgency", das heißt, wir bekämpfen einen Aufstand. In fünf Operationslinien versuchen wir, die afghanische Bevölkerung zu schützen und ihr zu helfen sowie die afghanischen Sicherheitskräfte zu befähigen und zu unterstützen. Zudem helfen wir bei der Verbesserung der Regierungsführung und Administration. Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes bleibt ein Schwerpunkt unseres Einsatzes. Hinter diesen ganzen Maßnahmen steht die Absicht, den Aufstand aus Sicht der afghanischen Bevölkerung irrelevant werden zu lassen.

Muss dieser Aspekt der Bekämpfung noch deutlicher werden? Sie haben deutsche Tornados in der Luft. Aber nur zur Beobachtung. Zur Kampfunterstützung müssen Sie fremde Jets anfordern. Sollte hier das Mandat noch einmal geändert werden?

Leidenberger Aus rein militärischer Sicht sage ich: Natürlich sollte man das überprüfen. Warum sollen deutsche Soldaten am Boden nicht von deutschen Flugzeugen aus der Luft unterstützt werden können? Warum brauchen wir unsere Alliierten dazu? Insgesamt, auf die ISAF bezogen, wäre das auch mandatskonform. Wir haben die Fähigkeiten zur luftgestützten Aufklärung bereitgestellt, als das in der Vergangenheit in der Entwicklung des Einsatzes von uns gefordert wurde. So wie sich inzwischen der Charakter dieses Einsatzes verändert hat, so sollten wir auch die hierfür notwendigen Fähigkeiten bereitstellen, um erfolgreich zu sein.

Mit General Frank Leidenberger sprach Gregor Mayntz im Bundeswehr-Lager in Mazar-i-Scharif

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