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Experten-Interview Die Klima-Extreme werden stärker

Potsdam (RP). Für den Potsdamer Klimaforscher Anders Levermann wird die zunehmende Erderwärmung die Menschen in den nächsten 200 Jahren an die Grenzen ihrer Anpassungsfähigkeit führen – wenn wir weitermachen, wie bisher.

Das ewige Eis in Grönland im Klimawandel
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Potsdam (RP). Für den Potsdamer Klimaforscher Anders Levermann wird die zunehmende Erderwärmung die Menschen in den nächsten 200 Jahren an die Grenzen ihrer Anpassungsfähigkeit führen — wenn wir weitermachen, wie bisher.

Endlich einmal wieder ein richtiger Winter — mit viel Schnee und sogar weißer Weihnacht. Das Wetter scheint es in dieser Hinsicht gut mit uns zu meinen. Und wer beim Anblick rodelnder Kinder an Klimawandel denkt, ist entweder ein Spaßverderber oder ein Klimaforscher. Mit einem von ihnen, Anders Levermann, Professor für Klimadynamik am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, sprachen wir über die globale Erderwärmung, den extremen Wetterlagen und ihre dramatischen sowie unvorhersehbaren Folgen.

Was ist so furchtbar an unserem Klima — mit einem neuerdings richtigen Sommer und Winter bei uns?

Levermann Man sollte sich vielleicht dies vor Augen halten: Das Jahr 2010 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnung vor über 130 Jahren. Das muss nicht heißen, dass es überall wärmer wird. Bisher haben wir nur die Spitze des Eisberges — eine Erwärmung um 0,6 Grad Celsius erlebt. Wenn wir aber so weiter machen wie bisher, dann wird das Klimasystem insgesamt durchgeschüttelt.

Für viele Menschen hierzulande erscheinen die Veränderungen aber weniger bedrohlich.

Levermann Das ist ja auch erst der Anfang. Aber selbst jetzt purzelt ein Klimarekord nach dem anderen. Wir haben uns sehr schnell daran gewöhnt, von Jahrhundertsommer oder Jahrhundertüberschwemmung zu hören. Aber diese Worte sagen eben, dass etwas Ungewöhnliches begonnen hat.

Wohin werden die Wetterkapriolen denn noch führen?

Levermann Man muss einfach einmal einen Schritt zurücktreten und in Ruhe überlegen, was gerade passiert: Wir haben in den zurückliegenden 100 Jahren eine Temperaturerhöhung von etwa 0,6 Grad Celsius beobachtet. In den nächsten 100 Jahren wird — wenn wir so weitermachen wie bisher — die Temperatur um fünf Grad ansteigen; das ist fast zehnmal so viel. Das entspricht einer Temperaturveränderung, wie wir sie im Wechsel von einer Eiszeit zu einer Warmzeit kennen — nur fünfzigmal schneller. Das ist, als schlüge man mit einem Hammer auf einen Gong — alles beginnt zu zittern und zu vibrieren und das nicht zu einer Zeit, in der die Menschen in Höhlen leben, sondern in einer Zeit, in der zum Beispiel Vieles an einem fragilen Transportsystem hängt.

Wie gesichert sind solche dramatischen Aussagen?

Levermann Wir können das Wetter maximal für fünf Tage voraussagen. Ebenso können wir praktisch kein Extremereignis auf den Klimawandel zurückführen. Gleichzeitig haben wir sehr gute Gründe anzunehmen, dass in einer sich erwärmenden Welt klimatische Extreme häufiger und stärker werden und damit die Situation weniger kalkulierbar wird. Aber gerade auf diese Extreme kommt es an, wenn wir wissen wollen, wo in der Zukunft unsere Grenzen liegen.

Welche Grenze meinen Sie damit?

Levermann Die Grenze unserer Anpassungsfähigkeit. Es geht nicht darum, Schreckensbotschaften zu verbreiten. Aber der Pfad, auf dem wir uns gerade befinden, führt zu einer Erwärmung von etwa fünf Grad am Ende des Jahrhunderts und geht dann auf über acht Grad in 2200. Auch wenn niemand weiß, wo die Grenze unserer Anpassungsfähigkeit liegt, so bin ich mir sicher, dass eine Erwärmung von acht Grad in 200 Jahren niemals erreicht wird. Vorher kollabiert die Gesellschaft, die den dafür notwendigen Ausstoß von Treibhausgasen verursacht — eine Art Selbstregulierung der fossilen Zivilisation, wenn Sie so wollen. Gerade dieser Winter hat ja die Verletzbarkeit unsere Gesellschaft wieder deutlich gemacht.

Was wird das ganz konkret für unsere Gesellschaft bedeuten?

Levermann Es ist wahrscheinlich nicht so, dass wir nicht in einer acht Grad wärmeren Welt existieren könnten. Das Problem ist, dass der Übergang so rasant sein wird — also das schon erwähnte Schütteln des Klimas. Was passiert, wenn Extreme wie Dürren, Überschwemmungen, schwere Stürme, extreme Schneefälle und Kälteperioden in so rascher Folge auftreten, dass keine Zeit bleibt, die Schäden wieder aufzuräumen? Schon bei einem relativ langsamen Prozess wie dem Meeresspiegelanstieg erwartet die UN 90 Millionen Flüchtlinge bei einem Meter. Extreme sind darin nicht berücksichtigt und könnten in Ländern wie Indien, aber auch Afrika das Problem noch verstärken. All dies erhöht den Druck auf die sozialen und wirtschaftlichen Systeme auch in Deutschland. Bei einem derart starken und schnellen Erwärmungspfad, wie der, auf dem wir uns befinden, müssen wir von einer neuen Qualität reden.

Begreifen wir Ihrer Meinung nach unsere derzeitige Situation in ihren ganzen Ausmaßen?

Levermann Entscheidend ist, dass wir realisieren, dass der Anstieg der globalen Mitteltemperatur nur ein Indikator für das Problem ist und dass unsere Anpassungsfähigkeit von den darauf folgenden Extremereignissen auf die Probe gestellt werden wird. Man sieht ja gerade wieder in Australien sehr deutlich, wie verletzlich unsere Industrie auf Klimaphänomene reagiert. Das Meer wird wärmer, es gibt extreme Niederschläge in Queensland, und der Kohlepreis schnellt in die Höhe. Das Problem der Zukunft ist das Unvorhersagbare — und klar ist auch, dass Unvorhersagbares zunimmt, wenn man die Temperatur so rapide hochdreht, wie wir es derzeit tun.

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