Erstes Urteil aufgehoben "Kannibale" nun wegen Mordes angeklagt

Frankfurt/Main (rpo). Zwei Jahre nach der Verurteilung des Kannibalen von Rotenburg in Kassel wird der Fall neu aufgerollt: Am nächsten Donnerstag beginnt der Mordprozess vor dem Frankfurter Landgericht.

 Der Fall um den "Kannibalen von Rotenburg" wird neu aufgerollt.

Der Fall um den "Kannibalen von Rotenburg" wird neu aufgerollt.

Foto: ddp

Der wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft verurteilte Armin Meiwes muss jetzt mit einer Bestrafung wegen Mordes rechnen. Der Präzedenzfall der deutschen Rechtsgeschichte hat weltweit Aufsehen erregt.

Die erste juristische Beurteilung des beispiellosen Verbrechens hatte keinen Bestand. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Kasseler Landgerichts am 22. April 2005 auf und folgte der Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass mehrere Mordmerkmale vorlägen.

Die Tat geschah vor fünf Jahren: Am 9. März 2001 fuhr der 43-jährige Diplom-Ingenieur Bernd B. mit dem Zug von Berlin nach Kassel. Er hatte sich auf eine Internetanzeige des allein lebenden Computertechnikers Armin Meiwes gemeldet, der einen jungen Mann zum "Schlachten" suchte. In dem einsam gelegenen großen, alten Fachwerkhaus in Rotenburg-Wüstefeld verkehrten die beiden Männer zunächst miteinander. Dann entmannte Meiwes den 43-Jährigen auf dessen Wunsch und tötete ihn Stunden später mit zwei Messerstichen in den Hals. Die Leiche zerstückelte er. Die ganze Tat dokumentierte er mit Videoaufnahmen von viereinhalb Stunden Länge. Beim Anschauen befriedigte er sich nach eigener Aussage sexuell. Aus den tiefgekühlten Körperteilen bereitete er Mahlzeiten zu.

Vor der 21. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt unter Vorsitz des Richters Klaus Drescher wird gegen Meiwes, der am 19. Januar 45 Jahre alt wird, nun völlig neu verhandelt. 14 Prozesstage sind bis 9. März angesetzt. Die Anklage wird wie im ersten Prozess von Staatsanwalt Marcus Köhler vertreten. Er hatte vor dem Kasseler Landgericht eine lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes zur Befriedigung des Geschlechtstriebs gefordert. Seinem Revisionsantrag gegen das Totschlagsurteil schloss sich die Bundesanwaltschaft wegen der Bedeutung des Falls an.

Die Richter der höchsten deutschen Strafrechtsinstanz folgten der Auffassung der Staatsanwälte, dass Meiwes Bernd B. ermordete, um sich die Tat später auf Video ansehen und sich dabei sexuell befriedigen zu können. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist eine Verurteilung wegen Mordes aber auch aus zwei anderen Gründen möglich: aus niedrigen Beweggründen und "um eine andere Straftat zu ermöglichen", nämlich eine Störung der Totenruhe durch das Zerlegen des getöteten Opfers bei gleichzeitiger Video-Aufzeichnung.

Als weitere Straftaten, die durch den Mord ermöglicht worden sein können, nannte der zweite Strafsenat des BGH die verharmlosende oder verherrlichende Darstellung von Gewalt und die Verbreitung von gewaltpornografischen Schriften. Meiwes hatte Auszüge aus den Aufnahmen zwei Mal als E-Mail an Chatpartner versandt.

Voll schuldfähig

Die Kasseler Richter hatten das Verbrechen nicht als Mord eingestuft. Sie folgten der Aussage des Angeklagten, dass er sich das Fleisch eines sympathischen Mannes "einverleiben" wollte, um eine möglichst enge Bindung an ihn zu erreichen. Nach dem Totschlagsurteil haben Täter und Opfer sich gegenseitig als Werkzeug zum "ultimativen Höhepunkt" benutzt. Bernd B. hat danach freiwillig mit seinem Leben abgeschlossen.

Die BGH-Richter kamen jedoch zu dem Schluss, dass der Wunsch, getötet zu werden, nicht von Bernd B. ausgegangen sei. Der Berliner Ingenieur habe sich auf Grund seiner krankhaften seelischen Störung in Form eines extremen sexuellen Masochismus vorgestellt, das "höchste Lustempfinden durch die Penisamputation" zu erlangen. Dass er sich danach töten ließ, sei ein Zugeständnis an Meiwes gewesen, dem es auf das Einverständnis seines Opfers angekommen sei. Bernd B. habe die Folgen seines Wunschs "nicht vollends rational überblickt", heißt es in der BGH-Entscheidung.

Der Verteidiger Harald Ermel hatte Meiwes als "Wünsche-Erfüller" bezeichnet. Seiner Auffassung, es handele sich um Tötung auf Verlangen, folgten weder das Kasseler Landgericht noch der Bundesgerichtshof, der seinen Revisionsantrag verwarf.

In dem neuen Prozess wird auch die Schuldfähigkeit des Angeklagten neu bewertet. Der Göttinger Psychiater Georg Stolpmann hatte eine schwere seelische Abartigkeit mit schizoiden Zügen diagnostiziert, den Angeklagten aber für voll schuldfähig erklärt.

Besonderes Interesse gilt der Wiederholungsgefahr. Diese wird bisher von den Juristen gegensätzlich eingeschätzt. Das Kasseler Gericht erklärte, Meiwes könne seinen Trieb jederzeit beherrschen. Dem hielt Bundesanwalt Lothar Senge vor dem BGH die Aussage des Kannibalen entgegen: "Der Nächste muss jünger sein, aber nicht so fettig." Senge warnte, Meiwes wäre nach dem Kasseler Urteil spätestens im Jahr 2008 wieder in Freiheit gewesen.

Tatsächlich hatte Armin Meiwes, der erst am 10. Dezember 2002 festgenommen wurde, nach der Tötung von Bernd B. im Internet weitere Männer zum "Schlachten" gesucht. Mindestens zwei potenzielle Opfer hatten ihn auch besucht.

(ap)
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