Mettmann Als Campino noch in die 3c ging

Mettmann · Andreas Frege besuchte die Astrid-Lindgren-Grundschule in Mettmann, bevor er mit den Toten Hosen die Musikbühnen Deutschlands erstürmte. Gerlind Falckenthal war damals seine Klassenlehrerin. Die 90-Jährige erinnert sich an einen ruhigen Jungen, ein bisschen angsthäsig, mit mäßigem Fleiß, aber mit einer 2 in "Führung".

Es ist ein kleines Schulheft, kariert und mit schwarzem Deckel. Klasse 3c steht vorne drauf und drinnen sind auf akkuraten Linien die Namen der Schüler feinsäuberlich aufgeführt. In der Mitte des Blattes steht geschrieben: Andreas Frege, 22.6.62. Dahinter reihen sich die Noten des Jungen auf, der 1971 die Grundschule Spessartstraße in Mettmann besuchte. Führung: 2, Beteiligung am Unterricht 3, nur beim Fleiß haperte es ein wenig: 4. "Er war eigentlich ein ruhiger und netter Schüler", erinnert sich Gerlind Falckenthal, die als Klassenlehrerin den damals unscheinbaren Jungen in Mathematik und Deutsch unterrichtete: Campino, seines Zeichens Sänger, Gründer, kreativer Kopf, Rampensau und DAS Gesicht der Toten Hosen.

Er war einmal ein "kleiner Waserl", wie die heute 90-jährige Dame es schmunzelnd ausdrückt. Der Begriff entstammt den Tiefen des Wiener Sprachschatzes und bedeutet in etwa, dass Frege damals ein liebenswerter kleiner Angsthase war. Wer den Charaktertypen heute mit seinen Kumpels auf den Bühnen der Republik performen sieht, mag das kaum glauben.

So wenig glauben, dass der im Allgemeinen als urtypisches Düsseldorfer Kulturgut festgetackerte Campino 1962 zwar in der Landeshauptstadt geboren wurde, aber bereits mit zwei Jahren nach Mettmann, genauer nach Metzkausen, zog. Andreas Frege wuchs als Sohn eines Richters und einer Lehrerin in Metzkausen auf. Seine Mutter war gebürtige Engländerin, unterrichtete am Heinrich-Heine-Gymnasium und erzog ihre Kinder zweisprachig. Campino hat fünf Geschwister, darunter den zwölf Jahre älteren Bruder John, durch den er in den 1970er-Jahren auf den Punkrock in England aufmerksam wurde.

Lange vorher aber besuchte der kleine Andreas die Grundschule an der Spessartstraße. "Ich kam 1970 nach Mettmann und hatte bereits einige Stationen als Lehrerin in Deutschland hinter mir", sagt Falckenthal. Im 3. und 4. Schuljahr war sie seine Klassenlehrerin. Links in der dritten Bank vom Pult aus gesehen saß Frege, dessen Noten eher durchschnittlich waren. In roter Schrift steht in dem kleinen karierten Heft von Falckenthal notiert: selten eine 2, viele 3er, noch mehr 4er und auch eine 5 (Worin eigentlich? Falckenthal weiß es nicht mehr genau) lugt aus den Notenreihen hervor. Doch was juckt heute einen so erfolgreichen Musiker wie Campino eigentlich, welche Noten er in der Schule hatte? Nix, findet auch Falckenthal, die auch mit ihren heute 90 Jahren lebensfroh und lustig manche Anekdote aus den Schulzeiten ihres damaligen Schülers zu erzählen weiß. Ja, er war ruhig, "aber er hatte in der Schule einen Rivalen", weiß sie. "Damit sie sich austoben konnten, habe ich sie damals in einer Sportstunde einmal auf die Matte geschickt. Dort konnten sie das in einem Ringkampf austragen", erzählt sie. Ergebnis: Unentschieden.

Dabei war Andreas Frege immer ein guter Sportler, hatte in dem Fach auch immer mindestens eine 2, weiß die alte Dame. Das sieht man noch heute an der Vitalität und den Gesten Campinos auf der Bühne: das Explodieren seines Körpers, Spagatsprünge, die Beine hinter dem Mikrofonständer überkreuzt, die Augen zusammengekniffen, der ausgestreckte Arm über den Köpfen des Publikums, als wolle er es segnen.

Nachdem Andreas Frege die Grundschule verließ, ein Jahr ein Mettmanner Gymnasium besuchte, bevor er mit zwei "Ehrenrunden" auf dem Düsseldorfer Humboldt-Gymnasium sein Abitur machte, entschwand er aus dem Blickfeld von Gerlind Falckenthal. 1984 verabschiedete sich die Mutter von vier Töchtern aus dem Schuldienst.

2009 kehrte sie an die jetzt in Astrid-Lindgren-Grundschule umbenannte Schule zurück, um den mittlerweile zu Deutschlands erfolgreichsten Sängern zählenden Hosen-Frontmann wiederzutreffen. Aus Andreas Frege war Campino geworden, aus einem eher schüchtern-ängstlichen Jungen ein selbstbewusster Künstler, der mit eigener Meinung immer auch eine Richtschnur für viele andere ist.

Bei dem Treffen in der Schule erzählte sie ihm von damals. In der Original-Klasse, die es heute noch gibt. Und sie zeigte ihm das kleine karierte Schulheft mit den Noten für den kleinen Andreas. Er lachte, schaute noch mal genau hin und sah auch die Beurteilungen, die er damals in Musik bekommen hatte. Eine 3. Tja, Genies glänzen eben oft erst später hell und groß.

In diesem Sommer wurde Gerlind Falckenthal 90 Jahre alt. Eine große Feier im Familienkreis, Geschenke, Glückwünsche und viele liebe Grüße. Ihre Tochter Almut erinnerte die anderen an eine weitere Gemeinsamkeit ihrer Mutter mit dem Rockstar. Beim Blick in das kleine karierte Schulheft sah sie damals, dass Campino am gleichen Tag Geburtstag hatte wie ihre Mutter: 22. Juni. Und der stand in diesem Jahr ebenso wie Gerlind Falckenthal vor einem runden Ehrentag. Campino wurde 50, Falckenthal 90.

Ihr Enkel Janos, der für das Tonhallen-Konzert einen Tag nach Omas Geburtstag eine Karte ergattern wollte, organisierte es kurzerhand: Die 90-Jährige kam zum Tote-Hosen-Konzert in die Tonhalle. Als Campino davon hörte, lief er in den Saal und begrüßte "backstage" die alte Dame persönlich. Und was machen die Fans, als sie hörten dass Campinos alte Klassenlehrerin da war und am selben Tag Geburtstag hat wie ihr Idol? Sie sangen ein liebevolles Happy Birthday.

Für Campino, Gerlind Falckenthal und irgendwie auch für den kleinen Andreas aus der 3c.

(RP)
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