Krefeld Jugendamt nimmt 91 Kinder ihren Eltern ab

Krefeld · Rund 1300 Familien kommen mit der Erziehung ihrer Kinder nicht mehr klar und brauchen Hilfe vom Jugendamt. Im vergangenen Jahr mussten 91 Jungen und Mädchen in Obhut genommen werden – so viele wie nie zuvor.

Rund 1300 Familien kommen mit der Erziehung ihrer Kinder nicht mehr klar und brauchen Hilfe vom Jugendamt. Im vergangenen Jahr mussten 91 Jungen und Mädchen in Obhut genommen werden — so viele wie nie zuvor.

Hinter jeder Zahl steckt eine menschliche Tragödie: das missbrauchte Mädchen, das über Jahre gequält wurde, der Junge, der in einem verwahrlosten Haushalt aufwuchs. 91 Mal haben Mitarbeiter des Fachbereich Jugend im vergangenen Jahr ein Kind aus einer Familie gerissen — weil ein weiterer Aufenthalt nach Ansicht der Sozialarbeiter dem Kind mehr schaden würde als die engen sozialen Bindungen zu Vater oder Mutter zu kappen. Im Schnitt passierte das alle vier Tage, so oft wie noch nie zuvor.

Zum Vergleich: Im Jahr 2008 lag die Zahl der Unterschutzstellungen, wie es im Amtsdeutsch heißt, bei 61. Das bedeutet einen Anstieg binnen eines Jahres um 49,2 Prozent. Gudrun Stangenberg, stellvertretende Leiterin des Fachbereichs Jugendhilfe, hofft auf eine Stabilisierung. "Ich glaube nicht, dass die Zahlen sinken werden." In diesem Jahr gab es bereits neue 46 Fälle.

1300 Familien brauchen Hilfe

Die Inobhutnahmen sind nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs. In Krefeld bekommen zurzeit rund 1300 Familien Hilfe vom Jugendamt, weil sie mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind und sie vernachlässigen. "Wir stellen zunehmend eine fehlende Erziehungskompetenz bei den Eltern fest", sagt Stangenberg. "Das beginnt oft schon damit, dass sie nicht in der Lage sind, einen Haushalt zu führen."

Die Stadt hilft, gewährt beispielsweise eine Haushaltshilfe. Das ist billiger und nicht zuletzt auch für die Kinder besser als ein Heimaufenthalt. Dennoch: "Wenn es das Wohl des Kindes erfordert, holen wir das Kind da raus", stellt Stangenberg klar.

Knapp zwei Drittel der im vergangenen Jahr unter Schutz gestellten Kinder waren Mädchen, ebenfalls knapp ein Drittel war jünger als 14 Jahre. Bei zehn der 91 so genannten Inobhutnahmen setzten sich die Betroffenen selbst mit den Mitarbeitern des Fachbereichs Jugend in Verbindung und baten darum, in eine Pflegefamilie oder ins Heim zu kommen.

Was läuft schief in Krefelds Familien? "Der Bereich ,Häusliche Gewalt, Misshandlungen oder sexueller Missbrauch' ist am häufigsten die Ursache für eine vorläufige Unterschutzstellung", erklärt Hans Grebner, Leiter der Abteilung Familie. "An zweiter Stelle kommt die Überforderung der Eltern — sie vernachlässigen schlicht ihr Kind. Beide Bereiche zusammen machen mehr als 50 Prozent aus." Straftaten, Suchtprobleme — das sind in Krefeld eher die Ausnahmen für Inobhutnahmen.

Die hohe Zahl der Unterschutzstellungen führt in Krefeld mittlerweile zu organisatorischen Problemen. Besonders Kinder unter zehn Jahren werden in Pflegefamilien untergebracht. "Wir haben in Krefeld nicht mehr genügend Pflegefamilien, die sich bereit erklären, die Kinder aufzunehmen", sagt Grebner. In der Vergangenheit wurden deshalb Kinder bereits an Pflegefamilien in der Region vermittelt. Eigentlich widerspricht das dem Grundsatz, dass sich für die Betroffenen räumlich möglichst wenig ändern soll.

Warum ist die Zahl so stark angestiegen? Stangenberg: "Die Leute sind sensibler geworden." Im Schnitt gingen seit Juni vergangenen Jahres 50 Hinweise pro Monat im Jugendamt ein — mit steigender Tendenz. Im Juni 2009 waren es 28 Hinweise, vergangenen Monat 71.

(RP)
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