Düsseldorf Die Bühne ist überall

Düsseldorf · Choreograf Sebastian Matthias erfindet ein Tanz-Erlebnis an vielen Orten.

Der Bahnhofsvorplatz ist wie immer um 18.30 Uhr ein Gewirr aus zielstrebig vorbeieilenden Menschen, die noch schnell die nächste Bahn nach Hause erreichen wollen. Verwirrt und orientierungslos suchen die Mitglieder einer 25-köpfigen Reisegruppe den Ausweg aus diesem Wirrwarr. Denn um sie herum bewegen sich fünf Tänzerinnen, die sich im Durcheinander der Menschen langsam und mit roboterhaften Bewegungen verbiegen. Eingerahmt wird die Gruppe von Plexiglaswänden. Nach einer Minute der Versteinerung zieht die Gruppe festgekrallt an ihren Rollkoffern Richtung Innenstadt von dannen.

Aufgeführt wird das Stück "People looking at people looking at people" des Choreografen Sebastian Matthias, das bereits in Berlin, Zürich und Hamburg gezeigt wurde. Und der Titel wird schon an der ersten Station des Abends deutlich, denn hier verschwimmen die Grenzen zwischen Zuschauern, Performern und Unbeteiligten. Hier wird jeder Körper Teil des Stücks, denn die Bühne ist überall.

Ausgestattet mit einem Laufplan und kurzen Erläuterungen zu den Spielstätten begeben sich die Teilnehmer der Vorstellung nun in den nächsten zwei Stunden auf einen Spaziergang durch das Bahnhofsviertel und Flingern. Unterstützt werden die Spielorte durch das Eingreifen von Künstlern durch Installationen, Kunstwerke und ein Konzert. In einer Galerie gibt es eine fiktive Vernissage mit Tanz und Sekt, in einer Kirche läuft zur Performance von vier Tänzerinnen eine bedrohliche Sound-Installation.

Die Unterschiede in den sozialen und kommunikativen Regeln der Aufführungsorte werden besonders in der nächsten Station deutlich. Nach der Stille der Kirche folgt ein lautes, schnelles und schweißtreibendes Rugbytraining in der Turnhalle einer Flingeraner Schule mit einem besonderen Überraschungseffekt, der hier nicht verraten werden soll.

Zum Abschluss ziehen die Teilnehmer weiter in eine Bar an der Ackerstraße, in der die Grenzen zwischen Teilnehmern und Performern bei Gin-Tonic und Bier weiter verschwimmen.

So endet ganz ungezwungen ein wunderbares Tanz-Erlebnis, das weitab von herkömmlicher Aufführungspraxis den Zuschauer zum Teilnehmer macht und ihn zwingt, sich mit seiner Position im Stück auseinanderzusetzen. Wo kann man schon mal während der Aufführung am Tresen einer Bar mit den anderen Zuschauern über das Gesehene diskutieren?

Dabei kommt die Performance "People looking at people looking at people" gar nicht konzeptionell verkopft daher, sondern ist ein kurzweiliges und sehr unterhaltsames Stück. Denn es zeigt einmal mehr, dass es der zeitgenössische Tanz wie nicht viele andere Kunstformen vermag, dem Zuschauer wirklich neue Aufführungserlebnisse zu verschaffen.

Info Freitag, 15. Juni, und Samstag, 16. Juni, jeweils 18.30 Uhr, Bertha-von-Suttner-Platz. Karten unter www.tanzhaus-nrw.de

(RP)
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