Von der Bildung bis zur medizinischen Versorgung Unicef: Behandlung von Flüchtlingskindern nur bei "akuter Erkrankung"

Berlin · Sie leben in Gemeinschaftsunterkünften, haben oft einen unsicheren Aufenhaltsstatus und kaum Kontakte zur Außenwelt – Flüchtlingskinder werden nach einer neuen Unicef-Studie in der Bundesrepublik häufig benachteiligt. Von der medizinischen Versorgung bis hin zur Bildung, oftmals fehle es an Unterstützung heißt es in der Studie.

So viele Flüchtlinge mussten die Städte 2014 neu aufnehmen
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Foto: dpa, jst fdt

Sie leben in Gemeinschaftsunterkünften, haben oft einen unsicheren Aufenhaltsstatus und kaum Kontakte zur Außenwelt — Flüchtlingskinder werden nach einer neuen Unicef-Studie in der Bundesrepublik häufig benachteiligt. Von der medizinischen Versorgung bis hin zur Bildung, oftmals fehle es an Unterstützung heißt es in der Studie.

"Ich habe nicht verstanden, was um mich herum passiert" — diese Worte eines zwölfjährigen Mädchens, so heißt es in der Unicef-Studie, seien typisch für viele Flüchtlingskinder in Deutschland. Und dennoch würden ihre Belange nicht ausreichend berücksichtigt. Im Gegenteil: Manchmal würden sie sogar in die Erwachsenenrolle gedrängt.

Rund 30 Gespräche mit Experten und mit Flüchtlingskindern selbst hat das Kinderhilfswerk für die Studie "In erster Linie Kinder", die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde, durchgeführt. Die grundlegende Erkenntnis: "Mädchen und Jungen, die in Deutschland Zuflucht suchen, erfahren in allen Lebensbereichen Zurücksetzung. Ihre Rechte auf umfassende Unterstützung und gleiche Chancen werden zu häudig missachtet", sagte Anne Lütkes, Vorstandsmitglied von Unicef Deutschland.

So würden Flüchtlingskinder oft in Unterkünften untergebracht, die ihnen und ihren Familien wenig Raum für Privatsphäre ließen. Sie lebten auf beengtem Raum mit völlig fremden Menschen. Das habe zur Folge, dass innerfamiliäre Probleme meist vor den Augen Dritter geklärt werden müssten, was insbesondere für Kinder, die sich in der Pupertät befänden, schwierig sei.

Kinder kaum nach Gründen zur Flucht befragt

Die Unicef-Studie kritisiert zudem die medizinische Versorgung der Flüchtlingskinder. Demnach sei diese auf die Behandlung von "akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen" reduziert. Auch müsse für jede Untersuchung eine Genehmigung der Behörden eingeholt werden. Das Kinderhilfswerk sagt, dies habe immer wieder zu Verzögerungen geführt, die gefährlich für die Gesundheit der Kinder seien. Unicef prangert zudem an, dass die Flüchtlinge von den Kommunen aufgrund des Sachleistungsprinzips oftmals Essenspakete bekämen, durch die eine kindgerechte Ernährung aber kaum möglich sei.

Auch würden Gesetzgeber und Behörden die Belange der Kinder oft komplett vernachlässigen, wenn sie über Aufenthaltsrechte entscheiden würden. So würden etwa Kinder kaum zu den Gründen der Flucht befragt, sondern lediglich die Eltern. Dabei seien es mitunter auch die Kinder selbst, die der Grund für die Flucht waren. So wird etwa auf das Schicksal des 14-jährigen Ehmal aus Afghanistan verwiesen, der in seiner Heimat von Schutzgelderpressern entführt werden sollte und sich daher der Vater zu einer Flucht entschied. Auch Zwangsverheiratungen oder die Gefahr, Opfer von Kinderhandel zu werden, werden in der Studie als kinderspezifische Fluchtgründe angebracht.

Würden es schließlich darum gehen, in welcher Unterkunft die Familien untergebracht werden, dann spiele dabei keine Rolle, ob die Kinder dort Möglichkeiten haben, in die Schule zu gehen oder ob es Freizeitangebote für sie gebe. So seien die Unterkünfte oftmals weit abgelegen und die Kinder damit von entsprechenden Möglichkeiten ausgeschlossen. Auch sei es für sie dadurch enorm schwer, Kontakte aufzubauen — zumal sie auch nicht wüssten, wie lange sie bleiben könnten.

In der Rolle des Vaters

Auf der anderen Seite verweist die Studie aber auch auf Beispiele, in denen die Kinder plötzlich die Rolle des Erwachsenen übernehmen und etwa als Dolmetscher fungieren müssen. So wird die Geschichte von Abbas aus dem Libanon erzählt. Sein Vater hatte in Deutschland keinen regulären Aufenhaltstitel. Und so konnte er seine Familie offiziell nicht bei Behördengängen und Ähnlichem unterstützen. Diese Rolle fiel also dem 13-Jährigen zu.

Auch mit Blick auf die Bildung fordert Unicef mehr Unterstützung für die Kinder. Nicht nur, dass die Kinder- und Jugendhilfe nicht systematisch in den Gemeinschaftsunterkünften präsent sei, auch sei es für die Flüchtlingsfamilien schwierig, ihre Kinder in Deutschland einzuschulen. So seien sie dabei oftmals auf die Unterstützung von Dritten angewiesen. Die Studienmacher sprechen zudem von einem Mangel an Schulplätzen für Kinder ab 16 Jahren. Dies sei insofern problematisch, als dies oft die einzige Möglichkeit der Weiterbildung sei, Bildungserfolge aber auch ein wichtiger Punkt seien, um einen regulären Aufenthaltsstatus zu erlangen.

Nach Schätzungen von Unicef leben rund 65.000 Kinder mit unsicherem Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik, Rund 36.300 seien im vergangenen Jahr mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen. Insgesamt, so heißt es in der Studie, kämen zwischen 90 und 95 Prozent der Flüchtlingskinder nicht allein in die Bundesrepublik.

(das)
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