Musterfeststellungsverfahren Bundesregierung will die Verbraucherrechte stärken

Berlin · Der VW-Abgasskandal könnte zu massenhaften Ersatzansprüchen gegen den Konzern führen. Bisher müsste in solchen Fällen jeder einzelne Kunde vor Gericht ziehen. Das Justizministerium beabsichtigt nun, eine neue Verfahrensart einführen.

 Auf die Gerichte dürfte eine Klagewelle zurollen, wenn jeder einzelne vom Abgas-Skandal betroffene Kunde seine Rechte in einem Prozess erstreiten will.

Auf die Gerichte dürfte eine Klagewelle zurollen, wenn jeder einzelne vom Abgas-Skandal betroffene Kunde seine Rechte in einem Prozess erstreiten will.

Foto: dpa, pst hpl

Mehr als zwei Millionen Volkswagen-Kunden sind von dem Abgasskandal betroffen. Noch ist unklar, welche konkreten Ersatzansprüche sie gegen den Wolfsburger Autokonzern geltend machen können. Allerdings dürfte auf die Gerichte eine Klagewelle zurollen, wenn jeder einzelne Kunde seine Rechte in einem Prozess erstreiten will — mit unklarem Ausgang. Auch in anderen Fällen, etwa wenn Banken versteckte Gebühren erheben, Energieversorger zu hohe Preise abrechnen oder Telefonanbieter mit Boni werben, die sie hinterher nicht zahlen, haben Verbraucher oft das Nachsehen. Daher plant die Bundesregierung, Anfang 2016 einen Gesetzentwurf für eine Verbesserung des kollektiven Rechtsschutzes auf den Weg zu bringen.

Mit einem sogenannten Musterfeststellungsverfahren könnten Kunden, die Regressansprüche gegen Unternehmen geltend machen wollen, sich künftig als Klägergemeinschaft zusammentun. Das soll ihre Chancen erhöhen, Schadenssummen erstattet zu bekommen. "Wir wollen den kollektiven Rechtsschutz in Deutschland weiter ausbauen", sagte Gerd Billen, zuständiger Staatssekretär im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, unserer Redaktion. Verbraucherorganisationen müssten die Möglichkeit haben, Verbraucherrechte wirksam und "auf Augenhöhe" vor Gericht durchzusetzen.

Mit einem solchen Musterfeststellungsverfahren würden bestehende Regeln erweitert. So können auch heute schon Verbraucherschutzverbände Klagen für geschädigte Bürger einreichen, wenn diese ihre Ansprüche an den Verband abtreten. Derlei Verfahren sind aber aus Sicht der Verbraucherschützer häufig unverhältnismäßig aufwendig. "Verbände können nur wenige Verbraucher vertreten, so dass es in Fällen mit vielen Betroffenen an der Breitenwirkung fehlt", heißt es in einem Positionspapier des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen. Der Verband fordert daher seit Langem eine Einführung des Musterfeststellungsverfahrens — auch schon, als Gerd Billen noch nicht Staatssekretär, sondern noch Chef eben dieses Bundesverbands war. Nun kann er selbst dafür sorgen, dass die Forderung umgesetzt wird.

"Das Recht muss effiziente Mittel anbieten, die eine gerechte Kompensation von Schadenersatz- und Erstattungsansprüchen ermöglichen. Dies gilt auch und gerade bei geringfügigen Ansprüchen", sagte Billen. Tatsächlich habe eine Allensbach-Umfrage ergeben, dass Privatleute erst ab einem Streitwert von 1950 Euro durchschnittlich bereit seien, vor Gericht zu ziehen. Und ein Gutachten für den Verbraucherzentrale- Bundesverband kam zu dem Ergebnis, dass viele Verbraucher trotz gewonnener Unterlassungsverfahren auf dem Schaden sitzenbleiben. Für die Unternehmen lohnt sich also häufig der Rechtsbruch, weil sie nicht damit rechnen müssen, mit Druck verklagt zu werden.

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Mit einem Musterfeststellungsverfahren könnten nach Angaben von Gerd Billen qualifizierte Verbände "massenhaft auftretende verbraucherrechtliche Streitigkeiten mit nur einer Klage und dem Ziel der Klärung zentraler Voraussetzungen und Rechtsfragen vor Gericht bringen." Das diene der Einheitlichkeit der Rechtssprechung und schone die Ressourcen der Justiz. Zumal ein Klageregister beim Bund geschaffen werden soll, bei dem Bürger nach Bekanntmachung einer Klage ihre Ansprüche kostenfrei anmelden können. Geht es nach dem Justizministerium, sollte das Urteil dann für diese Ansprüche bindend sein, so dass die individuellen Schadenersatzansprüche auch in einem kostenfreien Streitschlichtungsverfahren außerhalb der Gerichte abgehandelt werden könnten. Das entspricht auch einer wesentlichen Forderung der Verbraucherschutzorganisationen.

Billen betonte jedoch, dass es keine Verfahrensregeln geben werde, die eine missbräuchliche Klage-Industrie wie in den USA entstehen ließen: "Wir wollen vermeiden, dass spezialisierte Großkanzleien Sammelklagen allein aus eigenem Profitstreben ins Rollen bringen und Unternehmen völlig unabhängig von der Rechtslage zu sachwidrigen, aber teuren Vergleichen zwingen."

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Beim Deutschen Richterbund sieht man die Pläne des Justizministeriums kritisch. "Ich habe Zweifel, ob ein Musterfeststellungsklageverfahren tatsächlich die Ressourcen in der Justiz schonen würde", sagte Peter Fölsch, Richter am Landgericht Lübeck und Mitglied im Präsidium des Richterbundes. Komme ein solches Verfahren, würden die Gerichte mehr Personal und nicht weniger benötigen. Schließlich müssten geschädigte Bürger auch weiterhin selbst Klage einreichen, um ihre Ansprüche durchsetzen zu können, sagte Fölsch.

Zudem sehe er die geplante Bindungswirkung eines Musterurteils für jeden einzelnen Bürger kritisch. Käme eine rechtliche Bindung des Musterurteils für weitere Verfahren, wäre das aus seiner Sicht rechtswidrig, wenn dann der Bürger keine Gelegenheit zur Stellungnahme erhielte. "Es wäre dann das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt."

(jd)
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