Tote Kleinkinder in Mainz Das Rätsel um die verseuchte Infusion

Mainz/Düsseldorf (RPO). Zwei Kleinkinder sind bereits gestorben, ein weiteres Baby ringt mit dem Tod. Inzwischen scheint klar: Eine mit Darmbakterien verseuchte Nährstofflösung ist für die Tragödie verantwortlich. Jetzt suchen die Ermittler fieberhaft nach der Infektionsquelle, die offenkundig im Krankenhaus selbst liegt.

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Foto: ddp

Das Unglück im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Mainz beschäftigt die Republik. Hätte das Unglück vermieden werden können? Noch ist unklar, auf welche Art und Weise Darmbakterien ihren Weg in die Nährlösung für die schwerkranken Kleinkinder gefunden haben. Die Klinik selbst hat bereits erklärt, dass die Verunreinigung wohl in ihrem Betrieb erfolgt sei und nicht etwa von einem der Hersteller der Grundsubstanzen.

Nun wird der komplette Ablauf der Herstellung durchleuchtet. Die Infusionen werden nach Angaben der Direktorin der Klinik-Apotheke, Irene Krämer, individuell für jeden Säugling hergestellt. Sie bestünden aus neun verschiedenen Mitteln wie beispielsweise Glukose, Magnesium und Wasser, die individuell nach den bedürfnissen der kleinen Patienten zusammengemischt würden. Manche Chargen enthalten so viel Flüssigkeit wie eine Tasse Espresso, rund 30 Milliliter.

Bei der Produktion der verunreinigten Arznei gelten strengste Sicherheitsvorschriften. Die beteiligten Mitarbeiter fertigen die Mischungen in einem Reinraum unter OP-ähnlichen Bedingungen. Nach weniger als 30 Minuten werden die verwendeten Handschuhe gewechselt. Die Nährlösung wird dort weitgehend automatisch hergestellt, aber in einer Phase müssen Mitarbeiter Schläuche verbinden. Menschliches Versagen könne nicht ausgeschlossen werden, hieß es von der Klinik, die zudem auf das Vier-Augen-Prinzip in der Produktion verweist.

Doch irgendwo muss der Fehler passiert sein. Das Enterobacter-Bakterium, das in zwei Babys nachgewiesen wurde, gehört beim Menschen zur normalen Darmflora. Außerhalb des Darms können sie jedoch Schaden anrichten und eine Blutvergiftung auslösen - nicht oder nur ungenügend gewaschene Hände nach dem Toilettengang genügen. Als kritischen Moment betrachten Experten auch weniger die sterile Produktion der Lösungen, sondern das Legen der Infusionen.

Überhaupt: Seit Jahren warnen Ärzte vor den hygienischen Zuständen in deutschen Spitälern, die weitreichende Folgen. "Schätzungen gehen von 500.000 bis 800.000 Krankenhausinfektionen und zwischen 20.000 und 40.000 Toten jährlich aus. Hinzu kommen weitere Folgeschäden wie Amputationen", sagte Walter Popp von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene im Gespräch mit unserer Redaktion.

"In Deutschland fehlen gesetzliche Vorgaben, überwacht wird nicht", monierte der Experte. "Nur in fünf Bundesländern gibt es Krankenhaus-Hygieneverordnungen." Dabei ist man sich nach Popps Ansicht des Themas durchaus bewusst, "doch man vermarktet das Krankenhaus lieber mit neuen chirurgischen Eingriffen als Infektionsvermeidung." In den Niederlanden hingegen hat man wesentlich weniger Probleme mit Infektionen im Krankenhaus.

Ob in Mainz gegen Vorschriften und Sicherheitsregeln verstoßen wurde, ist weiterhin unklar. Selbst Experten stehen vor einem Rätsel. Im vorliegenden Fall sei es aber kein Problem der Krankenhaushygiene, wenn die Kontamination in der Apotheke stattgefunden habe, erklärte Popp.

Auch die Klinik ist ratlos. "Der ganze Prozess vom Einkauf über die Mischung bis hin zur Verbringung an das Kind kommt in Betracht", sagte der Medizinische Vorstand, Norbert Pfeiffer. "Wir können den Prozess der Verkeimung nicht zuordnen." Tatsächlich ist fraglich, ob der Fall jemals zu 100 Prozent aufgeklärt werden kann. Ein ähnlicher Fall ereignete sich 1989 in Köln. Seinerzeit stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aus Mangel an Beweisen ein.

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