Interview mit Alfons Labisch „Handke ist kein Übeltäter“

Düsseldorf · Alfons Labisch, Rektor der Düsseldorfer Universität, gehörte der Jury an, die im vorigen Jahr den Heine-Preis der Stadt Düsseldorf dem Schriftsteller Peter Handke zuerkannte - einen Preis, der dann nicht verliehen wurde. Jetzt sagt Labisch, warum er Achtung vor Handke hat.

Herr Professor Labisch, vor kurzem ist das jüngste Buch von Peter Handke erschienen, "Kali. Eine Vorwintergeschichte”. Haben Sie's schon gelesen?

Labisch Nein, zurzeit lese ich "Mein Jahr in der Niemandsbucht”. Das wird auch noch dauern. Ich schaffe meist nur einige Seiten.

Warum?

Labisch Das liegt an Handkes Sprachgewalt. Er erzeugt Stimmungen - ob man will oder nicht. Dadurch fesselt er, dadurch ist er aber auch anstrengend zu lesen.

Peter Handke ist sehr umstritten.

Labisch Das liegt an seiner persönlichen Geschichte: Er ist ein Flüchtlingskind, hin- und hergerissen, seine Familie blieb im Dorf fremd, er besuchte Schulen, die heute als Eliteschulen gelten würden, ist in der gesamten europäischen Kulturtradition zu Hause, lernte, sich auszudrücken, wusste um seine Kenntnisse und Fähigkeiten, kokettiert damit, aber fühlte und fühlt sich nirgendwo heimisch. Daher war die Heimat seiner Vorfahren...

...Slowenien...

Labisch ...sein gelobtes neuntes Land. Er träumte von einem Vielvölkerstaat, im Frieden vereint. Er wandte sich schon 1991 gegen die Abspaltung Sloweniens von Jugoslawien, obwohl selbst die Serben damals nicht dagegen vorgingen. 1999 erklärte er, die Nato habe in Serbien kein neues Auschwitz verhindert, sondern eines geschaffen.

Kritiker werfen ihm daher die Verharmlosung der serbischen Kriegsverbrechen vor.

Labisch Da bin ich völlig anderer Meinung. Handke tritt seit der "Publikumsbeschimpfung” gegen Faschismus und Nationalsozialismus auf. Handke hat sich immer gegen Völkermord und Völkermörder, gegen Leute wie Mladi, Tadi oder Karadzi gewandt. Auch Slobodan Milosevi wollte er vor einem Gericht sehen, allerdings nicht vor einem internationalen, sondern vor einem jugoslawischen.

Sie meinen, er wurde missverstanden?

Labisch Schlimmer: Wenige haben sich die Mühe gemacht, ihn als Mahner gegen einseitige Schuldzuschreibungen zu sehen. In Reportagen und Bühnenwerken schreibt er gegen die durch Medien festgelegte öffentliche Meinung an. Er hat sich nicht nur nicht auf die Sprache der Presse eingelassen, sondern sie zu konterkarieren, zu persiflieren versucht. Angesichts seiner Ansprüche als Schriftsteller war das unter seinem Niveau, publizistisch gesehen war es Selbstmord. Es brachte ihm sogar den absurden Vorwurf ein, er leugne den Holocaust.

Dann ist er also als Schriftsteller gescheitert?

Labisch Als Schriftsteller nicht, aber in seinem politischen Wollen und öffentlichen Wirken. Wir hatten uns stillschweigend auf eine uniforme Schuldzuweisung im Jugoslawien-Konflikt eingelassen. Handke hat sich impertinent auf den konträren Standpunkt gestellt, es gebe in Bürgerkriegen keine "Allein-Schuldigen” und keine "Allein-Opfer”, und hat uns einen Spiegel vorgehalten. Das konnten viele nicht ertragen. Der Mahner wurde zum Übeltäter.

Sie haben in dem Zusammenhang von Zensur gesprochen.

Labisch Ich bin aufs Höchste besorgt, was derzeit geschieht. Von Politik und Presse werden politische Sprachregelungen in die Welt gesetzt. Gegen diese darf unter keinen Umständen verstoßen werden. Wer es tut, wird bestraft. Handke hat sich dagegen gewehrt - und zwar sowohl wegen des Sprachverfalls als auch aus Überzeugung. Publizistisch ist das tödlich.

Sie haben sich viel mit Handke beschäftigt. Welchen Anteil hat daran der Streit um den Heine-Preis?

Labisch Wenn es den Streit um den Preis nicht gegeben hätte, hätte ich mich nicht so intensiv mit Handke beschäftigt. Doch dass wir mehr und mehr Opfer von Sprachregelungen werden, besorgt mich seit langem. Wir haben keine amtliche Zensur mehr. Dafür taucht Zensur heute als "Political Correctness” auf. Daraus resultiert eine vorauseilende Selbstzensur. Was uns nottut, sind Klarheit und Wahrheit.

Hätte Handke den Düsseldorfer Heine-Preis verdient?

Labisch Der Heine-Preis hat sich im letzten Jahrzehnt zu einem der bedeutenden deutschen Literaturpreise entwickelt - siehe Elfriede Jelinek und Robert Gernhardt. Der Heine-Preis für Menschlichkeit? Lesen Sie nach, wie Heine mit Gegnern umgegangen ist, wie er über Engländer, Juden und Homosexuelle schreibt. Da muss Düsseldorf klar und wahrhaftig bleiben. Heine als großartiger Dichter und als demokratischer Patriot, als faszinierender Mensch mit all seinen Fehlern - darum geht es doch, das zieht uns an. Brillanter Intellekt, weltoffener Geist, weites Herz - deswegen sind wir stolz, die Universität Heinrich Heines zu sein.

Was ist dran an den Gerüchten, Sie wollten Peter Handke einladen?

Labisch Warum sollte Peter Handke, einer der bedeutendsten Schriftsteller deutscher Sprache, nicht eingeladen werden? Aber ist der Zeitpunkt günstig? Handke ist in Düsseldorf "persona ingratissima”. Wie viele haben je in seine Werke geschaut, sich mit ihm auseinandergesetzt? Ihn nicht einladen zu dürfen, wäre der Heine-Stadt unwürdig: Das wäre in der Tat Zensur. Also heißt die Devise: Erst Handke lesen und diskutieren - und dann, wenn es denn für alle Seiten stimmt, einladen. Auch Peter Handke wäre ja immerhin zu fragen, ob er nach Düsseldorf kommen möchte.

Dirke Köpp führte das Gespräch.

(RP)
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