Sri Lankas letzter Regenwald Wanderung durch den Dschungel

Deniyaya · Sri Lanka lockt Urlauber mit weißen Stränden, Teeplantagen und Kulturschätzen. Doch die Insel bietet auch wilde Natur: Der Sinharaja Forest ist der letzte tropische Regenwald der Insel. Besucher können dort auf Schlangensuche gehen und unter Wasserfällen schwimmen.

So geheimnisvoll ist der Dschungel Sri Lankas
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So geheimnisvoll ist der Dschungel Sri Lankas

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Der kleine Wurm hat seinen Saugnapf in die Haut am Knöchel gestoßen. Die Stelle blutet nun hellrot. Die Füße rutschen weg, weil die Steine von Pflanzen überwuchert sind. Der Pfad durch den Dschungel ist steil, die Erde aufgeweicht. Schweiß läuft über das Gesicht.

Zuerst wird das Hemd am Rücken nass, dann unter den Achseln und schließlich über dem Bauch. Die Lunge, so scheint es, zieht wegen der Feuchtigkeit in der Luft kaum mehr richtig Sauerstoff ein. Die berechtigte Frage in diesem Moment: Was bitteschön hat ein Mensch hier zu suchen? Es gibt Orte, die erst einmal angenehmer sind als der letzte urzeitliche Tieflandregenwald von Sri Lanka.

Feuchte und modrige Stadt

Wer auf die tropfenförmige Insel im Indischen Ozean fliegt, der will in erster Linie buddhistische Tempel sehen oder die weißen Badestrände an der Südküste, die Resorts von Hikkaduwa, Mirissa und Weligama, zurechtgemachte Urlauberparadiese unter tropischer Sonne.

Die Stadt Deniyaya, keine 100 Kilometer weiter im Norden, ist feucht und moderig: Der Monsun hat den Fassaden der Häuser zugesetzt, die Wolken hängen schwer am Himmel. Nicht weit ist es von hier zum Sinharaja Rain Forest, dem immergrünen Urwald, der wegen seiner biologischen Vielfalt seit 1988 zum Unesco-Weltnaturerbe gehört.

Ist eine Wanderung durch diesen Regenwald möglich? "Klar", sagt Bandula Rathnayaka. "Deshalb seid ihr ja hier." Der Singhalese steht auf der überdachten Terrasse seiner Herberge und lächelt unergründlich, während hinter ihm der Nachmittagsregen niedergeht: dicke, prasselnde Tropfen. Im Jahr 1994, als das Reisen nach Sri Lanka noch etwas Exotisches war, hat sein Bruder Upali damit angefangen, Touristen herauszuwinken, die auf der Straße nach Norden unterwegs waren - dann führte er sie in den Dschungel. Mit der Zeit entwickelte sich daraus ein solides Geschäft, heute gehen die Brüder mehrmals in der Woche mit ihren Gästen in den Wald.

Am Morgen kämpft sich das Tuk-Tuk eine aufgerissene Straße zum Eingang des Nationalparks hinauf. Der Fahrer umkurvt Löcher und Pfützen, das Dreirad ruckelt stark. Schwülwarm ist der Tag, aber das ist noch nicht allzu unangenehm. Erster Halt: Bandula zeigt hinüber zu einer Fischschwanz-Palme. Ein Mann klettert den Stamm hinauf, um den "Palmenhonig" aus dem Auffangbehälter zu holen. Die Bewohner der Region kochen den Nektar zu einem Sirup namens kitul pani auf, der zusammen mit Büffelmilchquark in der Südprovinz Sri Lankas das typische Dessert für Gäste ergibt: Curd and treacle.

20 Dörfer am Rand des Reservats

Weiter mit dem Tuk-tuk, wieder Geruckel. In der Ferne ragen bis zu 60 Meter hohe Bäume auf, der Wald im Innern des Parks verschachtelt sich in fünf Vegetationsstufen. Draußen lässt die Natur noch Raum für den Menschen: Um die 20 Dörfer liegen am Rand des Reservats, es gibt ein paar illegale Siedlungen. Die Menschen dürfen das rund 12.000 Hektar große Schutzgebiet betreten, sofern sie nicht die Bäume roden.
Im tiefen Regenwald aber lebt niemand.

Die Machete saust herunter auf eine Kokosnuss, Milch läuft heraus. Bandula reicht das süße Getränk seinen Gästen, dann fängt er einen Tausendfüßler, der sich in seiner Hand zusammenrollt, nur um im nächsten Moment die Blätter eines Mandarinenstrauchs zwischen den Fingern zu zerreiben. Der 55-Jährige mit seinem türkisen Polohemd und den verschlissenen Turnschuhen kennt jede Frucht und jede Pflanze, er greift in Büsche und Sträucher, und die Nase nimmt die verschiedensten Gerüche wahr, als stünde man in einer Parfümerie.

Dort, wo der Nationalpark beginnt, wird es sofort dunkler und lauter. Durch das Geäst ist kaum mehr der Himmel zu sehen. Vögel, Insekten und Affen zwitschern, zirpen und brüllen durch die Bäume. Es ist noch feuchter, die Pflanzen wachsen grün und undurchsichtig. Man kriegt eine Ahnung davon, was mit dem oft zu hörenden Begriff von unberührter Natur gemeint sein könnte, hier an diesem Ort: Regenwald, das Symbol für den Urzustand der Welt.

Die Orientierung wird jetzt schwierig, doch Bandula kennt den Weg genauso gut wie die botanischen Namen der Pflanzen. "Dipterocarpus zeylanicus" - oft stehen Schilder am Wegrand. Zwei Drittel der Baum- und Pflanzenarten im Park sind endemisch, das heißt, dass es sie nur an diesem Ort auf der Welt gibt. Hinzukommen zahlreiche einzigartige Vogelarten, Säugetiere und Amphibien, die nur auf Sri Lanka zu finden sind.

Vom König des Waldes, dem Leoparden, gibt nur noch wenige Exemplare. "Du siehst ihn nie, nur nachts, aber da siehst du ihn dann ja auch nicht", sagt Bandula. "Dort oben, ein Weißbartlangur." Der Affe ist erst zu erspähen, als er sich bewegt. Anderswo hockt eine Känguru-Eidechse auf einem Baumstumpf, ebenfalls endemisch, kaum zu erkennen. Dann greift Bandula in den Busch und fingert eine Nasen-Peitschennatter hervor. Die Schlange strahlt grün, als leuchte sie aus sich selbst heraus. Die Textur des Kopfes sieht aus wie am Computer nachgeschärft. "Die ist nur ein bisschen giftig", sagt Bandula. Das Reptil windet sich wie in Zeitlupe durch seine Hände.

Wenig Faszination erzeugen dagegen die Blutegel, die zu hunderten auf den Steinen sitzen und sofort am Schuh festkleben, wenn man kurz stehen bleibt. Sie kriechen dann zur nächsten freien Hautstelle und saugen sich fest. Unangenehm, aber ungefährlich: "Ich bin schon 1000 Mal gebissen worden und lebe immer noch", erzählt Bandula. Er verrät den Trick, wie man die Tiere los wird vom Schuh: Abreißen, zwischen den Fingern zusammenrollen wie Kaugummipapier und wegschnippen.

Wer mit Bandula durch den Urwald läuft, glaubt schnell, er befinde sich in einer riesigen Apotheke. Der Singhalese schneidet eine Liane auf und regt zur Kostprobe an. "Schmeckt bitter, aber hilft gegen Tetanus." Dann steckt er sich ein Blatt in den Mund. "Gut für den Magen." Eine Schnecke sitzt auf einem Stein, ihr bitterer Saft wirkt als Schmerzmittel für die Ohren. Das Tier heißt deshalb auch "doctor snail", wie Bandula erklärt. Und der Harz des canerium zeylanicum taugt als Brennstoff für Lampen: "Brennt lange, riecht gut."

Dass Konzerne und Kleinbauern weltweit den Regenwald roden, um Tropenholz zu gewinnen oder Monokulturen anzupflanzen, stimmt den Reisenden im Sinhajara-Reservat noch einmal trauriger. Die größten Regenwälder der Erde - im Amazonas-Gebiet, im Kongobecken und auf Indonesien - schrumpfen seit Jahren. Ein wirkungsvolles Mittel gegen den illegalen Holzschlag scheinen die Regierungen nicht zu finden.

Der Sinharaja Forest wird von der staatlichen Förstereibehörde geschützt. Touristen brauchen eine Genehmigung, die es am Parkeingang gibt. Laut Bandula kommen im Jahr etwa 15 000 Besucher. Übernachten können sie in einem der Conservation Center. Eines von ihnen steht am Ufer des Gin Ganga im Süden. "Gin" bedeutet Feuer. Bandula erklärt: "Bei viel Regen bricht die Flut wie ein Feuer durch das Tal."

Am Ufer eines Zulaufs ist das Hemd endgültig durchgeschwitzt. Der Weg über die Steine flussaufwärts erfordert einen guten Tritt. Plötzlich ist da ein Rauschen. Über eine Felsstufe von etwa vier Metern stürzt ein Wasserfall, der sich in einem natürlichen Bassin des Flussbetts sammelt: Zeit für einen Kopfsprung. Das Wasser ist kühl und klar, über dem Kopf flattern bunte Schmetterlinge durch das spärliche Sonnenlicht. Bandula schwimmt zur Felswand unter die Brause, dann trägt ihn die Strömung wieder fort.

Traditionelle Drogen

Auf dem Rückweg kommt das Wasser von oben früher als erwartet. Zum Glück wohnt ein Freund von Bandula in der Nähe, in einem kleinen Haus am Hang, wo der Wald wieder lichter ist. Der Mann stellt sich als W.G. Gunil vor. Er hat noch zwei Schneidezähne im Mund und reicht Areca-Nüsse, Betel-Blätter und Tabak: eine traditionelle leichte Droge in ganz Südostasien. Busfahrer nehmen sie gerne und Arbeiter auf den Plantagen. "Menschen, die lange wach sein müssen", sagt Bandula. Der Sud macht den Mund ganz rot. "Lippenstift", sagt W.G. Gunil, der sonst gar nicht redet. Dann kommt der Regen.

Der Niederschlag sieht aus wie Nebel, er zieht als dichter, grauer Schleier über die fünf Vegetationsstufen des immergrünen Urwalds hinweg. Die Tropfen reißen den trockenen Boden vor der Hütte auf, fast wie Maschinengewehrsalven, kein Geräusch ist mehr da außer dem Prasseln des Regens. Die Luft ist so frisch, dass man das Atmen ganz bewusst wahrnimmt. Als das Schauspiel vorbei ist, reißen die Wolken auf, und das Sonnenlicht bricht sich in den zigtausend Wassertröpfchen des aufsteigenden Dampfs.

Den Regenwald von Sinhajara lassen viele Reisende auf Sri Lanka links liegen. Doch wenn die Strände der Südküste allzu monoton erscheinen, wenn die Sonne nur noch blendet und der Cocktail nicht mehr schmeckt, dann ist es Zeit hierherzukommen.

(dpa)
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