Kanzlerin kämpft um ihre Macht Merkel steht vor ihrem schwierigsten Jahr

(RP). Die Kanzlerin hat im September trotz Stimmenverlusten der CDU einen klaren Wahlsieg errungen. Doch der Start mit Wunschpartner FDP ging gehörig daneben. Nach dem enttäuschenden Klimagipfel und dem verheerenden Bombenangriff in Kundus muss Angela Merkel um ihre Macht kämpfen.

Die Karriere von Angela Merkel
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Bilder verraten oft mehr als lange Analysen. Als Angela Merkel Ende Oktober die Koalitionsverhandlungen mit FDP und CSU beendet hatte und ihr Kabinett schnell stand, sahen Zeitungsleser und Fernsehzuschauer eine strahlende Kanzlerin. "Sie war völlig mit sich im Reinen", meinte jemand, der sie gut kennt. Oder etwas politischer ausgedrückt: Sie hatte den Höhepunkt ihrer Macht erreicht.

Nur anderthalb Monate später hatte sich das Bild komplett gewandelt. Eine auf Fotos und TV-Bildern sichtlich erschöpfte Regierungschefin musste kurz vor Weihnachten gleich drei Brandherde gleichzeitig bekämpfen: den knallharten Widerstand der Chinesen auf dem Klimagipfel in Kopenhagen, das drohende Nein einiger CDU-Ministerpräsidenten zum schwarz-gelben Steuerpaket und die Regierungskrise nach dem Rücktritt des Arbeits- und vormaligen Verteidigungsministers Franz Josef Jung, der die Dimensionen des verheerenden Bombenangriffs von Kundus völlig falsch eingeschätzt und sein Haus nicht im Griff hatte.

"Zenit ihrer Macht überschritten"

Merkel floh förmlich mit ihrem Mann in den Winterurlaub ins schweizerische Engadin und sucht jetzt zwischen den Jahren Entspannung im Kreis ihrer Familie in der Uckermark. Die Nackenschläge zum Ende des Jahres machen ihr sichtlich zu schaffen. Ein früheres Regierungsmitglied — ihr eigentlich wohlgesonnen — meinte vielsagend: "Vielleicht hat sie den Zenit ihrer Macht überschritten."

Dieses Urteil mag vorzeitig gefällt sein. Wahr ist, dass die Kanzlerin nach den passablen Jahren der großen Koalition und dem erfolgreichen Krisenmanagement des Finanz-Crashs von 2008 im kommenden Jahr zum ersten Mal richtig um ihre Macht kämpfen muss. Ihr großes Thema, die Überwindung der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit, droht ihr zu entgleiten. Noch schafft sie den schwierigen Spagat, mit einer expansiven Finanzpolitik den Aufschwung nicht abzuwürgen und gleichzeitig ein Abrutschen in den Schuldenstaat zu vermeiden. Aber der Balanceakt wird immer schwieriger. Und die Unterstützung für ihren heiklen Kurs schwindet.

Koalitionspartner machen ihr das Leben schwer

Das liegt zum einen an den beiden Koalitionspartnern FDP und CSU. Die pochen ohne Rücksicht auf Verluste auf die Durchsetzung ihrer Interessen — vom ermäßigten Steuersatz für das Beherbergungsgewerbe über kräftige Geldspritzen für Milchbauern bis zur breiten Entlastung der mittleren und höheren Einkommen. Alles nicht unbedingt nötig, aber für die Profilierung von Christsozialen und Liberalen bestens geeignet. Auf die Finanzsituation des Bundes wird dabei genau so wenig Rücksicht genommen wie auf einen konsistenten Kurs der neuen Koalition.

Doch nicht nur die Partner machen Merkel das Leben schwer. Auch in der Wirtschaft wachsen die Widerstände gegen die Absicht der Kanzlerin, mögliche neue Krisen durch ein straffes Regulierungsnetz schon im Ansatz zu verhindern. Mit den gewaltigen Umwälzungen auf den Finanzmärkten nach der Krise verdienen ausgerechnet die Investmentbanken Milliardengewinne, die einst den Crash verursacht hatten. Was die Kanzlerin in den Chefetagen der großen Geldhäuser hört, weckt ihr Misstrauen. Denn die Lust an riskanten Finanzgeschäften hat wieder zugenommen — einschließlich der Zahlung satter Boni.

"Wir bewegen uns auf labilem Grund", schärft die CDU-Politikerin ihren Zuhörern immer wieder ein. Dass Amerikaner und Briten in ihrem Drang nachlassen, die Ursachen der Krise wirksam zu bekämpfen, beunruhigt Merkel. Vor allem die Hoffnung, die sie auf US-Präsident Barack Obama setzte, scheint sich nicht zu erfüllen. Als einziger Verbündeter bleibt ihr derzeit nur Frankreichs umtriebiger und nicht immer ganz zuverlässiger Präsident Nicholas Sarkozy.

Gabriel schießt aus allen Rohren auf die Kanzlerin

Ihre Freunde und Gegner nehmen die Unsicherheit der Kanzlerin durchaus wahr. SPD-Chef Sigmar Gabriel schießt derzeit aus allen Rohren. Er hätte sich nicht träumen lassen, dass seine durch die Wahl gedemütigte Partei so schnell wieder angreifen kann. Den wunden Punkt in Merkels weiterer Agenda für 2010 hat der Niedersachse schnell erkannt: der unpopuläre Militäreinsatz in Afghanistan und die widersprüchliche Haltung der Regierung zum Bombenangriff in Kundus. Dort musste auch das Wunderkind der Koalition, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), seine ersten Blessuren hinnehmen. Das dürfte Merkel nicht ganz ungelegen kommen, ist aber auch gefährlich, sollte der Minister doch noch straucheln.

Merkels Stützen sind Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, Innenminister Thomas de Maizière, Finanzminister Wolfgang Schäuble und die neue Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Sie bilden das Machtkorsett der Kanzlerin, wobei Schäuble auch eigene Interessen verfolgt, gestützt auf seine Staatssekretäre und Vollstrecker Walther Otremba und Steffen Kampeter. Die schwarz-grüne Option soll vor allem Umweltminister Norbert Röttgen offen halten.

Keine Gefahr mehr von den CDU-Länderfürsten

Die Haltung zu den CDU-Ministerpräsidenten ist ambivalent, aber für Merkel nicht wirklich gefährlich. Den schleswig-holsteinischen Regierungschef Peter Harry Carstensen hat sie mit Geld für die Bildungsprogramme der Länder besänftigt, ohne die anderen vor den Kopf zu stoßen. In Baden-Württemberg steht ein Chefwechsel an, und Hessen Ministerpräsident Roland Koch hat sich in die Sackgasse manövriert. Zweimal hatte Merkel ihm den Posten eines EU-Kommissars angeboten, er hatte immer wieder abgelehnt. Als er Jungs Posten als Arbeitsminister übernehmen wollte, sagte die Kanzlerin nein.

Nur Niedersachsens Landeschef Christian Wulff und NRW-Regierungschef Jürgen Rüttgers haben eine echte Machtposition gegenüber der CDU-Chefin. Wegen der wichtigen Wahl am 9. Mai im größten Bundesland müssen Rüttgers und Merkel aber eng zusammenarbeiten. Denn ein Ende von Schwarz-Gelb in Düsseldorf, wie die aktuellen Umfragen signalisieren, würde die Mehrheit von Union und FDP im Bundesrat kippen und die Gestaltungskraft der Koalition in Berlin empfindlich einschränken. Der Abstieg der Bundesregierung und ihrer Chefin Merkel wäre programmiert.

(RP)
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