Dschungelcamp "Das verrät nichts über das wahre Leben" — "Oh doch!"

Gold Coast · Julia Rathcke ist Dschungelcamp-Fan der ersten Stunde. Tobias Jochheim verachtet und boykottiert die Sendung. Ein Streitgespräch zum Zeitpunkt, an dem die Argumente längst ausgetauscht sind.

Die besten Sprüche des Dschungelcamps 2015
Infos

Die besten Sprüche des Dschungelcamps 2015

Infos
Foto: RTL/Stefan Menne

Julia: "Und, wer ist dein Favorit im Dschungelcamp?"

Tobias: "Dieser Möchtegern-Militär-Typ, der die ganze Bagage unsanft empfängt. Der strahlt aus, was ich fühle: Maximale Genervtheit, fast schon Ekel angesichts der Grundidee dieser Show, der Leute darin und dahinter. Egal ob alle Beteiligten wissen, worauf sie sich einlassen, egal wie technisch gut, selbstironisch und metaebenenmäßig dieser Trash produziert ist und egal wie feuilletonistisch er verklärt wird — er bleibt Trash. Sind wir dann durch?"

Julia: "Ha! Also hast du endlich deine erste Folge gesehen?!"

Tobias: "Freitagabend. Gezwungenermaßen. Nach langer Diskussion mit mir selbst. Weil man ja nicht darüber urteilen sollte, was man nicht aus erster Hand kennt. An meiner Meinung hat sich dadurch exakt nichts geändert. Ich hab lediglich zwei Stunden und 45 Minuten kostbarerer Lebenszeit verschwendet."

Julia: "Mir kommen die Tränen. Was hatte dein Selbst dir denn geraten? 'Tobias, das ist nichts für dich Bildungsbürger?'"

Tobias: "Ich bin ja überhaupt kein Bildungsbürger. Ich kann nicht mal Latein … aber du doch, ne?"

Julia: "Ja. Und Altgriechisch, Englisch und Französisch noch dazu. Und ich liebe diese Sendung."

Tobias: "Dann kannst du ja Gedichtinterpretationen in vier Sprachen schreiben. Und Flexibilität ist nicht verkehrt, auch beim Thema Niveau. Aber wärst du so gut, mir auf Deutsch zu erklären, warum du diese Sendung magst, pardon, 'liebst'?"

Julia: "Das kann ich einem Wort: Entertainment."

Tobias: "Ein bisschen Englisch kann ich zum Glück auch. Es gibt viele Unterhaltungssendungen. Was zeichnet das Dschungelgedöns aus?"

Julia: "Dass der Zuschauer ungehemmt dem Voyeurismus frönen kann. Und mit wem macht das mehr Spaß als mit nem Dutzend fehlbarer, scheiternder Ex-Irgendwas? Mit Menschen wie dir und mir."

Tobias: "Ich würde meine Würde nicht für 30.000 Euro hergeben … sechsstellig müsste es schon sein! Aber okay, Menschen wie du und ich, meinetwegen. Weil du und ich auch scheitern. Allerdings nicht vor laufenden Kameras mit Mega-Zoomobjektiven. Von unserem Scheitern wird kein Worst-of vor Millionenpublikum ausgebreitet, mit Gags und lustiger Musik hinterlegt. Und am nächsten Tag zerreißen sich nicht Millionen von Menschen das Maul darüber."

Julia: "Höre ich da etwa Mitleid raus?"

Tobias: "Schon."

Julia: "Siehste, das ist ja auch der Sinn der Sendung. Gefühle anfixen. Die ganz grundlegenden: Neugier, Mitgefühl, Ekel, Wut, (Fremd-)Scham, Schadenfreude. Und die Ur-Sehnsüchte: Abenteuer, Spannung, Wahrhaftigkeit."

Tobias: "Neugier und Mitgefühl kann ich woanders deutlich sinnvoller loswerden. Ekel, Schadenfreude, Wut und Voyeurismus sind generell ganz eventuell gar nicht soooo anfixenswert. Aber den Scherz mit der 'Wahrhaftigkeit' hab ich verstanden, sehr gelungen!"

Julia: "Kein Scherz. Die Kandidaten sind wahrhaftig. In ihrer Naivität, ihrer Selbstüberschätzung, ihrer Angst vor Kakerlaken und dem Publikumsspott. Und vor allem auch in ihrer Schlichtheit: 'Am Anfang ist immer Arschleckerei, schicki micki, lecki lecki' sagt das Model Sara kurz vor dem Einzug ins Camp. 'Dumm stellen schafft Freizeit!'"

Tobias: "Die Kandidaten sind vor der Kamera vor allem das, wofür sie gecastet wurden: Dumm, dick, süß, schwul, alt, zeigefreudig, zickig, machohaft, wehleidig… Denen wird doch Tag für Tag gesagt, was sie wie oft tun und sagen sollen: Drei Mal in Tränen ausbrechen, siebzehn Kraftausdrücke und neunundsechzig schmachtende Blicke gegenüber Kandidat X."

Julia: "Das hält man zwei Tage durch, aber nicht zwei Wochen. Irgendwann fallen die Masken bei jedem. Und das ist der Reiz. Das ist ein Spiel wie ein Psychogramm."

Tobias: "Mag ja sein. Vielleicht bemerkt man den ach so spannenden Unterschied zwischen Rolle und echter Person aber auch gar nicht, weil er leider doch nicht groß ist. Wie auch immer: Es ist irrelevant. All das verrät nichts über das wahre Leben."

Julia: "Oh doch. Es geht um Tieferes. Um soziale Konflikte und Läuterung. In einem FAZ-Interview hieß es: 'Das Gute soll über das Böse siegen, die Gemeinschaft über die Egoismen.' Der Schauspieler Ulrich Matthes hat dem zugestimmt: Weil sich am Ende die Guten durchsetzten, bestärke einen das Dschungelcamp 'im Glauben an die Menschheit'."

Tobias: "Guter Mann, der Matthes. Aber in Bezug auf diese Sendung ist das Bullshit erster Güte. Vielleicht gewinnt ganz am Ende tatsächlich der Netteste, Fleißigste, Sozialste. Aber bis dahin sind die schönen Momente — falls es die überhaupt geben sollte — schlimmstes Kalkül. Die Ruhe vor dem nächsten Skandälchen-Sturm. Bevor man sich darüber amüsiert, wie der nächste leiden und kotzen muss. Darum geht es. Sonst würden die penetrantesten Kandidaten früh rausgewählt — und nicht so lange wie möglich dringelassen, um sie immer wieder 'bestrafen' zu können."

Julia: "Homo hominem lupus est."

Tobias: "Jaja, das verstehe ich auch noch so gerade: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Keine neue Erkenntnis. Wird im echten Leben jeden Tag deutlich. Im Umfeld dieser Sendung dann eben nochmal verdichtet. Du hast's ja selbst gesagt: Ekel, Schadenfreude, Wut und Voyeurismus. Glückwunsch dazu!"

Julia: "Das Ziel ist der Sieg darüber. Man muss gegen die Wölfe da draußen kämpfen, die Menschlichkeit rauskitzeln. Denn den Gewinner bestimmen immer die anderen. Und gewinnen will jeder. Geld, Aufmerksamkeit, Anerkennung. Vor allem aber, sagt Dschungelcamp-Kandidat Rolfe Scheider, 'will man ja geliebt werden'."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort