Serie - Die Geheimnisse der Bibel (Teil 3) Matthäus — Feingeist und großer Redner

Düsseldorf (RP). Der Evangelist komponierte aus den Worten Jesu große Reden – die schönste und wirkmächtigste ist die Bergpredigt. Lange Zeit nahm man an, Matthäus sei einer der Apostel. Wie er gearbeitet hat, machen vor allem seine Wunder-Erzählungen deutlich.

 Eine Martin-Luther-Bibel aus dem Jahr 1535.

Eine Martin-Luther-Bibel aus dem Jahr 1535.

Foto: ddp

Düsseldorf (RP). Der Evangelist komponierte aus den Worten Jesu große Reden — die schönste und wirkmächtigste ist die Bergpredigt. Lange Zeit nahm man an, Matthäus sei einer der Apostel. Wie er gearbeitet hat, machen vor allem seine Wunder-Erzählungen deutlich.

Wenn es auch Zufall ist, so ist es doch ein schöner: Johann Sebastian Bach hat alle vier Evangelien vertont; Lukas und Markus sind verschollen; Johannes ist geschätzt, doch das größte und beliebteste Werk ist die Matthäus-Passion. Auch im Neuen Testament steht das Matthäus-Evangelium an erster Stelle der 27 kanonischen Schriften. Dies ist kein Zufall: Die Kirchenväter glaubten, dass Matthäus der erste war, der ein Evangelium geschrieben hat. Heute geht man davon aus, dass Markus der erste Evangelist war. Dennoch ist die Hochschätzung des Matthäus gerechtfertigt: Er fügte die überlieferten Sprüche Jesu zu großen Reden zusammen und schuf so eine der schönsten und wirkmächtigsten Stücke christlicher Verkündigung: die Bergpredigt.

Sie ist damit nicht einfach erfunden, denn der historische Kern ist plausibel. Jesus mag sich auch auf eine Anhöhe begeben haben, damit er besser zu verstehen war. Und warum soll es dabei nicht auch die eine große Predigt gegeben haben, die besonders dicht war und von besonders vielen Menschen gehört wurde? Die durchgefeilte Groß-Komposition aber, die wir heute als Bergpredigt kennen, geht wohl auf eine Zusammenschau des Matthäus zurück.

Nur ein Detail sei genannt, woran die literarische Begabung des Matthäus zu erkennen ist: Ziemlich genau in der Mitte der Bergpredigt steht das Vaterunser. Allein die Positionierung ist ein anrührendes Stück Theologie. Die Anrede an Gott ist das alles entscheidende Herzstück aller Regeln Jesu. Kein Zweifel, dieser Mann Matthäus verstand etwas vom Schreiben.

Die Annahme, dass Matthäus zunächst ein Evangelium in hebräischer Sprache geschrieben hat, gilt heute ebenso als widerlegt wie die Annahme, dass Matthäus der erste war, der ein Evangelium geschrieben hat. Die Forschung legt nahe: Er hat das Markus-Evangelium gekannt; und er hat wohl eine Sammlung von Jesus-Worten zur Verfügung gehabt. Das waren die beiden Haupt-Quellen, aus denen er (so wie auch der Evangelist Lukas) schöpfte — in der Forschung ist daher von der "Zwei-Quellen-Theorie" die Rede. Daneben verfügten Matthäus und Lukas auch über je eigenes Material. Markus schrieb sein Werk im Jahr 70 oder bald danach, das Matthäus-Evangelium wird daher auf die Zeit zwischen 80 und 100 nach Christus datiert. Die Annahme, dass der Autor Matthäus hieß, geht wohl auf eine Geschichte in seinem Evangelium zurück: Jesus beruft den Zöllner Matthäus zum Jünger. Sicher ist das nicht.

Sicher sind Dinge, die sich aus den Texten erschließen lassen. Der Autor des Matthäus-Evangeliums hatte offenbar eine Gemeinde mit Juden- und Heidenchristen vor Augen. Es gab wohl Auseinandersetzungen zwischen Judenchristen und Juden, möglicherweise auch zwischen Juden- und Heidenchristen über die Stellung zum jüdischen "Gesetz", etwa zu den Reinheitsvorschriften. Matthäus betont auffällig eine Theologie der Versöhnung: Jesu Wirken wird als Erfüllung des Gesetzes gedeutet — das jüdische Regelwerk wird in dieser Sicht nicht einfach abgeschafft, sondern eingebettet in eine umfassende, in Christus gipfelnde Heilsgeschichte. Damit war eine Perspektive für alle Gruppen eröffnet: für Juden, die ihre Vergangenheit nicht einfach aufgeben wollten; für Judenchristen, die sich nicht von Reinheitsgeboten lösen mochten; und für Heidenchristen, die als Nicht-Juden mit jüdischen Geboten nichts anfangen konnten.

Matthäus, der Mann des Wortes: Die Worte Jesu stellt er zu fünf großen Reden zusammen. Dies ist nicht einfach eine Erfindung. Jesus ist öffentlich aufgetreten; er wird gepredigt haben; und er ist in seinen Gleichnissen und Aphorismen als begabter Redner erkennbar. Dass er als Rhetor auch gefürchtet war, zeigt am klarsten sein Tod am Kreuz: Die einzige Waffe, die er, der als Aufrührer hingerichtet wurde, je erhoben hatte, war das Wort. Wie sehr Matthäus die Kraft der Rede hochschätzte, wird an einer erstaunlichen Eigenart seiner Wundergeschichten deutlich: Er straffte sie, statt sie auszuschmücken. Normalerweise ist es bei Geschichten dieser Art umgekehrt: Je mehr man sich zeitlich vom Leben eines Verehrten entfernt, desto großartiger und legendarischer werden die Wundergeschichten. Beispiele in Hülle und Fülle liefern die christlichen Heiligenlegenden. Matthäus aber schmückte nicht aus — er konzentrierte die Geschichten auf Worte Jesu.

Ein schönes Beispiel ist die Heilung zweier Besessener (Kapitel 8). Bei Markus (Kapitel 5) wird ausführlich die Gefährlichkeit und die Gewalt beschrieben, die von dem Besessenen ausgeht ("er war oft mit Fesseln und Ketten gebunden gewesen und hatte die Ketten zerrissen und die Fesseln zerrieben, und niemand konnte ihn bändigen"). Matthäus notiert nur knapp: "Die Besessenen waren sehr gefährlich, so dass niemand diese Straße gehen konnte" (bei Matthäus ist von zwei Besessenen die Rede). In einem entscheidenden Detail wird der konzeptionelle Wille des Matthäus deutlich: Die "bösen Geister" bitten Jesus, in eine Herde Säue fahren zu dürfen; bei Markus teilt der Erzähler mit, dass Jesus "es erlaubte". Bei Matthäus wird daraus ein ausdrücklicher Befehl in wörtlicher Rede: "Und er sprach: Fahrt aus!"

Diese Stelle ermöglicht einen Blick in die Werkstatt der Evangelisten. Sie sammelten Material und arbeiteten mit diesen Texten in einer Mischung aus viel Demut und wenig Selbstbewusstsein. Sie verstanden sich nicht als freie Schriftsteller, die ihr Material beliebig formten, denn die Hochschätzung für das Überlieferte war groß. Eingriffe in den Text erfolgten behutsam über Komposition, Überleitungen oder leichte Variationen — so wie in jenem "Fahrt aus!". Das Beispiel zeigt zudem, wie historische Erinnerung transportiert wurde. In der antiken Literatur waren Wundergeschichten meist mit bombastischen Zeichenhandlungen der Wundertäter verbunden. Im Vergleich dazu sind die Berichte über die Heilungen Jesu spröde: Er spricht einen knappen Satz — und das Wunder ist vollbracht. Die Abweichung vom literarischen Muster zeugt von einer präzisen historischen Erinnerung: Jesus stand im Ruf, allein durch sein Wort zu heilen. Insofern hat Matthäus, als er jenes "Fahrt aus!" schrieb, den kollektiven Erinnerungen an Jesus entsprochen.

Zugleich steckt darin Theologie pur: Der Sohn Gottes brauchte keinen Firlefanz. Ihm reichte das Wort, das von Anbeginn im Munde Gottes Schöpferkraft hatte. Auch die Schöpfung wurde einfach ins Sein gerufen.

Es ist fast konsequent, dass Matthäus, dieser Feingeist, der das Wort so verehrte, in der Kunstgeschichte als geflügeltes Menschenwesen dargestellt wird. Antlitz, Wort, Geist — in diesem Dreiklang hört der Mensch Gott. Davon hat Matthäus erzählt.

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