Pressestimmen So bewerten internationale Medien den Strache-Skandal in Österreich
Der Skandal um ein Video, in dem sich der österreichische Ex-Vizekanzler Strache zur Korruption bereit zeigt, hat zu einem politischen Beben weit über Österreichs Grenzen hinaus geführt. Wir haben internationale Pressestimmen dazu gesammelt.
Aus Tschechien schreibt die liberale Zeitung „Hospodarske noviny“:
„Was bedeutet die Entscheidung für Neuwahlen? Was wie das verantwortungsvolle Verhalten eines Regierungschefs aussieht, der Anzeichen von Korruption verurteilt und die Menschen erneut über ihre politischen Vertreter entscheiden lassen möchte, ist in Wirklichkeit ein durchdachter Schachzug. (Sebastian) Kurz wusste nur zu gut, mit wem er in eine Koalition geht. Er wusste über zweifelhafte Verbindungen der FPÖ zu rechtsextremen Kreisen und tat, als wäre das kein Problem. (...) Doch er wusste auch, dass die Freiheitlichen mit ihrer Anti-System-Rhetorik geschwächt aus der Regierungsverantwortung hervorgehen würden. (...) Kurz kann von Neuwahlen nur profitieren. Er dürfte sowohl diejenigen Wähler anziehen, die vom Verhalten der FPÖ enttäuscht sind, als auch diejenigen, die ihm dafür danken werden, dass er den Freiheitlichen ermöglicht hat, sich in der Regierungsbeteiligung selbst unmöglich zu machen.“
Die sozialdemokratische schwedische Tageszeitung „Aftonbladet“ (Stockholm) kommentiert:
„Die Regierungskrise in Österreich sollte Folgen in der gesamten EU haben. Der Skandal zeigt mit aller wünschenswerter Deutlichkeit, mit welchen Kräften Kurz gespielt hat und wie unfähig er war, diese zu bändigen. Das sollte Nachwirkungen auf den ganzen Kontinent haben, weil die ungezwungene Haltung von Kurz gegenüber der FPÖ als Vorbild angeführt worden ist. Finnlands früherer Ministerpräsident Alexander Stubb hat ihn als den Erlöser der konventionellen Rechten beschrieben. Die europäischen Mitte-Rechts-Politiker, die mit dem Gedanken spielen, 'einen Kurz zu machen', sollten beachten, dass die FPÖ nicht die einzige Partei am rechten Rand ist, die warme Gefühle für Putins autoritären Staat hegt.“
Zur Regierungskrise in Österreich schreibt die Amsterdamer Zeitung „de Volkskrant“:
„Kurz hoffte, durch die Zusammenarbeit mit der FPÖ populistischen Wählern den Wechsel zu seiner ÖVP schmackhaft zu machen. Seine Devise lautete: Isoliere die rechten Nationalisten nicht, sondern umarme sie und versuche sie so zu ersticken. Das hat bis zu einem gewissen Grad funktioniert. Bei Umfragen zur Europawahl lag die ÖVP rund 6 bis 7 Prozent vor der FPÖ. (...) Der Ibiza-Skandal zwingt Kurz nun dazu, sein Experiment zu beenden. In den letzten 18 Monaten gab es häufiger Spannungen wegen des Auftretens der FPÖ. Die Strache-Affäre hat jedoch zwei Komponenten, die giftig sind und auf die Europa sehr empfindlich reagiert: Gemeinsame Sache mit den Russen zu machen und den Wunsch, Zeitungen zu kontrollieren, wie Ungarns Ministerpräsident Orbán. So hatte Kurz diesmal keine andere Wahl, als sich schleunigst von der FPÖ zu trennen.“
Die konservative polnische Zeitung „Rzeczpospolita“ schreibt:
„Eine Woche vor der Wahl des Europaparlaments, die als großer Test für die Zukunft der EU gilt, haben wir plötzlich ein politisches Erdbeben in Österreich. (...) Viel weist darauf hin, dass die Aufdeckung des Falls zu gerade diesem Zeitpunkt nur indirekt darauf abzielte, den Leader der FPÖ in die Krise zu stürzen, einer Partei, die seit den Zeiten von Jörg Haider in der EU zum Symbol des Rechtsextremismus mit schmutziger Vergangenheit geworden ist, der in die Regierungssäle eingefallen ist. Das eigentliche Ziel ist aber der ehrgeizige junge Kanzler Sebastian Kurz. Die Tatsache, dass er fast unmittelbar nach Aufdeckung des Skandals Neuwahlen angekündigte, zeugt davon, dass er sich dessen bewusst ist, wer das Hauptziel der gerade begonnenen Jagd sein kann. (...)
Die Aufdeckung des Strache-Skandals durch zwei der wichtigsten deutschen linksgerichteten Pressetitel ist also Teil des politischen Kampfes, der heute in Europa stattfindet. Darüber hinaus wird auch die bekannte Schwäche der konservativen Populisten entblößt: ihr Verhältnis zu Russland, dessen Sinnbild der berühmte Tanz Putins mit der österreichischen Außenministerin geworden ist. Interessant ist jedoch, dass für die beiden deutschen Zeitungen die Beziehungen des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zu Putin vor 15 Jahren noch keinen Grund zur Sorge darstellten.“
Die „Times“ aus Großbritannien schreibt:
„Wähler, die bereits für die extreme Rechte sind, mögen die Affäre als abgekartetes Spiel abtun. Aber für Unentschlossene ist der Ruch von Verrat und Korruption und die Aussicht auf internationale Isolation abschreckend. Vor allem zeigt die österreichische Erfahrung, dass zweifelhafte Parteien in die Regierung zu bringen, diese nicht weniger zweifelhaft macht. Es macht die Regierung zweifelhafter.“
Die kommunistische Pariser Tageszeitung „L'Humanité“ kommentiert:
„Der Sturz von Heinz-Christian Strache in Österreich erinnert daran, dass Rechtschaffenheit und rechtsextreme Gesinnung nichts gemein haben; dass diejenigen, die diese Fremdenfeinde befördern, selbst reine Brandstifter sind. Und dass der Aufstieg nationalistischer Populisten in Europa nicht unaufhaltsam ist. Es ist auch ein Fingerzeig an Emmanuel Macron. Er hat als erster im Elysée-Palast den konservativen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz empfangen, als dieser gerade sein Bündnis mit diesen Leuten (der FPÖ) geschlossen hatte.“
Die liberale slowakische Tageszeitung „Sme“ schreibt:
„Wir wissen nicht, wer die Frau ist, die vortäuschte, in die FPÖ investieren zu wollen und sich dann zum Beispiel über Bauaufträge belohnen zu lassen. Das wussten auch die Politiker nicht, die sich in so einen Geschäftsvorschlag hineinlocken ließen. Dafür glänzten sie mit Vorschlägen, wie sie das Gesetz umgehen könnte. Der Entscheidung von Bundeskanzler (Sebastian) Kurz für vorgezogene Neuwahlen ist zu applaudieren. Aber wer ein bisschen aufgepasst hatte, brauchte doch kein solches kompromittierendes Video aus Ibiza, um sich ein Bild von dieser Freiheitlichen Partei zu machen.“
Die „Neue Zürcher Zeitung“ meint:
„Straches Rücktritt ist die einzige logische Konsequenz dieses Skandals, auch wenn die strafrechtliche Relevanz seines Verhaltens erst geprüft werden muss und das Video von bisher nicht bekannten Urhebern auf illegale Weise entstand. Es sind bezeichnenderweise nicht die wiederholten rechtsextremen Fehltritte von FPÖ-Funktionären, die ihn zu Fall bringen, sondern Präpotenz und Raffgier.(...) Kurz’ Vorzeigeprojekt ist gerade spektakulär und vermutlich nachhaltig gescheitert – mit Wirkung über die Grenzen Österreichs hinaus. Denn wenn es die Absicht gewesen sein sollte, das schon vor bald zwei Jahren aufgezeichnete Video ausgerechnet eine Woche vor der Europawahl publik zu machen, um die Problematik einer Beteiligung der rechtspopulistischen Kräfte an der Macht aufzuzeigen, dann ist dieses Kalkül aufgegangen.“
„Die Presse“ aus Wien schreibt:
„Die FPÖ ist zum dritten Mal mehr oder weniger unschön aus der Regierung geworfen worden oder gefallen. Drei Versuche, als Regierungspartei ernst genommen zu werden, sind gescheitert. Nach unzähligen Einzelfällen mit bräunlicher Verhaltensauffälligkeit und dem jüngsten Ibiza-Video der beiden FPÖ-Spitzenpolitiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus scheidet die FPÖ für Jahre - wenn nicht länger - als Regierungspartner aus. Sebastian Kurz wird mit ihnen wohl nie wieder koalieren, sie mit ihm sicher nicht, so groß sind Wut und Verbitterung über den Koalitionsbruch. In der FPÖ scheint erst langsam zu sickern, dass es das nun endgültig gewesen ist: keine Verantwortung, keinen Einfluss, keine erste Reihe, keine Macht und auch keine neuen Jobs. Es ist vorbei.“
Die italienische Tageszeitung „Corriere della Sera“ schreibt:
„Die Wiener sind 'verstrahlt', besser, man bleibt ihnen fern. Die Strafe könnte als übertrieben bezeichnet werden. Und vielleicht war sie das auch. Doch Vize-Kanzler Strache hat den saftigen Köder der mysteriösen Aljona Makarowa gegessen. Sie gibt vor, Nichte eines russischen Oligarchen (...) zu sein, verspricht Geld, Kontakte. Er fantasiert, lässt sich gehen (...). Er fühlt sich wohl, da das Gespräch von seiner rechten Hand, Johann Gudenus (...), organisiert wurde. (...) Wir wissen nicht, wer den Hinterhalt gelegt hat, wir wissen aber, was derjenige zeigen wollte und dass er mit Sicherheit die Straches 'Leidenschaften' kannte. (...) Die Honigfalle hat, wenige Tage vor der Europawahl, funktioniert. Ziemlich gut.“
Die national-konservative lettische Tageszeitung „Latvijas Avize“ bewertet es so:
„Die Regierungskrise nur wenige Tage vor den Wahlen zum Europäischen Parlament hat Wien erschüttert und auch Schockwellen durch die politische Landschaft in Österreich und in Europa gejagt. Die unkonventionelle Koalition wurde als politisches Experiment angesehen - als Test, inwieweit konservativen Parteien mit Populisten zusammenarbeiten können. (...) Den rechtsextremen Parteien mehrerer europäischer Länder werden seit Jahren versteckte Finanzkontakte mit Russland vorgeworfen, wie sie in den Videoaufzeichnungen über Straches Deals aufgezeigt wurden. Die FPÖ hat ein Partnerschaftsabkommen mit der Regierungspartei Geeintes Russland, die Förderung von russischen Interessen in Österreich aber wiederholt bestritten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Führer der rechten Kräfte in Italien und Frankreich eine Russland-freundliche Politik verfolgen, könnten sie sich möglicherweise auch mit unangenehmen Fragen auseinandersetzen müssen.“
Die „Financial Times“ aus Großbritannien sieht im Scheitern der Koalitionsregierung in Wien einen Rückschlag für Hoffnungen rechtspopulistischer Parteien auf eine gemeinsame europäische Front:
„Herr Strache arbeitete mit Matteo Salvini, Italiens Vize-Regierungschef, und Frankreichs Marine Le Pen daran, eine mächtige euroskeptische Gruppe im Europäischen Parlament zu formen. Frau Le Pen ist zu extrem für einige konservative Nationalisten, wie Polens [Regierungspartei] Recht und Gerechtigkeit [PiS]; die FPÖ dürfte jetzt ähnlich vergiftet sein.“
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