Minister spricht von "beunruhigenden" ErkenntnissenAmoklauf von Erfurt: Hatte Steinhäuser einen Mitwisser?
Erfurt (rpo). Der Amoklauf von Erfurt beschäftig erneut die Staatsanwaltschaft. Knapp zwei Jahre nach der Tat in dem Gymnasium leitet die Behörde ein neues Ermittlungsverfahren ein. Möglicherweise hatte der Täter Steinhäuser einen Mitwisser.Rund zwei Jahre nach dem Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium hat eine Untersuchungskommission mehrere Versäumnisse vor der Bluttat moniert. Der Polizei sei jedoch wegen ihres Verhaltens am Tatort kein Vorwurf zu machen, hieß es in dem am Donnerstag vorgelegten Abschlussbericht der von Thüringens Justizminister Karl Heinz Gasser geleiteten Kommission. Fest stehe zudem, dass der 19 Jahre alte Amokläufer Robert Steinhäuser allein und ohne Helfer am 26. April 2002 innerhalb von zehn Minuten 16 Menschen erschossen habe, ehe er sich selbst töte. Der Kommissionsbericht kritisiert Versäumnisse des Erfurter Ordnungsamtes bei der Kontrolle von Steinhäusers Waffenkäufen. Diese wurden auch durch offensichtlich gefälschte Eintragungen im seinem Schießbuch möglich, wie es hieß. Auch der Schulverweis habe nicht den gültigen Verfahrensregeln entsprochen. Dennoch sei dies nicht allein ausschlaggebend für die Tat gewesen. Steinhäusers übersteigertes, an Größenwahn grenzendes Selbstwertgefühl stand laut dem Bericht in keinem Verhältnis zu seinem schulischen Versagen, das sich von Jahr zu Jahr verstärkte. Mit Computer- und Videospielen habe er sich in eine virtuelle Welt versetzt. Fasziniert äußerte er sich der Kommission zufolge über das Schulmassaker von Littleton in den USA. Freunden gegenüber hatte er mehrfach gesagt, dass er einen Lehrer erschießen wolle und auch mit seiner Waffe geprahlt. Doch sei dies von Mitschülern nicht ernst genommen worden. Auch ein zwei Tage vor dem Massaker in der Schule eingegangener anonymer Anruf, dass etwas Schlimmes geschehen werde, sei nicht weiter verfolgt worden. Weiter stellte die Kommission fest, dass keines der Opfer zu retten gewesen wäre, wenn ärztliche Hilfe schneller gekommen wäre. Die Kommission hatte die polizeiliche Rekonstruktion des Tatablaufes geprüft und in allen wesentlichen Punkten bestätigt. Es sei erwiesen, dass Steinhäuser 71 Schüsse abgab, deren Hülsen einwandfrei aus dessen Pistole stammen. Bis auf eine Ausnahme waren alle 16 Opfer laut dem Bericht sofort tot. Der Lehrer Hans Lippe habe nach den Schüssen noch rund 40 Minuten gelebt und sei während der notärztlichen Versorgung gestorben. Allerdings hätte er auch bei früherer Bergung und ärztlicher Versorgung nicht gerettet werden können, wie Erörterungen mit vier Rechtsmedizinern bestätigt hätten. Vorschriften inzwischen geändertDie Schutzpolizisten hätten nicht früher agieren können, weil zu dieser Zeit Zeugen einen zweiten Täter gesehen haben wollten. Nach damals gültiger Polizeivorschrift mussten die Polizisten auf das Sondereinsatzkommando (SEK) warten und durften auch Notärzte nicht in ungesicherte Räume vorlassen. "Die grundsätzliche Entscheidung, das Schulgebäude Raum für Raum und Etage für Etage zu durchsuchen, ist deshalb nicht nur mit polizeilichen Dienstvorschriften vereinbar, sondern kann nach Auffassung der Kommission bei der gegebenen Informationslage des SEK nicht kritisiert werden," heißt es im Abschlussbericht. Inzwischen wurden die entsprechenden Vorschriften in Thüringen geändert. Der Erfurter Rechtsanwalt Eric Langer, der durch den Tod seiner Lebensgefährtin selbst Betroffener des Amoklaufs ist und Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung, Strafvereitelung und anderer Vorwürfe gestellt hat, sagte nach Vorstellung des Berichtes, dass er seine Ermittlungen und Vorwürfe in keinem Punkt widerlegt sehe.