“Das ist los“ Das neue Album von Herbert Grönemeyers in der Einzelkritik
Deine Hand
Die Vorab-Single und der frühe Höhepunkt des Albums. Herbert Grönemeyer arbeitete hier mit der Künstlerin Balbina zusammen, das tut ihm gut. „Auf den Punkt” sei ihr Text, lobte Grönemeyer bei der Album-Präsentation in Berlin und holte Balbina sowie seinen anderen Helfer Max Leßmann auf die Bühne. „Auf Räuberleitern höher steigen / Wir - im Team.” So ist es.
Das ist los
Discostampf. Autoscooter-Gefühl. Erinnert an Billy Joels „We Didn’t Start The Fire”: Der Text besteht aus Aufzählungen und Stichworten. An der Grenze zur Albernheit, manchmal auch zur Peinlichkeit: „Cis, binär und transqueerphob / Gucci, Prada, Taliban, Schufa, Tesla, Taiwan-Wahn / Was ist, Kid, kriegst Du alles mit?”
Herzhaft
Zum ersten Mal die klassische Grönemeyer-Du-Ansprache. Darin ist er am besten, das ist seine Königsdisziplin. Die zweite Strophe kommt im Gleitflug: „Nimm mich in die Herzhaft / Lass mir keinen Schmerz nach”. Schönes Stück, von dem als Ohrwurm diese Zeile bleibt: „Baby, you wanna dance.”
Tau
Piano-Ballade und großes Grönemeyer-Tennis. Er spricht am Klavier. Man stellt ihn sich mit geschlossenen Augen vor. Verse für einen Best-of-Auswahlband mit Liebesgedichten: „Manchmal legt der Tau sich auf mich” und „Liebe ist ein neuer Tag”.
Genie
„Oh, entfriere dein Genie”, heißt es hier. Überhaupt festigt das „O” seine Stellung als Lieblingsbuchstabe Grönemeyers. Klassisches Sprachspiel-Material, das er so mag: „Zweifelzwangsjackett”. Unfreiwillig komisch, wenn man den Text nicht vor sich hat, die Zeile „Du trägst den Code zum Paradies.”
Der Schlüssel
In Berlin erzählte Grönemeyer, dass Max Leßmann viel zum Gelingen dieses Stücks beigetragen habe, indem er bei den Aufnahmesessions von einem „Schlüssel, der nicht mehr schließt” gesprochen habe. Zunächst zurückhaltendes Arrangement. Später Streicher. Gedehnte Vokale. Grönemeyer im Duett mit sich selbst.
Angstfrei
80er-Synthiepop-Atmosphäre. Erste Verse: „Wer nicht strampelt / Klebt an der Ampel / Und wartet auf grün”. Politisch? Klar. Oldschool-Arrangement. Wieder diese gedehnten Vokale. Alles läuft auf die Refrains zu. „In der Unruhe liegt die Kraft”. Hier zum ersten Mal dieser Grönemeyer-Juchzer, der lautmalerisch irgendwo zwischen „Go” und „Oh” liegt.
Urverlust
Ambient-Geplucker als Soundbett für eine weitere Du-Ansprache. Abschiedsschmerz. Gedehntes I beim „Immer”. Nach knapp zwei Minuten Schlagzeug-Fanfare. Alte Schule. Viel Schmerz darüber, dass man nicht zurückholen kann, was verloren ist. „Wir überkreuzten unsere Seelen.” Käsiges Saxofon gegen Ende.
Eleganz
Plucker-Sound mit leicht trunkenen Keyboard-Tasten. Nach zwei Minuten redet Grönemeyer durch die Flüstertüte. Kantige Verse gegen den Flow: „Nimm das Leben manchmal in den Arm / Heb es so gut es geht aus dem Daueralarm / Halt es sicher und fest / Wenn’s das mit sich tun lässt / Du und es kennen die gleichen Härten.” Muss man auch erstmal singen können. Wieder dieser Grönemeyer-Juchzer: „Go!”
Oh, Oh, Oh
Bericht zur Lage der Nation: „Für ,Jetzt erst recht` ist es fast zu spät.” Hommage an den Buchstaben O. Vertontes Pamphlet.
Eine Tonne Blei
Weitere Du-Ballade. „Du kämpfst bei mir für einen klaren Sinn / Weil ich beim Zweifeln so / Wahllos bin.” Bisschen Piano und Synthie-Flächen und später unnötiger Oh-Oh-Chor. Verdacht: Da hätte man mit einem anderen Arrangement mehr draus machen können. Wieder so kantige, schwierig ins Grooven zu bringende Verse: „Du legst deine Liebe / fest um mich / bis dass die Zwänge sich verlaufen.”
Behutsam
Piano, sanfte Perkussion, wieder an ein Du gerichtet. „Egal, wie’s um dich rum verzerrt / Du bist nie verkehrt.” Ab Minute zwei dann Streicherseligkeit und Bläser. Dicke Soße. Hätte es nicht gebraucht.
Turmhoch
Größtes Verdienst dieses Songs: das Wort „Weiterzeit”. Beats, Elektronik, die nicht so recht zu Grönemeyers Gesang passen. Gaga-Verse: „Ich brauche deine Keimzeit, die mich auflädt.” Trotzdem gute Atmosphäre. Nach zwei Minuten dann aber wieder dieser schlimme Oh-Oh-Chor. Was soll das?