Alle Kinokritiken-Artikel vom 01. September 2003
"Fluch der Karibik" - Nicht ohne meinen Kajal-Stift
"Fluch der Karibik" - Nicht ohne meinen Kajal-Stift

Kino-Kritik"Fluch der Karibik" - Nicht ohne meinen Kajal-Stift

Piraten sind nicht totzukriegen, und das Piratengenre schon gar nicht, wie die Actionkomödie "Der Fluch der Karibik" aufwändig vorführt.

Isabel Coixets berührender Film "Mein Leben ohne mich"

Isabel Coixets berührender Film "Mein Leben ohne mich"

Frankfurt/Main (rpo). Einen optimistischen Film über das Sterben einer jungen Frau zu machen, ist das besondere Kunststück, das der Spanierin Isabel Coixet in ihrem dritten Spielfilm "Mein Leben ohne mich" auf berührende Weise gelungen ist. Der im kanadischen Vancouver spielende und in englischer Sprache gedrehte Steifen kommt ab dem 4. September 2003 in die Kinos, hat aber schon bei seiner deutschen Premiere im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale großes Aufsehen erregt und gehörte zu den Publikumsfavoriten dort. Das liegt nicht nur in dem heiklen Thema Tod begründet, sondern auch in der behutsamen, ja zärtlichen Machart des 102 Minuten langen Films samt seinen eindrucksvollen Darstellern. Unter diesen ragt Sarah Polley in der Hauptpartie der todkranken Ann, die Abschied vom Leben und ihren Lieben nehmen muss, besonders hervor. Mit geradezu faszinierender Glaubwürdigkeit verkörpert Polley eine junge Mutter, die mit ihrem meist arbeitslosen Mann und zwei reizenden kleinen Töchtern in einem Wohnwagen nahe Vancouver haust. Als Putzfrau an der Universität hält sie die Familie über Wasser, bis sie eines Tages in Ohnmacht fällt. Der Grund dafür ist dramatisch: Ann hat einen unheilbaren Krebstumor, der ihrem Leben bald ein Ende setzen wird. Nach dem ersten Schock über diese grausame Nachricht reagiert die junge Frau ganz erstaunlich auf die neue Situation. Ann lehnt nicht nur alle lebensverlängernden, aber letztlich wirkungslosen Behandlungen ab, sie verheimlicht auch ihren Zustand der Familie wie den Bekannten. Und Ann beschließt, in ihren restlichen Lebenswochen viel von dem zu tun, wozu sie bislang keinen Mut oder keine Zeit hatte. So verändert sie ihr Äußeres, verliebt sich noch einmal und besucht sogar erstmals den seit langen Jahren im Gefängnis sitzenden Vater. Große Lebenskraft im Angesicht des TodesDabei sorgt sie mit großer Umsicht für die Zukunft ihrer Kinder nach ihrem Ableben vor. Kurzum, in der Zeit ihrer schwersten Prüfung beweist sich Ann als bewundernswerte Persönlichkeit, deren Lebenswille im Angesicht des nahen Todes den Film eine zutiefst optimistische Botschaft vermitteln lässt: Nimm dein Leben in die Hand und mache das Beste daraus. Dem Betrachter wird nur allzu bewusst, wie viel Zeit er im Alltag nur deshalb unnütz verstreichen lässt, weil ihm nicht bewusst ist, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Isabel Coixet hat eindrucksvolle Bilder für ihre traurig-schöne Kinogeschichte gefunden. Dass ein Mensch Abschied vom Leben nehmen muss, ist nicht nur eine Behauptung des Drehbuchs, sondern auch atmosphärisch und optisch dicht realisiert in dem Film. Die Hauptdarstellerin Polley hat selbst ihre Mutter als Kind verloren und musste früh hart arbeiten, um ihre Existenz zu sichern. Die Schauspielerin weiß also, was sie spielt, und sie spielt vielleicht auch deshalb so ins Herz gehend. "Mein Leben ohne mich" ist gewiss das, was als Frauenfilm bezeichnet wird. Aber was erzählt wird und zu sehen ist, geht alle Menschen an.

"Der zehnte Sommer" - Zwischen Kittelschürze und Petticoat

"Der zehnte Sommer" - Zwischen Kittelschürze und Petticoat

Frankfurt/Main (rpo). Noch ist es die beste aller Welten, die Kalli Spielplatz bewohnt. Gerade hat Kalli seinen neunten Geburtstag gefeiert und fühlt sich pudelwohl in seinem "Reich", einer niederrheinischen Kleinstadt. "Der zehnte Sommer" seines Lebens beginnt verheißungsvoll...Wie ein König kommt er sich vor mit seinen Geschenken, einem Roller, einem Trappermesser und einem Abziehbild auf dem Arm, das er sich am Kiosk kaufen durfte. Zur Feier des Tages hat ihm seine Mutter einen "Frankfurter Kranz" gebacken. Dass er doch nicht alles königlich im Griff hat, wird er in diesem Sommer zum ersten Mal merken. Die Verfilmung eines erfolgreichen Kinderromans von Dieter Bongartz, der auch das Drehbuch schrieb, lebt von seiner vordergründig beschaulichen Atmosphäre, die liebevoll mit den Details eines Kinderlebens zu Beginn der sechziger Jahre ausgestattet ist. Das lässt heutige Kinder staunen - "Was? Kleine Jungs haben früher kurze Lederhosen getragen und Mütter Kittelschürzen?" - und hat für Erwachsene einen hohen nostalgischen Reiz. Das ist aber zugleich ein Problem: Das verdruckste Biedermeier der Zeit kann diese Kinderkomödie zwar vorführen, aber nicht wirklich überwinden, was man auch im Tempo merkt. Gaaanz langsam und umständlich schreitet die Handlung voran, um am Schluss mit einer plötzlichen dramaturgisch ungeschickten Volte zu überraschen, die schwer nachvollziehbar ist und auch nicht erklärt wird. Kalli, der in einer fernseh-, computer- und relativ autolosen Zeit aufwächst, beschäftigt sich in den Sommerferien mit drei Dingen: Einmal will er mit seinen Freunden Polli und Walter einen Zoo gründen und bunkert im Keller Spinnen, Würmer und ähnliches Getier, was allerdings die Kids selbst nicht prickelnd genug finden. Dann bekommt er vom dubiosen Vater eines Freundes eine Meerkatze geschenkt. Super! Bleibt allerdings Kallis zweite Sorge, das Rätselraten über seine Nachbarinnen Almut, Bettina und Christel Hilfers, drei kokette Schwestern mit Petticoat und Lippenstift, die von den Nachbarsfrauen und besonders Kallis Mutter Elvira mit Argusaugen beobachtet werden. Wieso geht sein Vater zu ihnen? Und dann ist da als drittes Thema die kleine Franzi, in die Kalli heimlich verknallt ist und dessen hysterische Mutter keine Gelegenheit auslässt, Kalli unsittlicher Dinge zu bezichtigen, die der Junge nicht versteht. Bis zum Schluss die drei Probleme ihre überraschende Lösung finden, hat Kallis Idylle breite Risse bekommen. Kalli findet heraus, dass Erwachsene nicht alles besser wissen, und muss lernen, eigene Wege zu gehen. Das tut er mit Hilfe der drei jungen Frauen, die sich statt als gefährliche Hexen als vertrauenswürdige Feen erweisen. Kinderperspektive der frühen SechzigerDer Film behält allerdings die Kinderperspektive der frühen Sechziger bei und enthüllt kaum mehr über die drei geheimnisvollen Hilfers, als dass sie das lebenslustige Gegenbild zum umgebenden Spießertum bilden müssen - steter Stein des Anstoßes im bigotten Kleine-Leute-Mief, in dem das Wirtschaftswunder noch nicht recht angekommen ist, mit seinen Streiflichtern über einen engstirnigen Priester, der das Beichtgeheimnis bei kleinen Jungs nicht achtet, und über biergeschwängerte Skatrunden in der Kneipe, bei denen Kallis naiver Vater geschäftlich über den Tisch gezogen wird. Was verbindet den Kriegsversehrten mit der lockeren Almut Hilfers? Der Film lässt die Frage offen, was mutig, aber ziemlich unbefriedigend ist. Sehenswert sind neben der betörenden Erika Marozsán als Almut alle erwachsenen Darsteller, und man freut sich, auch Katharina Böhm als resignierte Mutter Elvira wieder einmal auf der Leinwand zu sehen. Ausgerechnet der kindliche Held Kalli (Martin Stührk) jedoch kann mit seinem entweder lächelnden oder traurigen Gesicht nicht recht überzeugen und wirkt etwas steif. Insgesamt befindet sich "Der zehnte Sommer" im Dilemma vieler neuer deutscher Kinderfilme, die entweder mit ruppiger, forcierter Sozialkritik nerven oder schön ausgestattet, aber allzu betulich sind. Beide Sorten scheinen vor allem Erwachsene anzusprechen, die zwischen Nostalgie und Frust hin- und hergerissen sind, und so erinnert auch dieser Film an teures, museales Holzspielzeug, das Erwachsene entzückt, während Kinder grelles Plastik vorziehen würden. Ein bisschen mehr Temperament und Aberwitz statt besonnter Erinnerung hätten dem "Zehnten Sommer" gut getan.