Alle Kinokritiken-Artikel vom 05. Mai 2003
Jack Nicholson in "Die Wutprobe"
Jack Nicholson in "Die Wutprobe"

Sehr kurzatmige Brachialkomik mit StarduoJack Nicholson in "Die Wutprobe"

Frankfurt/Main (rpo). In "Die Wutprobe" gibt Jack Nicholson mal wieder alles. Als verrückter Psychiater soll er den angeblich aggressiven Adam Sandler wieder auf "Normalkurs" bringen - und das wird ziemlich komisch. Dave Buznik hat ein traumatisches Erlebnis in der Kindheit zum allzu sanftmütigen Zeitgenossen gemacht. Doch ausgerechnet dieser verwickelt sich in einen absurden Streit an Bord eines Flugzeugs. Der Zwischenfall hat Folgen, denn Buznik wird vom Gericht zu einer so genannten Deaggressionstherapie verurteilt. Dabei soll er lernen, Wut und Ärger besser zu kontrollieren. Doch der ihm das beibringen soll, ist ausgerechnet der exzentrische Therapeut Dr. Buddy Rydell, dessen Verhaltensweisen so irritierend sind wie seine Behandlungsmethoden. Welche Folgen dieses Zusammentreffen von Buznik und Dr. Rydell hat, erzählt die amerikanische Komödie "Die Wutprobe", die am 8. Mai in die Kinos kommt. In den US-Kinos ist der Film derzeit sehr erfolgreich, was sicherlich mit der Anziehungskraft der beiden Hauptdarsteller Adam Sandler und Jack Nicholson erklärt werden kann. Weniger erklärlich für den Erfolg ist allerdings die Qualität der Komödie. Denn nach starkem Beginn und einigen Lachern in der ersten Hälfte geht dem Drehbuch nahezu völlig die Luft aus. Und die letzte halbe Stunde, die absehbar auf eine fades Happy End zustrebt, ist eigentlich nur noch quälend. Sandler spielt mit berüchtigter Minimalmimik den schüchternen Buznik, dem so übel mitgespielt wird. Und Nicholson kann als Dr. Rydell all jene schauspielerischen Unarten und Manierismen ausleben, die er kürzlich noch in "About Schmidt" so erstaunlich diszipliniert zu zügeln wusste. Regisseur Peter Segal lässt auch die Nebendarsteller, darunter so bekannte Namen wie Luis Guzman, Heather Graham, John C. Reilly und John Turturro, fast nach Belieben chargieren. Offensichtlich ist Segal völlig desinteressiert an Subtilität und Zwischentönen, bei ihm muss es nur möglichst turbulent und laut zugehen. Originelle Grundidee geht völlig unterDer eigentlich recht originelle Einfall des Films, nämlich einen harmlosen Mann zu zeigen, der wegen angeblicher Aggressivität so lange juristisch und therapeutisch gepiesackt wird, bis er wirklich explodiert, geht leider völlig unter. Auch deshalb wirkt das Finale im riesigen New Yorker Yankee Stadium, das auch noch einen peinlichen Gastauftritt des früheren Bürgermeisters Rudolph Giuliani präsentiert, so bombastisch, verlogen und sinnentleert. Hier versucht ein Film noch einmal aufzutrumpfen, der all seine Trümpfe längst verschleudert hat. Warum das dem amerikanischen Publikum so gut gefällt, wird hier zu Lande ähnlich geheimnisvoll bleiben wie anderswo der überragende deutsche Erfolg von "Der Schuh des Manitu". Unbegreiflich allerdings auch, warum sich ein Weltstar wie Jack Nicholson für solchen Krampf hergibt. Das Eintrittsgeld ist diese Variante von Brachialkomik nur eine knappe Stunde halbwegs wert, danach wäre den Besuchern eher Schmerzensgeld zu erstatten. "Die Wutprobe" ist kein Hollywood-Film, dessen Einspielergebnis in Deutschland noch verbessert werden sollte.

"City of God"

Die Kamera auf die neuen Wilden"City of God"

Frankfurt/Main (rpo). In der "Stadt Gottes", einem Elendsviertel in Rio de Janeiro herrschen Armut, Verzweiflung und Angst. Der umjubelte Film erzählt die Entwicklungsgeschichte von zwei Jungs, die unter widrigen Umständen zu Männern werden.Es geht brutal zu in diesem Elendsviertel von Rio de Janeiro, das den ganz irreführenden Namen "Cidade de Deus" hat. "Stadt Gottes" heißt das übersetzt. Doch der barmherzige christliche Gott ist fern in dieser Siedlung am Rande einer Metropole, die nur für jene eine tropische Traumstadt ist, die den Blick hinter den Zuckerhut scheuen. Denn dort hausen die Verlierer und Opfer einer sozial skandalös ungerechten Gesellschaft unter dem Vorzeichen der Globalisierung. Wie mächtig deren Sieger sind, beweist noch der englische Titel des Films "City of God". Denn es ist eine brasilianische Produktion, inszeniert von Fernando Meirelles, die am 8. Mai unter diesem Titel in die deutschen Kinos kommt. International hat "City of God" schon viel Aufsehen erregt. Wahre Lobeshymnen besonders derer begleiten ihn, die auf der angenehmeren Seite der Globalisierung leben. Dort befinden sich Dadinho und Buscape gewiss nicht. Sie existieren in jenem Schattenreich eines ökonomischen Systems, das nicht nur in Brasilien, sondern weltweit Milliarden ohne reale Aussicht auf Verbesserung ihrer sozialen Lage dorthin verbannt hat. Menschen wie Dadinho und Buscape sind in diesem System eigentlich überflüssig. Doch auch die "Überflüssigen" wollen leben, auch sie haben Träume: Buscape will Fotograf werden, und er hat damit 20 Jahre später auch Erfolg. Dagegen ist bei Dadinho schon früh der Weg ins Verbrechen vorgezeichnet. Er wird nach zwei Jahrzehnten als Ze Pequeno, genannt Locke, der gefürchtetste Drogendealer von Rio. Erzählt wird also die Entwicklungsgeschichte von zwei Jungs aus einer berüchtigten Barackensiedlung, die zu Männern werden. Wie verschieden ihr Weg dorthin verläuft, zeichnet sich schon in der Kindheit ab. Denn Buscape ist schüchtern und sensibel, Dadinho dagegen gerissen und rücksichtslos. Eine Art neuer Naturalismus aus SüdamerikaNeben diesen Hauptfiguren, die zugleich Gegenspieler sind, gibt es in dem Film noch eine ganze Reihe Nebenfiguren und -handlungen, die Einblick gegen sollen in die für uns ebenso fremde wie erschreckende Welt der Cidade de Deus. Es ist nicht ganz leicht, den Überblick zu behalten, zumal der Inhalt in allzu rasanter Schnittfolge Aktionen und Tragödien liefert. Die Geschichte wird aus dem Blickwinkel Buscapes erzählt. Doch damit ist es auch die Geschichte dessen, der den Sprung aus dem Elend schafft. Wie aber wäre die Perspektive derer, die in diesem Elend bleiben, die daran scheitern, die keine Chance bekommen, die mit 16 Jahren meist ihre Zukunft schon hinter sich haben? Darauf kann der Film schon deshalb keine Antwort geben, weil er - wenngleich sicher mit den besten Absichten - die Bewohner der "City of God" zumindest dem Publikum der westlichen Wohlstandsstaaten als Exoten einer sozialen Apartheid zeigt, deren Gründe und Mechanismen verborgen bleiben. Es ist eine Art neuer Naturalismus, der mit diesem Film aus Südamerika auf die Leinwände kommt. Schon der inzwischen längst historisch gewordene europäische Naturalismus verharmloste ungewollt den sozialen Skandal. Damals wie heute werden nur dessen menschliche Folgen einem privilegierteren Publikum präsentiert. Dieses mag darob erschrecken. Aber damals wie heute wird es doch nur viel eher diesen Schrecken konsumieren als zum Kampf für eine gerechtere Gesellschaft aufgerüttelt zu werden. Die Anerkennung dafür, dass "City of God" immerhin den Blick auf das immer größere Schattenreich der Globalisierung richtet, muss deshalb zwiespältig bleiben.